Der Beamtenstil
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 345 - 350 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
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Genannte Bezugsinstanzen: | Behördensprache, Schriftsprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Behördensprache, Goethe - Johann Wolfgang, Schriftsprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Behördensprache, Schriftsprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Behördensprache, Schriftsprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Hamburg, Behördensprache, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Sprache der Politik |
Text |
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Der Beamte in diesem Abschnitt ist nicht bloß der Staats- und Stadtbeamte, sondern auch der Einzel- und Eigenbeamte, gleichviel in welcher Stellung: fast alle Mängel des Beamtenstils sind den Beamten aller Grade, aller Gattungen gemeinsam. Um der Gerechtigkeit willen sei nicht verschwiegen, daß die Bestrebungen vieler Behörden, den Beamtenstil von seinen Gebrechen zu heilen und auf eine höhere Stufe zu heben, nicht erfolglos geblieben sind: er ist nicht mehr der schlechteste unter den deutschen Stilen, sondern hat diese Rangstufe längst dem Stil der Wissenschaft und der Presse abgetreten. Der allerschlechteste Stil wird zurzeit von den deutschen Kunstschreibern verübt, die undeutscheste Sprache von den Zierden der deutschen Wissenschaft dem deutschen Volke zugemutet. Die Notwendigkeit grade eines fehlerlosen und guten Beamtenstiles leuchtet ein: der Beamte, zumal der des Staates und der Gemeinde, vertritt sprachlich das Ansehen der wichtigsten Gebilde des öffentlichen Lebens, die im Ansehen stehen wollen und müssen. Aber auch die Eigenbeamten: von Rechtsanwälten, gewerblichen Unternehmungen jeder Art, stellen mit ihren Schriftstücken die Bildungshöhe und Sprachehre ihrer Auftraggeber dar. Es ist ein sehr übler Zustand, daß man sich über Ausdruck und Stil behördlicher Schreiben lustig machen darf oder ärgern muß; vielmehr sollte jedes beschriebene Blatt, das aus einer Kanzlei hinausgeht, in vorbildlichem Deutsch abgefaßt sein. Wer von uns Gehorsam oder Achtung fordert, der soll sich ihrer ebenso mit dem Wort wie mit der Tat würdig erweisen. Guter Stil ist kein entbehrlicher Schmuck der Amtstätigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit, und Fehler in der deutschen Sprache sind für einen Beamten nicht Schönheitsfehler, sondern Ungehörigkeiten. Obenan steht die Forderung an jeden deutschen Beamten, vom niedrigsten bis zum höchsten, bis zum Reichskanzler, $Seite 346$ grade zum Reichskanzler, daß er Deutsch, nur Deutsch, einzig und allein Deutsch spreche und schreibe, wo er sich an Deutsche wendet. Es darf um der deutschen Würde und Selbstachtung willen niemals wieder vorkommen, daß der höchste Beamte des Deutschen Reichs, nun gar inmitten eines Krieges ums deutsche Dasein, sich nicht anders als mit realen Garantien, Désintéressement, Demarchen, absolut aktuell im Deutschen Reichstag verständlich machen kann. Solange die am weitesten hör- und sichtbare Stelle solch beschämendes und verderbliches Beispiel gibt, hat man nicht den Mut, gegen irgendwelches Schreiberlein einen Vorwurf wegen seines Fremdbrockenstiles zu erheben. Ein Reichskanzler, der sich's zum strengen Gesetz machte, reines Deutsch zu sprechen und zu schreiben, könnte diese eines deutschen Beamten allein würdige Ausdrucksform allen seinen Untergebenen zur Pflicht und gerngeübten Gewohnheit machen; aber nur ein solcher. Von der Achtung, die einem solchen Staatsmann schon für diese unaufdringliche Bekundung seines