Das Beiwort *2
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 125 - 127 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Das Beiwort muß echt sein, d. h. eine innere, begründete eigenschaftliche Bedeutung haben und nicht bloß äußerlich ,bei' dem Hauptwort stehen. Einen eßbaren Apfelbaum gibt es nicht, also darf man nicht einen Apfelbaum so nennen, dessen Früchte eßbar sind. Die zahlreichen Verstöße gegen diese vernünftige Grundregel faßt man unter dem Musterbeispielwort ,die reitende Artilleriekaserne' zusammen. Es ist nachgrade zu einem lustigen Spiel geworden, Wendungen von auserlesener Lächerlichkeit für diesen Fehler zu sammeln, dar- $Seite 126$ unter allerlei selbstverfertigte, die jedoch ebenso belehrend sind wie die echten Fälle des unechten Beiwortes. Hier folgt eine kleine spaßige Sammlung: ,Niedrige Ertragsgerüchte, künstliche Wasserfabrik, keimfreie Eisgesellschaft, künstliches Blumengeschäft, elektrischer Bahnkontrolleur, umklappbarer Krankenstuhlagent, frischgestochner Spargelverkauf, der ein-und zweispännige Kutscher, der dreistöckige Hausbesitzer, die verfaulte Obstfrau und der gedörrte Obsthändler, der garantiert wasserdichte Tuchfabrikant, der rohe Seidenhändler, die verwahrloste Kinderanstalt, die verheiratete Lehrerstelle, die hochstämmigen Eichenzweige, der ausgestopfte Tierhändler.' Hübsch erfunden ist die rauchlose Pulverfabrikantentochter, die einen schmalspurigen Eisenbahnbeamten heiratet; desgleichen die gepanzerte feuer- und diebessichere Generaldepositärsgattin aus Graz. Nicht erfunden sind: ,Der zahlreiche Familienvater, der grobe Unfugsparagraph und der unorganische Naturforscher' , dieser eine Schöpfung von du Bois Reymond. Und ganz und gar nicht erfunden, sondern noch mit meinen Augen in großen Buchstaben bezeichnet gesehen habe ich einst die berühmte ,Reitende Artilleriekaserne' im Norden Berlins, deren Deutsch allerdings aus der Zeit Friedrichs des Großen stammte. Über die Lächerlichkeit aller dieser echter und erfundener Verquatschungen kann kein Zweifel bestehen, und einem leidlich aufmerksamen Schreiber wird dergleichen schwerlich unterlaufen. In manchen Fällen läßt sich der Unsinn leicht beseitigen: aus dem alten Bücherhändler braucht nur ein Altbuchhändler, aus dem gedörrten Obsthändler ein Dörrobsthändler, aus dem sauren Kirschenbaum ein Sauerkirschbaum gemacht zu werden, und der vollendete Unsinn ist zu gutem Deutsch geworden. Goethe schrieb einmal ,der wilde Schweinskopf' , sei's aus Nachlässigkeit, sei's in dem Gefühl, man werde ihn schon richtiger verstehen, als er's geschrieben habe. Wie aber steht es mit einer Reihe von nicht so unzweifelhaften Verstößen gegen die allerstrengste Richtigkeit des sinnvollen Zusammenhangs? Der wilde Apfelbaum ist richtig, denn der Baum selbst ist wild; darf man also auch sagen ,wilder Kastanienbaum' ? Ich denke, mit demselben Recht; aber schon nicht mehr ,eßbarer Kastanienbaum' , denn nicht der Baum, sondern die Kastanien sind eßbar. Und wie denkt der Leser über den ,plastischen Metallarbeiter' ? Wahrschein- $Seite 127$ lich: unzulässig. Aber Goethe hat so geschrieben! Hm, ja dann —. Oder wie über ,verschmitzte Frauenrollen' ? Wohl ebenso tadelnswert; aber — sie stehen bei Lessing. Wer hat nicht schon von der ,ländlichen Arbeiterfrage, der großstädtischen Dienstbotennot, einem geistlichen Musikfest, einem katholischen Kirchenbau, dem geheimen Stimmrecht' gelesen? Oder wer hat sich etwas Schlimmes gedacht bei einem Deutschen Wörterbuch, bei Goethes Italienischer Reise, bei französischem oder englischem Sprachunterricht? Die Gewöhnung macht manche immer wiederkehrende, eigentlich unstimmige Verbindung annehmbar, und gegen die Sauregurkenzeit und den Dummejungenstreich, ja selbst gegen die vielbelachte höhere Mädchenschule ist kaum etwas einzuwenden; gegen die letzte schon darum nichts, weil ,höhere' nicht notwendig auf ,Töchter' bezogen werden muß, sondern eher auf ,Schule' . Darüber, daß ,Zuntz sel. (seliger) Witwe' jenseits von Gut und Böse der Sprachlehre steht, wird kein Zweifel herrschen. Aber — bei Goethe heißt es einmal: ,Mein Mann seliger war bei Jahren' . Man sieht an dieser versteinerten Formel die Entstehungsgeschichte von Zuntz seliger Witwe. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Du Bois-Reymond - Emil Heinrich, Berlin, Friedrich II. von Preußen, Goethe - Johann Wolfgang, Lessing - Gotthold Ephraim |
Bewertung |
auserlesene Lächerlichkeit, hübsch erfunden, Lächerlichkeit, erfundene Verquatschungen, Unsinn, vollendete Unsinn, gutes Deutsch, etwas Schlimmes |
Intertextueller Bezug |