Die Wortstellung
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 315 - 320 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
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Genannte Bezugsinstanzen: | Zeitungssprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Fichte - Johann Gottlieb, Gehobene Sprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gelehrte, Prosa, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Volk |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Zeitungssprache |
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Text |
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Mir ist selten, wenn überhaupt je, ein Ausländer begegnet, der bei noch so guter Kenntnis des deutschen Wortschatzes und der deutschen Fügungsgesetze unsre Wortstellung vollkommen beherrscht hätte. Das ist sehr begreiflich und entschuldbar, denn die Wortstellung im Deutschen ist nicht nur schwierig, sie ist auch, soweit meine Sprachkenntnisse reichen, die schwierigste, zugleich die merkwürdigste unter denen aller großer Bildungsprachen. Aber grade in dieser so schwer oder nie durch Unterricht zu erlernenden Kunst begeht selbst der einfachste Mann in Deutschland nur selten einen groben Fehler — im Sprechen! Er beherrscht spielend Satzgebilde, deren Erklärung und Gesetzgebung den tiefsten Sprachforschern Schwierigkeiten bereiten, und oft staunt der Buchgelehrte, mit welcher Sicherheit und Feinheit Redner aus dem Volke ohne besondre Spracherziehung grade den Satzbau und die mit ihm zusammenhängende Wortstellung meistern. Das ist ein Glück; denn sie aus Büchern zu lernen, ist so gut wie unmöglich, und in allen Lehrbüchern unsrer Sprache sind die Abschnitte über Wortstellung die hilflosesten. Alle Sprachlehrer, die sich von der Unmöglichkeit überzeugt haben, die Wortstellung zu lehren, begnügen sich vernünftigerweise mit einigen wichtigen Winken und Warnungen; ihrem Beispiel folge ich aus der gleichen Überzeugung und tröste mich, wie sie es tun, daß der Deutsche die Wortstellung seiner Sprache triebmäßig beherrscht, ohne ihre letzten Gründe zu kennen. Nur gewisse meist anerzogene, durch Verbildung angeflogene Unarten dem Schreiber abzugewöhnen, ist Aufgabe eines Führers zu gutem Deutsch; der Sprecher bedarf meist keiner Unterweisung. Daß dieser Unterschied zwischen dem schreibenden und dem sprechenden Deutschen besteht, hat seinen Grund in dem für noch manches andre Gebrechen des Ausdrucks verantwortlichen Aberglauben, man dürfe nicht nur nicht so schreiben, wie man spricht, sondern man müsse möglichst anders schreiben, als man spricht. Ein Schreiber hat keinen bessern Nachprüfer seiner $Seite 316$ Wortstellung als sein inneres Ohr: er lese sich laut oder stumm alles Geschriebene vor und unterwerfe es der Goldprobe, ob es in fließender Rede, im gepflegten Gespräch mit Gebildeten so gesprochen werden könnte, ohne gesucht, unnatürlich, — kurz, geschrieben zu klingen. Ein schlagendes Beispiel: Ich kenne einen Schriftsteller, der beim Schreiben grundsätzlich die Fürwörter mich, dich, ihn, besonders sich möglichst weit nach hinten, möglichst dicht vor das Zeitwort setzt, — eine dem deutschen Sprachbaugesetz schnurstracks zuwiderlaufende Geckerei, begangen aus Auffallsucht. Ich habe ihn im lebhaften Gespräch beobachtet, wie er als natürlich redender Mensch oder als Redner in freien Vorträgen seine Muttersprache behandelt —: genau so wie ich und alle Welt! Er setzt im Sprechen, wie sich’s gehört, wie unsre Sprache es aus leicht nachweisbaren Gründen unbewußt meisterlich übt, alle mich dich sich so weit nach vorn, wie sein Bäckerjunge und sein Dienstmädchen. Sobald