Engel(1922) Das Hauptwort 7 Die Mehrzahl: Unterschied zwischen den Versionen

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Vorab die Frage, wieweit man mit der Mehrzahlform bei solchen Hauptwörtern gehen darf, die ihrem Wesen nach keine Mehrzahl zu dulden scheinen. Es gab bis vor kurzem nur eine Sehnsucht, keine Sehnsüchte; jetzt begegnen wir den Sehn-süchten bei vielen jüngeren Dichtern mit auffallsüchtiger Ab-sicht, können gradezu eine Mode darin erblicken, leider jedoch feststellen, daß sie, wie so manches in unsrer neusten Dich-tung, nur eine Nachäffung französischer Sprachformen ist. Mehrzahlformen dieser Art werden uns verdächtig sein und unangenehm bleiben. Sonft aber sei man nicht zu streng gegen gelegentliche kühne Versuche Andrer, nicht zu zag in eignen. Von jeher haben unsre Schriftsteller gewagt, den Kreis der Mehrzahlen (!) zu erweitern, und wohlbekannt sind $Seite 106$ Goethes ,drei Ehrfurchten' in den Wanderjahren, Prachten kommen bei Goethe, Prächten bei Heine und Andern vor. Lessing wendet eine Mehrzahl von Aberglauben an, Platen spricht von Gegenwarten, Rückert von Gröllen und Hassen, Stifter von Vorsichten. Wer dergleichen wagt, der tut es auf eigne Gefahr.
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Wohl der heftigste Mehrzahlstreit tobt um die Frage: Wir Deutsche oder Wir Deutschen? Besonders seit dem Satze Bismarcks ,Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt' ist dieser Zweifelfall vielleicht der um-strittenste in der ganzen deutschen Formenlehre geworden. Mit Gründen der Sprachgeschichte allein ist die Frage nicht zu lösen, obwohl die Geschichte uns lehrt, daß unsre größten Schriftsteller weit überwiegend Wir Deutsche geschrieben haben, vor allen Luther in seinem gleich dem Bismarckschen berühmten und bedeutsamen Satze: ,Wir Deutsche sind immer noch Deutsche und wollen Deutsche bleiben!' (im Sendschreiben an die Ratsherren der deutschen Städte). Daß Bismarck unzweifelhaft Wir Deutsche gesprochen hat, dessen bin ich selbst einer der letzten lebenden Zeugen und wohl der beste: ich habe es neben ihm sitzend in amtlicher Pflicht des genauesten Aufmerkens und Vergleichens so ge-hört, sogleich niedergeschrieben, und Bismarck hat es nach der Durchsicht so in den Druck gehen lassen. Mir ist es damals als das Bessere und Natürlichere erklungen, und ich war er-staunt, als es bemängelt wurde. Der Sprachgebrauch schwankt noch, neigt sich aber, wesentlich bestimmt durch Bismarcks weithallendes Beispiel, jetzt mehr zu Wir Deutsche. Wer den Zweifel loswerden will, tut wohl, mit Luther, Lessing, Goethe, Bismarck Wir Deutsche zu sagen, mag auch der Sprachbüttel das ,einfach lächerlich' nennen. Wir finden seine Rüge doppelt unverschämt — gegenüber der deutschen Sprache und gegenüber ihren größten Söhnen.
|KapitelText=Vorab die Frage, wieweit man mit der Mehrzahlform bei solchen Hauptwörtern gehen darf, die ihrem Wesen nach keine Mehrzahl zu dulden scheinen. Es gab bis vor kurzem nur eine ''Sehnsucht'', keine ''Sehnsüchte''; jetzt begegnen wir den ''Sehnsüchten'' bei vielen jüngeren Dichtern mit auffallsüchtiger Absicht, können gradezu eine Mode darin erblicken, leider jedoch feststellen, daß sie, wie so manches in unsrer neusten Dichtung, nur eine Nachäffung französischer Sprachformen ist. Mehrzahlformen dieser Art werden uns verdächtig sein und unangenehm bleiben. Sonst aber sei man nicht zu streng gegen gelegentliche kühne Versuche Andrer, nicht zu zag in eignen. Von jeher haben unsre Schriftsteller gewagt, den Kreis der Mehrzahlen (!) zu erweitern, und wohlbekannt sind $Seite 106$ Goethes '',drei Ehrfurchten' '' in den Wanderjahren, ''Prachten'' kommen bei Goethe, ''Prächten'' bei Heine und Andern vor. Lessing wendet eine Mehrzahl von ''Aberglauben'' an, Platen spricht von ''Gegenwarten'', Rückert von ''Gröllen'' und ''Hassen'', Stifter von ''Vorsichten''. Wer dergleichen wagt, der tut es auf eigne Gefahr.