deutschen Stolzes gezollt werden würde, brauche ich nicht zu reden. Die heutige Beamtensprache ist unvergleichlich reiner als die jeder früheren Zeit. Sie lateinert nur noch ein kleinwenig mit pro, sub, in, peto, reproducatur, in duplo; aber auch diese Zeugen ehemaliger fremdsprachiger Wichtigtuerei müßten bis auf den letzten Rest verschwinden. Wenn im englischen Gerichtsverfahren hier und da ein altfranzösischer Brocken unterläuft, so ist das entschuldbarer als ein lateinischer im deutschen Staatsleben, denn England war einmal französisch, Deutschland aber niemals römisch. Unsre Staatsbehörden und viele städtische sind bemüht, ihre Amtsprache von der welschen Verschmutzung zu säubern; aber es geschieht mehr ruckweise durch einzelne Erlasse — oft von solchen Stellen, die sich selber an ihre Verordnungen nicht kehren —, als durch stetige Übung. Die Behörden bedenken nicht, daß jeder deutsche Bürger ein Recht auf reines Deutsch in jedem amtlichen Schriftstück hat, das sich an ihn wendet, und daß eine Anordnung in andrer als deutscher Sprache eigentlich der vollen innern Rechtskraft entbehrt. Eine Staatsbehörde, eine hamburgische, die im Kriege einen wichtigen Erlaß über Lebensmittelverteilung hinausgibt und darin immerfort von Zerealien welscht, kann noch von Glück sagen, wenn die Findigkeit des Volkes dies in Verzehrealien umdeutet; aber die $Seite 347$ Lächerlichkeit einer solchen schnurrigen Sprache in bitterernster Zeit verdrießt, und Behörden dürfen sich nicht lächerlich machen. Die Zahl der einer deutschen Amtstelle allenfalls erlaubten Fremdwörter übersteigt nicht das vierte Dutzend; die meisten Behörden kommen mit weniger als hundert Dutzenden nicht aus. Das Hauptgebrechen des Amtstils ist das Recken und Strecken. Besonders die einfachen Zeitwörter sind ihm zuwider, genügen nicht seinem Hange zu gespreizter Wichtigtuerei. Mancher Beamte, sonst im Leben ein anspruchsloser Mensch, glaubt es seiner Amtswürde zu schulden, nie Ein Wort zu setzen, wo man dafür zwei, drei oder noch mehr durch Ziehen und Zerren zustande bringen kann. Die einfachen Zeitwörter erscheinen ihm im Lichte des nicht amtlich Abgestempelten, des nicht Festangestellten; erst durch die Verwässerung und Verquickung mit einem vom Zeitwort abgeleiteten Hauptwort bekommt der Ausdruck für ihn Wert, Würde, Weihe, Wucht. In Wahrheit bekommt er nur das Gepräge der Wichtigtuerei. ,Getretener Quark wird breit, nicht stark' (Goethe). Nichts und niemand erscheint, betrachtet, nimmt an, führt durch, hebt auf, meldet an, verkauft, kauft, versteigert, fällt weg, erwägt; sondern: es tritt in die Erscheinung, nimmt in Betrachtung, gibt sich der Annahme hin, bringt zur Durchführung, bringt zur Aufhebung, bringt zur Anmeldung, bringt zum Verkauf, bringt käuflich an sich, bringt zur Versteigerung, kommt in Wegfall (meist: in Fortfall, vgl. S. 161), nimmt oder zieht in Erwägung. Der Beamtenstil haßt besonders solche Kernwörter wie: angreifen, beendigen, verhaften; reckt sie aus: in Angriff nehmen, zu Ende führen, in Haft nehmen. Er gibt nichts aus, sondern verausgabt mindestens, bringt aber noch lieber zur Verausgabung; verliest nichts, sondern bringt zur Verlesung; steht nicht ab, sondern nimmt Abstand; untersucht nicht, sondern zieht zur oder nimmt in Untersuchung oder stellt eine Untersuchung an; bebaut nicht, sondern führt der Bebauung zu. Er hat seine eignen Vorwörter, immer die längeren, die unechten umstandswörtlichen, und verabscheut die einsilbigen. Aus durch wird im Wege (nicht durch), sondern im Wege der Zwangsversteigerung). Aus von wird von seiten, wenn nicht seitens, eines der unentbehrlichsten und doch ganz über- $Seite 348$ flüssigen Wörter des Beamtenstils; daneben liebt er die Bildungen mit dem Schwänzchen . . seits: staatlicherseits, feindlicherseits, englischerseits. Aus wegen wird im Hinblick auf, aus Veranlassung, in Folge von, in Anbetracht. Statt mit heißt es: in Begleitung von, statt zu: zum Zweck, im Drange nach besondrer ,Kürze': zwecks, behufs. Aus ,Das Gelände eignet sich zur Besichtigung' wird: ,. . zu Besichtigungszwecken' . Bezüglich ist eins der beliebtesten Kanzleivorwörter; das entsprechende Umstandswort heißt diesbezüglich. Daß bezüglich überflüssig ist, beweist die Felddienstordnung von 1908; ,In der Zubereitung der Lebensmittel macht der Soldat . .' ; früher hatte der Satz mit diesbezüglich angefangen. Vor Zahlen wird nie vergessen, ausdrücklich zu sagen, daß sie eine Summe ausmachen: ,Der Neubau wird die Summe von 100000 Mark kosten' ; oder es wird in Höhe von eingeschoben. Aus ,eine Sache wird kosten' entsteht: ,.. wird eine Ausgabe in Höhe von .. verursachen' (oder bedingen, vgl. S. 222). Bei Zeitangaben darf der ausdrückliche Zusatz nicht fehlen, daß wir es wirklich mit einer Zeit zu tun haben. ,Geheizt wird vom Oktober bis zum April' ? Unerträglich kurz, also: ,Die Vornahme der Heizung erfolgt in der Zeit vom . .' Was nicht erfolgt, sondern schon ist, das ist eben nicht, sondern es befindet sich. Und wo nicht befindet steht, da befindlich: ,Der Ofen des Zimmers raucht' ? So spricht ein Mensch; der Kanzleimann verwandelt dies in: ,Der im Zimmer befindliche Ofen ist in einem derartigen Zustande, daß beim bezüglichen Heizen eventuell das Rauchen in die Erscheinung tritt.' Ein Geschehnis kurzweg durch das ihm gebührende Zeitwort auszudrücken, bringt der Amtstil nur in Ausnahmefällen ,übers Herz'; dazu hat man doch das Allerweltswort erfolgen, welches stets das dem Amtstil unentbehrliche Hauptwort ,bedingt' . Die Klasse wird nicht geprüft, sondern. ,Die Prüfung der Klasse erfolgt' ; ein Verein wird nicht eingetragen, sondern ,Die Eintragung (desselben!) erfolgt' ; der Schüler wurde nicht bestraft, sondern ,Die Bestrafung mußte erfolgen, weil . .' Nämlich bis in die Schule, soweit sie schreibend verwaltet, ist der Amtstil eingedrungen. Der Lieblingsredeteil des Beamten ist das Hauptwort, wenn irgend möglich ein Denkwort statt des Dingwortes. Man sehe sich die Sätze 526, 527 des BGB. auf ihre Hauptwörter an! $Seite 349$ Und dagegen halte man: Luther hatte im Psalm 19 zuerst geschrieben: ,Ihr Ausgang ist vom Ende des Himmels und ihr Umlauf wieder an dasselbe Ende' (Hauptwörter wie im Hebräischen); hieraus wurde später die jetzige zeitwörtliche Fassung. Dunstwörter auf ung und keit fehlen in keinem längern Beamtensatz; hinzu treten verblasene Zusammensetzungen mit ..nahme: Inangriffnahme, Kenntnisnahme, Maßnahme, Inanspruchnahme, Anlaßnahme, Einvernahme, Ingebrauchnahme, Stellungnahme, Einsichtnahme usw. Ärgerte man sich nicht über die wäßrige Breitspurigkeit solcher Hauptwörter, so möchte man die nicht geringe Kunst bewundern, womit die sprachlich sonst nicht übermäßig gewandten kleinsten Beamten es fertig bringen, das verhaßte kurzgeschürzte Zeitwort zu vermeiden und durch eins mit langer Hauptwortschleppe zu ersetzen. ,Der Bau wird genehmigt' wird ausgereckt in: ,Die Genehmigung des Baues darf erfolgen.' — ,Das verkäufliche Fleisch wird durch Plomben gekennzeichnet' — wird zu: ,An dem zum Verkauf zu stellenden Fleisch erfolgt die Kennzeichnung durch Anbringung von (bezüglichen!) Plomben.' — Aus ,Die Schweine des Bezirks sind bis zum 15. Oktober zu zählen' wird: ,Die Zählung der .. hat in der Zeit bis .. zu erfolgen.' Aus ,können' wird, wo immer möglich, ,in der Lage, imstande sein' . Man