er aber mit der Feder am Schreibtisch sitzt, verrenken ihm Eitelkeit und Ziererei allen Sinn für die vernünftige, die natürliche, die einzig richtige Wortstellung, und der gewandte Sprecher wird zum hinkenden, schnörkelnden Schreiber. Übrigens bleibt es dem gesunden Leser unfaßbar, welche Art der eiteln Verdrehtheit wohl in solcher verdrehten Wortstellung Befriedigung suche. Das unverbildete Sprachgefühl zwingt jeden Deutschen von selbst, das oberste Wortstellungsgesetz sicher zu beobachten: Jedes zum schnellen und klaren Verständnis des Satzes unerläßliche Wort muß so früh wie möglich gebracht, keines darf ohne zwingenden Grund verspätet werden. Das ältere Deutsch ging in der Anwendung dieses Grundgesetzes viel weiter als wir; wichtige Fürwörter in Beugungsformen standen weit vor dem Zeitwort, das sie beherrschte; das Zeitwort stand an der Spitze des Satzes, also in einer Fragestellung, die keine Frage, sondern die nachdrücklichere Hervorhebung des Tuns bezweckte (vgl. S. 192), und andres mehr. Die Dichtung hat manche schöne Freiheiten dieser Art bewahrt, aus der Alltagsprosa sind sie so gut wie verschwunden. Der Leitgedanke aber der deutschen Sprache: Wichtiges voran und an seinen möglichst frühen Platz, ist geblieben, und jeder Schreiber, gleichviel auf welcher Stufe, sollte es treu bewahren. Jede willkürliche Abweichung rächt sich durch die Verschiebung des Gedankens, oft durch unfreiwillige Lächerlichkeit. $Seite 317$ Jemand will einen Vortrag ankündigen über die Abstammung der Affen in Gibraltar und faßt die Zeitungsanzeige so ab:
Die Abstammung der Affen in Gibraltar Von Lehrer Wilhelm Piefke.
Die Wortstellung des Geschriebenen muß den größten Teil der Hilfen ersetzen, welche die mündliche Rede vor der schriftlichen voraus hat. Oberster Zweck beider Sprachgattungen ist das schnelle und lückenlose Verständnis; jedes hierzu dienende Mittel muß angewandt werden, denn jede eigenwillige oder achtlose Verschmähung wird durch Unklarheit bestraft. Was so eng wie möglich beisammen stehen muß, weil es im Gedankengange dicht auseinander folgt, das trenne man nicht: das bezügliche Fürwort — ich wiederhole dies (vgl. S 312) — rücke man ängstlich so nahe an das bestimmende Wort, wie der Satz es irgend gestattet, also nicht etwa: ,Ein Kindermädchen wird gesucht für ein Kind von einem Jahr, das nähen und stricken und in der Wirtschaft behilflich sein kann. — Gestern Abend großer Ball im Schlosse beim Herzog, der sehr voll war.' Man stelle an die Spitze des Satzes keine Hauptwortform, deren Beugungsverhältnis nicht sogleich deutlich erkennbar ist oder wird, sondern sich erst weit hinten, oft verblüffend und umkehrend, offenbart. Der Leser ist nicht im Unrecht, wenn er in dem folgenden Satze ,Die Frau' eine Weile als 1. Fall auffaßt, und er bekommt einen Ruck, wenn er erst ziemlich spät seinen unverschuldeten Irrtum erkennt: ,Die Frau, die er elf Jahre hindurch schwärmerisch verehrt hatte, der er jede Regung .., von der er .., sah er plötzlich in einem Lichte ..' Das Zeitwort hat meist eine späte Stelle im deutschen Satz, und diese Grundregel des Deutschen läßt sich nicht will- $Seite 318$ kürlich umstoßen. Unbedingte Vorschrift ist die ganz späte Stellung des Zeitwortes nicht, und in manchem Falle wird das schnelle Verstehen eines langen Satzes wesentlich erleichtert durch feinsinniges Voranziehen, besonders im gehobenen Stil. In Fichtes Reden an die deutsche Nation findet sich dieses Mittel oft zu starker Wirkung und zum Vorteil für den Satzbau angewandt: ,Denket, daß in meine Stimme sich mischen die Stimmen eurer Ahnen aus der grauen Vorwelt, die mit ihren Leibern sich