 
Wohl der heftigste Mehrzahlstreit tobt um die Frage: ''Wir Deutsche'' oder ''Wir Deutschen''? Besonders seit dem Satze Bismarcks '',Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt' '' ist dieser Zweifelfall vielleicht der umstrittenste in der ganzen deutschen Formenlehre geworden. Mit Gründen der Sprachgeschichte allein ist die Frage nicht zu lösen, obwohl die Geschichte uns lehrt, daß unsre größten Schriftsteller weit überwiegend ''Wir Deutsche'' geschrieben haben, vor allen Luther in seinem gleich dem Bismarckschen berühmten und bedeutsamen Satze: '',Wir Deutsche sind immer noch Deutsche und wollen Deutsche bleiben!' '' (im Sendschreiben an die Ratsherren der deutschen Städte). Daß Bismarck unzweifelhaft ''Wir Deutsche'' gesprochen hat, dessen bin ich selbst einer der letzten lebenden Zeugen und wohl der beste: ich habe es neben ihm sitzend in amtlicher Pflicht des genauesten Aufmerkens und Vergleichens so gehört, sogleich niedergeschrieben, und Bismarck hat es nach der Durchsicht so in den Druck gehen lassen. Mir ist es damals als das Bessere und Natürlichere erklungen, und ich war erstaunt, als es bemängelt wurde. Der Sprachgebrauch schwankt noch, neigt sich aber, wesentlich bestimmt durch Bismarcks weithallendes Beispiel, jetzt mehr zu ''Wir Deutsche''. Wer den Zweifel loswerden will, tut wohl, mit Luther, Lessing, Goethe, Bismarck ''Wir Deutsche'' zu sagen, mag auch der Sprachbüttel das ,einfach lächerlich' nennen. Wir finden seine Rüge doppelt unverschämt — gegenüber der deutschen Sprache und gegenüber ihren größten Söhnen.
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Aktuelle Version vom 12. September 2017, 11:52 Uhr

Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 105 - 106

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Unsicherheit
Text

Vorab die Frage, wieweit man mit der Mehrzahlform bei solchen Hauptwörtern gehen darf, die ihrem Wesen nach keine Mehrzahl zu dulden scheinen. Es gab bis vor kurzem nur eine Sehnsucht, keine Sehnsüchte; jetzt begegnen wir den Sehnsüchten bei vielen jüngeren Dichtern mit auffallsüchtiger Absicht, können gradezu eine Mode darin erblicken, leider jedoch feststellen, daß sie, wie so manches in unsrer neusten Dichtung, nur eine Nachäffung französischer Sprachformen ist. Mehrzahlformen dieser Art werden uns verdächtig sein und unangenehm bleiben. Sonst aber sei man nicht zu streng gegen gelegentliche kühne Versuche Andrer, nicht zu zag in eignen. Von jeher haben unsre Schriftsteller gewagt, den Kreis der Mehrzahlen (!) zu erweitern, und wohlbekannt sind $Seite 106$ Goethes ,drei Ehrfurchten' in den Wanderjahren, Prachten kommen bei Goethe, Prächten bei Heine und Andern vor. Lessing wendet eine Mehrzahl von Aberglauben an, Platen spricht von Gegenwarten, Rückert von Gröllen und Hassen, Stifter von Vorsichten. Wer dergleichen wagt, der tut es auf eigne Gefahr.

Wohl der heftigste Mehrzahlstreit tobt um die Frage: Wir Deutsche oder Wir Deutschen? Besonders seit dem Satze Bismarcks ,Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt' ist dieser Zweifelfall vielleicht der umstrittenste in der ganzen deutschen Formenlehre geworden. Mit Gründen der Sprachgeschichte allein ist die Frage nicht zu lösen, obwohl die Geschichte uns lehrt, daß unsre größten Schriftsteller weit überwiegend Wir Deutsche geschrieben haben, vor allen Luther in seinem gleich dem Bismarckschen berühmten und bedeutsamen Satze: ,Wir Deutsche sind immer noch Deutsche und wollen Deutsche bleiben!' (im Sendschreiben an die Ratsherren der deutschen Städte). Daß Bismarck unzweifelhaft Wir Deutsche gesprochen hat, dessen bin ich selbst einer der letzten lebenden Zeugen und wohl der beste: ich habe es neben ihm sitzend in amtlicher Pflicht des genauesten Aufmerkens und Vergleichens so gehört, sogleich niedergeschrieben, und Bismarck hat es nach der Durchsicht so in den Druck gehen lassen. Mir ist es damals als das Bessere und Natürlichere erklungen, und ich war erstaunt, als es bemängelt wurde. Der Sprachgebrauch schwankt noch, neigt sich aber, wesentlich bestimmt durch Bismarcks weithallendes Beispiel, jetzt mehr zu Wir Deutsche. Wer den Zweifel loswerden will, tut wohl, mit Luther, Lessing, Goethe, Bismarck Wir Deutsche zu sagen, mag auch der Sprachbüttel das ,einfach lächerlich' nennen. Wir finden seine Rüge doppelt unverschämt — gegenüber der deutschen Sprache und gegenüber ihren größten Söhnen.

Scan
Engel(1922) 105-106.pdf


Zweifelsfall

Substantiv: Pluralbildung

Beispiel

Sehnsüchte, Sehnsüchten, Mehrzahlen, Ehrfurchten, Prachten, Prächten, Aberglauben, Gegenwarten, Gröllen, Hassen, Vorsichten

Bezugsinstanz Sprachverlauf, gegenwärtig, Literatursprache, neu, Frankreich, Goethe - Johann Wolfgang, Heine - Heinrich, Lessing - Gotthold Ephraim, Platen-Hallermünde - August von, Rückert - Friedrich, Stifter - Adalbert, alt, Bismarck - Otto von, Luther - Martin
Bewertung

leider, Nachäffung, verdächtig, unangenehm, kühn, wohlbekannt, heftig, umstritten, besser, natürlicher, Frequenz/überwiegend, lächerlich (Sprachbüttel), doppelt unverschämt

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Nominalphrase: Grundform und Flexion deadjektivischer und departizipialer Substantive

Beispiel

Deutsche, Deutschen

Bezugsinstanz alt, Bismarck - Otto von, Literatursprache, Sprachverlauf, Luther - Martin, Lessing - Gotthold Ephraim, Goethe - Johann Wolfgang
Bewertung

heftig, umstritten, besser, natürlicher, Frequenz/überwiegend, lächerlich (Sprachbüttel), doppelt unverschämt

Intertextueller Bezug