Das Umstandswort *5
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 168 - 169 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Niederdeutsch, Frau, Hamburg, Gegenwärtig, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Lessing - Gotthold Ephraim, Schriftsprache, Literatursprache, Volk, Umgangssprache, Luther - Martin |
Text |
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Die doppelte Verneinung war im ältern Deutsch etwas ganz Gewöhnliches und Richtiges; Fügungen wie ,.. als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß' finden sich nicht nur im Volksliede, sondern zu Dutzenden bei unsern Klassikern. Die Verdopplung galt ehedem als Verstärkung; so empfinden wir sie in der Dichtung noch heute und sehen in Goethes Versen: ,Keine Luft von keiner Seite, — Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt' keinen Fehler, sondern eher eine feine Schönheit. Bei Luther sind die verstärkenden Doppelverneinungen wie: ,Man soll keinem Heuchler nichts glauben' nicht zu zählen; ja selbst die dreifache verstärkende Verneinung kommt bei ihm vor: ,Ich habe ihrer keinem nie kein Leid getan.' Vom Lateinischen, wo Verdopplung des Nein Bejahung erzeugt, haben wir für die Alltagsrede und die Schriftsprache uns daran gewöhnt, das Wiederholen der Verneinung als altfränkisch und ungut anzusehen, und gegen diesen Wandel des Sprachgefühls oder doch der Sprachbildung ist nicht mehr anzukämpfen. Strenggenommen sollte die Verneinung auch wegbleiben in Sätzen wie: ,Ich kann nicht scheiden, bevor (bis) ich nicht das Werk vollendet habe. — Eh du mir nicht die Wahrheit gestanden, lasse ich dich nicht von mir. — Ohne daß nicht zuvor für Beleuchtung gesorgt wird, kann der Vortrag nicht stattfinden.' Sie wird aber selbst von guten Schreibern gesetzt, und solange durch solche nicht ganz denkgerechte Wiedergabe des $Seite 169$ Gedankens kein offenbares Mißverständnis entsteht, läßt sich nichts dagegen sagen. Wie gefährlich aber diese Läßlichkeit ausarten kann, zeigt folgender Satz: ,Nichts hindert dich, die Erbschaft nicht anzutreten' , der erst durch die Fortsetzung voll verständlich wird. Man muß immer erst untersuchen, ob der Schreiber zu den sorgfältigen oder den läßlichen gehört, um zu entscheiden, ob die zweite Verneinung aufhebend oder verstärkend gedacht ist. Man achte hierauf besonders bei Zeitwörtern, in denen etwas Verneinendes steckt, bei verbieten, warnen, abraten, leugnen, bestreiten, fürchten, zweifeln, verhindern usw. Bei den älteren Dichtern herrscht unschädliche Freiheit: ,Man verbot ihnen, daß sie keine Waffen in ihrem Hause haben sollten (Lessing). — Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt' (Goethe). Zu wahrer Sprachkrankheit ausgeartet ist die Neigung, besonders beim weiblichen Geschlecht, an jede Antwort ein ,nicht?' — meist in der Form ,nich?' anzuhängen. ,Was kostet der Käse?' — ,40 Pfennig, nich?' Kenner behaupten, die Krankheit habe sich von Hamburg aus über Deutschland, besonders Nord- und Mitteldeutschland, verbreitet. Ob sie überhaupt noch zu heilen ist, muß beinah bezweifelt werden — nicht? |
Zweifelsfall | |
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Beispiel |
als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß, Keine Luft von keiner Seite, Ich habe ihrer keinem nie kein Leid getan., Ich kann nicht scheiden, bevor (bis) ich nicht das Werk vollendet habe., Eh du mir nicht die Wahrheit gestanden, lasse ich dich nicht von mir., nichts, 40 Pfennig, nicht? |
Bezugsinstanz | Umgangssprache, alt, alt, Literatursprache, Literatursprache, Goethe - Johann Wolfgang, Schreiber guten Stils, Hamburg, Literatursprache, Lessing - Gotthold Ephraim, Luther - Martin, gegenwärtig, niederdeutsch, Schriftsprache, Volk, Frau |
Bewertung |
altfränkisch, etwas ganz Gewöhnliches, feine Schönheit, Frequenz/nicht zu zählen, gefährlich, kein Fehler, Krankheit, Läßlichkeit, läßt sich nichts dagegen sagen, nicht ganz denkgerecht, nicht mehr anzukämpfen, Richtiges, sollte wegbleiben, ungut, unschädlich, zu wahrer Sprachkrankheit ausgeartet |
Intertextueller Bezug |