entgegengestemmt haben der heranströmenden römischen Weltherrschaft, die mit ihrem Blute erkämpft haben die Unabhängigkeit der Berge, Ebenen und Ströme.' An die Nichttrennung zusammengesetzter Zeitwörter (vgl. S. 217) muß bei dieser Gelegenheit wieder erinnert werden. Eine Gewohnheit darf die Nichttrennung nicht werden, und der Alltagschreiber hüte sich lieber ganz davor, denn ihm stehen andre Mittel zu Gebote. Das verneinende, das einschränkende, das steigernde Umstands- oder sonstige Wort gehört möglichst dicht vor das Wort, auf das es sich bezieht. Besondre Aufmerksamkeit schenke man den Wörtchen nicht, nur, allein, kaum, fast, selbst usw.; doch gibt es keine Verbotregel gegen die Einschiebung eines notwendigen ergänzenden Bestimmungswortes (vergleiche S. 297), ja selbst eines ganzen kurzen Zwischensatzes: ,Er war nicht, wie man in Weimar glaubte, in Karlsbad geblieben, sondern ..' Aufeinander Angewiesenes, also Zusammengehöriges trenne man nicht. ,Das verlassene Haus . .' Wann verlassen? Die Antwort hieraus muß dicht bei ,verlassen' stehen, also nicht ,Das verlassene Haus seit dem Tode des Besitzers' , sondern nur: ,Das seit dem Tode .. verlassene Haus.' Ebenso nicht ,Verbotener Weg für Radfahrer' , denn der Weg soll eben keiner für Radfahrer sein, er soll ihnen oder für sie verboten sein, also nur: ,Für Radfahrer verbotener Weg.' — ,Der geschädigte Kaufmann in seinem Ansehen' .. Geschädigt und Ansehen bilden die Begriffseinheit, der geschädigte Kaufmann bleibt dunkel; erst das Hinzutreten von Ansehen macht geschädigt voll verständlich, also: ,Der in seinem Ansehen geschädigte Kaufmann.' Eine Zeitung überschreibt einen Aufsatz: ,Propaganda gegen den Krieg in Südrußland.' Beim ersten, ja noch beim zweiten $Seite 319$ Lesen bedeutet dies seiner Wortstellung gemäß: Es wird dagegen gearbeitet (wo?), daß in Südrußland Krieg geführt werde. Der Aufsatzschreiber hatte sagen wollen, man arbeite, werbe, wühle in Südrußland gegen den Krieg, der irgendwo, vermutlich im übrigen Rußland, geführt wird. Propaganda in Südrußland ist ein einheitlicher Begriff; diese Einheit darf nicht durch ein Einschiebsel zerrissen werden. Der Einwand, daß auch Propaganda gegen den Krieg eine Einheit bilde, trifft in diesem Falle nicht zu: der Schreiber wollte den Bezirk besonders hervorheben, wo die Propaganda vor sich gehe; die Angabe des Bezirks ist in diesem Falle das Unterscheidende, folglich hat die mit Südrußland hergestellte Einheit den Vorrang. Die Wortstellung des Schreibers hätte nur dann einen Sinn, wenn ein Krieg in Südrußland tobte und man ihm durch eine Propaganda irgendwo anders ein Ende machen möchte. ,Ich pflegte ihn fast jeden Tag einen Monat lang zu besuchen' : der richtige Sinn wird erkannt, aber doch nur, nachdem der Unsinn des allerersten Eindrucks verwischt worden. Hervorgehoben werden soll vornehmlich, daß der Besuch fast täglich geschah, die Dauer dieser Gepflogenheit kommt in zweiter Reihe; folglich bilden fast jeden Tag und besuchen die nicht zu zerreißende Begriffseinheit, und die richtige Wortstellung ist: ,Ich pflegte einen Monat lang ihn fast jeden Tag zu besuchen.' Die scheinbar launenhafte deutsche Wortstellung folgt sehr zarten, aber sehr mächtigen innern Gesetzen. Von zwei oder mehr Beiwörtern eines Hauptwortes muß in der nächsten Stellung das stehen, das die engere Begriffseinheit mit dem Hauptwort bildet. ,Die tapferen deutschen Soldaten haben Wunder der Ausdauer getan' , nicht ,Die deutschen tapferen ..' Die Tapferkeit soll von den deutschen Soldaten im allgemeinen ausgesagt werden, diese bilden die Begriffseinheit, und das näher bestimmende Beiwort tapfere tritt