Das Zeitwort 1. Die Fügung *2
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 275 - 277 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Sprachgelehrsamkeit, Eckermann - Johann Peter, Romanische Sprachen, Gegenwärtig, 19. Jahrhundert, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Redewendung/Sprichwort |
Text |
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Bei abzielenden Zeitwörtern einer lebhaft handelnden Einwirkung auf Menschen und Dinge, die mit wechselnd geltenden Vorwörtern des 3. und 4. Falles auf ihr Satzziel bezogen werden (Schlagen, Stechen, Treten, Schießen, Schneiden, Treffen, Greifen, Brennen, Bestehen [Dringen], Stützen, Gründen usw.) gibt es weniger Schwankungen als Zweifel, deren Lösung im Einzelfalle oft schwierig, deren durchgreifende Hebung durch eine allgemein gültige Regel unmöglich ist. Fast jeder Fall verlangt seine besondre Prüfung auf Inhalt und Sprachgebrauch; selbst für starke Abweichungen vom Üblichen lassen sich annehmbare Auffassungen beibringen. ,Ich schlage dir oder dich auf den Kopf? Das Feuer brannte mir oder mich auf die Nägel oder auf den Nägeln? Ich trat ihn oder ihm auf den Fuß, sie oder ihr auf die Schleppe? Ich halte mich an dich oder dir? Die Ordnung gründet sich auf das oder dem Gesetz?' Widersprüche herrschen hierüber zwischen namhaften Sprachgelehrten, und die selbstsichersten Sprachmeisterer werden etwas bescheidner, wenn sie solche Fragen auf ihre Art: nur mit Falsch und Richtig, entscheiden sollen. Die romanischen Sprachen kennen keine Schwierigkeit: hier wie so oft starrer als das Deutsche setzen sie den Getroffenen selbst in den 4. Fall, dessen getroffenen Teil in die Fügung mit à: Il le frappa à la tete. Das zarter unterscheidende, beweglichere Deutsch kann sagen: ,Er schlug ihm an den Kopf oder Er schlug ihn am Kopf' , und oft sind die Bedeutungen der zwei Ausdrucksformen fein abgetönt. $Seite 276$ Aus der Fülle der Wendungsmöglichkeiten leuchtet etwa dieser Leitgedanke des Sprachgefühls hervor; im 4. Fall steht die Person oder die Sache, der Körperteil, worauf die Handlung am unmittelbarsten, absichtlichsten, stärksten abzielt; im 3. Fall, wenn nicht so sehr die ganze getroffene Person oder Sache das Ziel ist, wie ein Körperteil oder Zubehör, deren Träger eben nur die Person oder Sache sind. ,Er schoß ihn durch die Brust. — Ich aber traf ihn mitten ins Herz. — Wir schlugen den Feind aufs Haupt. — Die Katze hat mich (oder: mir?) in den Finger gebissen. — Er traf den Nagel auf dem (oder den?) Kopf. — Ich habe ihn (oder: ihm?) in den Arm gekniffen. — Ich habe ihn (oder: ihm?) auf den Fuß getreten. — Er hat sie ja nur auf die Schulter geküßt. — Ich klopfte ihn auf die Schulter.' Je stärker der ganze Mensch, der Gegenstand selbst (z. B. der Nagel)gemeint und getroffen wird, desto nötiger wird der 4. Fall. Wer jemand auf die Schulter klopft, schlägt die Schulter und meint den Menschen; wer sie zwar nur auf die Schulter geküßt, hat doch sie selbst gemeint. Wer den Feind aufs Haupt schlägt, hat den Feind selbst treffen wollen und geschlagen, nicht bloß dessen Haupt, das nur redensartlich mitgenannt wird. Ich habe ihn in den Arm gekniffen, denn ich wollte eigentlich nicht den Arm kneifen, sondern bediente mich dieses Körperteils nur, um den ganzen Menschen aufmerksam zu machen. Wer einen Menschen mitten ins Herz trifft, hatte den ganzen Menschen zum Ziel, und wer den Nagel auf den (oder dem) Kopf trifft, hatte es auf den ganzen Nagel abgesehen, konnte ihm aber nur am Kopf beikommen. Die Katze allerdings kann mich oder mir in den Finger beißen: ich werde von dem Schmerz wohl im Nervenmittelpunkt getroffen, spüre ihn aber doch zunächst und zumeist im Finger; doch sind hier Absicht und Gefühl schwankend, mithin schwankt die Fügung. Es gibt aber recht viele Fälle, wo der Sprachgebrauch sich befestigt hat, jedoch die Erklärung unsicher ist. Ich sehe dir ins Gesicht, und doch ist gewiß nicht bloß, nicht hauptsächlich, wenngleich zunächst, das Gesicht, sondern der ganze Mensch gemeint, und trotzdem steht hier der 3. Fall der Person. ,Er spie ihm ins Gesicht' erklärt sich dadurch, daß Speien allein, nicht Bespeien und Anspeien, nicht mit dem 4. Fall der bespienen Person stehen kann. $Seite 277$ Das Feuer brennt mir oder mich auf die Nägel oder auf den Nägeln? Alle vier Fassungen sind ebenso erlaubt wie möglich; besondere Unterschiede des Sinnes sind kaum herauszuhören. Nach Eckermann hat Goethe gesprochen: ,Was mir nicht auf die Nägel brannte' (14. 3. 1830). — Mir frieren die Füße: die Füße frieren zunächst, zumeist, dann und dadurch erst der ganze Mensch; aber: Mich friert's an den Füßen. — Der Rauch beißt mir in die Augen: der Rauch hat es nicht auf den ganzen Menschen abgesehen, kann ihm auch nicht viel anhaben, wohl aber seinen Augen: er beißt die Augen, also nicht mich, sondern mir. — Mich nagt's am Herzen (Goethe). Der 3. Fall der Person ist eine jüngere Abspaltung des Gefühls; in ältester Zeit standen alle solche Zeitwörter mit dem 4. Fall. Eine strenge Entscheidung ist heute schon darum unmöglich, weil sich auf diesem Gebiet Sprachgefühl und Gebrauch schon während eines Menschenalters verschieben. Ich selbst spreche heute in manchem Fall anders als vor 30 Jahren, weil ich es in diesem Zeitraum oft anders gehört und gelesen habe als vordem. Ich bestehe auf meinem Schein, .. auf meinen Schein — was ist richtiger? Jedes ist je nachdem richtiger. Ich bestehe auf meinem Schein ist: ich stehe .. und besagt: Ich verharre auf ihm (Ruhe) und warte das Kommende ab; ich bestehe auf meinen Schein: ich fordre, daß mir der Inhalt meines Scheins werde, also im Sinne von: ich dringe auf ihn (Bewegung). Der Anspruch gründet sich auf dem Gesetz (Ruhe); ich gründe das Haus auf diesen Fels (als Bewegung gedacht). Ich halte mich an dir: .. an dir fest; ich halte mich an dich: ich packe dich, hatte dich fest, ich mache dich verantwortlich. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Sprachgelehrsamkeit, Romanische Sprachen, Redewendung/Sprichwort, Eckermann - Johann Peter, Goethe - Johann Wolfgang, Alt, Gegenwärtig, Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, 19. Jahrhundert |
Bewertung |
so oft starrer, nötiger, ebenso erlaubt wie möglich |
Intertextueller Bezug |