bedenke: Fast alle Schriftstücke von Behörden richten sich an Volksmassen, also zum größten Teil an sprachlich nicht sehr gewandte Menschen, zu denen man in der einfachsten, klarsten Sprache reden muß, um verstanden zu werden. Aber grade zu diesen spricht der Amtstil in Ausdrucks- und Satzformen, deren volles Verständnis selbst Hochgebildeten nicht immer möglich ist. Jede Sprachform der Bestimmtheit und Entschiedenheit wird tunlich umgebogen in Unsicherheit und Ängstlichkeit, daher z. B. das zaghafte dürfte statt ist (vgl. S. 238). Aber schon die Tatform des Zeitwortes ist, eben weil sie ein Tun bezeichnet, mißliebig: die unsichtigere Leideform ist die bevorzugte des Beamtenstils. Das Amt ordnet nicht an, sondern: Seitens . . wird angeordnet. — ,Der Sachverständige darf 100 Mark Entschädigung beanspruchen' wird zu: ,Seitens des .. darf . . in Höhe von . . in Anspruch genommen werden.' Mit dem Zurücktreten der Leideform würden auch das unvermeidliche seitens und seine Geschwister: von seiten, .. seitig, .. seits, diesseits allmählich verschwinden. $Seite 350$ Und der letzte Grund dieser Absonderlichkeiten grade des Beamtenstils? Er ist mehr als jeder andre dem wirklichen Leben sprachlich entfremdet, schreibt durchweg nicht Lippen- und Zungensprache redender Menschen, sondern Papiersprache, — er ist ein gradezu unmenschlicher Stil. Nur die Einsicht des schreibenden Beamten, daß er ein Mensch für Menschen und unter Menschen ist, daß er zu lebenden Menschen, nicht zu Aktenbündeln spricht, kann den Beamtenstil von Grund aus umgestalten, nämlich vermenschlichen. Der Stil ist der Mensch, und jeder Mensch hat seinen Stil. Je mehr Mensch der Beamte in der ganzen Auffassung seines Verhältnisses zu Menschen wird, desto mehr wird sich sein Stil der Menschenrede annähern; damit werden ganz von selbst alle Verkalkungen, Versteinerungen und Verzopfungen verschwinden, die wir jetzt fast in jeder Zeile eines amtlichen Schriftstückes beklagen. So allgemeine schwere Gebrechen einer Ausdrucksform wie die in diesem Abschnitt betrachteten lassen sich nur durch eine vollständige Umwälzung der Geistesverfassung, nicht durch noch so eindringliche Lehren über Einzelheiten heilen. Bis das geschehen, kann allerdings jeder Beamte für sich eine Sprache und einen Stil schreiben lernen, die seiner selbst und seiner Stellung würdig sind. In den Prüfungsordnungen für Beamte aller Grade sollte eine Bestimmung stehen, wonach jeder Prüfling seine Fähigkeit nachweisen muß, ein beliebiges amtliches Schriftstück um ein Drittel zu kürzen. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Behördensprache, Goethe - Johann Wolfgang, Schriftsprache |
Bewertung |
nicht mehr der schlechteste, der allerschlechteste Stil, undeutscheste Sprache, sehr übler Zustand, nicht Schönheitsfehler, sondern Ungehörigkeiten, solch beschämendes und verderbliches Beispiel, unvergleichlich reiner, fremdsprachige Wichtigtuerei, Lächerlichkeit, welsche Verschmutzung, gespreizte Wichtigtuerei, unecht, überflüssig, unerträglich kurz, wäßrige Breitspurigkeit, nicht geringe Kunst, unvermeidlich, Absonderlichkeiten, sprachlich entfremdet |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Behördensprache, Sprache der Politik, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Hamburg |
Bewertung | |
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Bezugsinstanz | Behördensprache, Schriftsprache |
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Bezugsinstanz | Behördensprache, Schriftsprache |
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Bezugsinstanz | Behördensprache, Schriftsprache |
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