vor diese Einheit. Die deutschen tapferen Soldaten würde aus der Allgemeinheit der tapferen Soldaten der Welt die deutschen herausheben; oder auch nur einen Teil der deutschen Soldaten tapfer nennen. — ,Der schwere südliche Wein' muß es heißen, wenn von mehren Südweinen einer als schwer herausgehoben werden soll; ,der südliche schwere Wein' bezeichnet von mehren schweren Weinen einen als Südwein. Man schreibe mehr als ein Beiwort niemals $Seite 320$ vor ein Hauptwort, ohne sich die Frage vorzulegen, woraus die mit einem auszeichnenden Beiwort zu versehende innigere Begriffseinheit besteht. Man lasse wichtige Orts- und Zeitbestimmungen nicht an beliebiger Stelle des Satzes und in beliebiger Form schludrig nachschlottern. Ein ehemals berühmter Schreiber sudelte hin: ,Man will heute Goethes Verhältnis zu Bettina damals so auffassen.' Dies wäre selbst im nachlässigsten Gespräch unter Gebildeten unerlaubt. — Von demselben: ,Die Natur scheint sich selbst zu widersprechen oftmals. — Unter diesen Umständen beendet er sein Werk, um die Aufstellung durchzusetzen jedoch, muß er erst noch einmal nach Rom.' Wortstellungen solcher Art erinnern an die zerbrochenen Glieder eines Geräderten. Freilich gibt es Satzgebilde, die keine noch so richtige Wortstellung retten kann vor der angeborenen Lächerlichkeit: ,Sie klopfte mit ihrem bekümmerten Herzen an die Stubentür' ; hier sitzt der Fehler tiefer, und das Unglück wird erst erkannt, wenn es zu spät ist. In solchen Fällen hilft nur eins: streichen und neu bauen, etwa bekümmerten Herzens . .' Oder ein landrätliches ,Verbot, das Vieh im Stall mit brennenden Zigarren und offnen Lichtern (!, vgl. S. 107) zu füttern' . Die öffentliche Wohlfahrt stimmt aus zwei Gründen solchem Verbote zu, die Sprache erhebt Einspruch. — ,Menalkas führte seine Herde brüllend durch den Hain.' Dies ist allerdings ein noch ärgerer Fehler als bloß einer der Wortstellung. Beisätze gehören in eine so enge Verbindung mit dem Wort, dem sie als beigesetzt gelten sollen, daß keine falsche Beziehungen entstehen. ,Angefüllt mit edlem Rheinwein überreiche ich Eurer Majestät diesen Willkommbecher' , was an den vollen Herzog statt des vollen Balles erinnert (S. 317). Die untrennbare Begriffseinheit ,angefüllt mit edlem Rheinwein' und ,Becher' zerreißt der Redner, schiebt sich zwischen beide, und die Folgen sind schlimm. Kein deutscher Fürst oder Minister, wohl auch kein Geheimrat, verlangt, daß man aus Ehrerbietung die Grundgesetze deutscher Wortstellung verletze: ,Indem Eurer Majestät dieses ehrfurchtsvolle Gesuch ich unterbreite . .; . . so wagen Eurer Exzellenz unsre Bitte nochmals wir vorzutragen' ; ,wenn dem Herrn Geheimrat den Bauplan ich empfehlen darf . .' |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, Gesprochene Sprache, Prosa, Volk, Gelehrte |
Bewertung |
sehr begreiflich und entschuldbar, nicht nur schwierig, die schwierigste, merkwürdigste, vernünftigerweise, durch Verbildung angeflogene Unarten, unnatürlich, schnurstracks zuwiderlaufende Geckerei, vernünftig, natürlich, einzig richtig, hinkend, schnörkelnd, eitel Verdrehtheit, unfreiwillige Lächerlichkeit, eigenwillige oder achtlose Verschmähung, ängstlich, nicht im Unrecht, schludrig, angeborene Lächerlichkeit, ein noch ärgerer Fehler, schlimm |
Intertextueller Bezug |
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Bezugsinstanz | Fichte - Johann Gottlieb, Gehobene Sprache |
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Bezugsinstanz | Zeitungssprache |
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Bezugsinstanz | Zeitungssprache |
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