Guter Stil *2

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 339 - 342

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit
Text

Nicht nur einen guten Stil will man schreiben, er soll auch ,schön' sein, wobei sich jeder etwas andres denken kann. Zumeist denken die mittelmäßigen Schreiber dabei an den blumigen und bilderreichen Stil, der in allen Farben prangt, in allen Lichtern glitzert. Es gibt keinen an sich ,schönen Stil', wie es keine an sich ,schöne Sprache' gibt. Schön ist die Sprache, durch die ein Gedanke vollkommen richtig, unmißverständlich und in knappester künstlerischer Form ausgedrückt wird; schön eine Darstellung, die in der angemessensten Form dem Inhalt gerecht wird. Bloße sogenannt schöne Sprache ist leerer Klingklang. Und dann: es gibt keine Schönheit des Nichtigen; wertloser Inhalt in äußerlich schöner Form ist ein Greuel vor Gott und Menschen. Lessings schon einmal angerufenes Wort: ,Die größte Deutlichkeit war mir immer die größte Schönheit' gilt heute wie vor 150 Jahren, wenn wir auch hinzudenken müssen, was sich für Lessing von selbst verstand: die größte Deutlichkeit dessen, was verdient geschrieben zu werden, also des irgendwie Wertvollen. Für den einfachen Schreiber kann dies schon der kleinste Brief sein.

Es gibt Schreiber, selbst manche gerühmte Schriftsteller, besonders älterer Zeit, die ohne eigne Dichtergabe durchaus in Prosa dichten, malen, bildhauen wollen. Der schlichte Ausdruck dünkt sie zu flach, zu blaß, zu gewöhnlich; er muß farbig übermalt werden, und handelte es sich um die bedeutungslosesten Alltagsdinge. Nach so vielen ernsten Betrachtungen soll der Leser auch einmal seinen Spaß haben, wie ihn der Verfasser beim Sammeln dieses Bilderbogens deutschen Stiles gehabt hat. Manches Bildchen ist nicht ganz echte Lebenskunst, sondern absichtsvoll neben dem Leben her gemalt; lehrreich ist aber auch diese Gattung. ,Ich durch- $Seite 340$ lebte dornenvolle Kinderschuhe. — Endlich eine Friedenstaube aus bester Quelle. — Wann wird endlich die Friedenspalme unterzeichnet werden? — Der Dreizack des meerbeherrschen- den Albion ist von starker Faust erfaßt und droht den Händen des britischen Löwen zu entgleiten (der Fachmann ,Nautikus' in der Neuen Freien Presse 1916). — Ein roter Faden (sehr beliebtes, meist unverstandenes, höchst gefährliches Bild) von Blut und Eisen durchzog bereits seine Jugendzeit (aus einer Jugendschrift über Bismarck). — Dieser Grund ist wie eine Oase in eine Wüste hineingeschneit (Reichstag). — Er floß von überaus trockenen Auseinandersetzungen über. — Das ins Meer gestürzte Pferd machte übermenschliche Anstrengungen, sich über Wasser zu halten. — So erlebte denn Goethe noch 50 Jahre nach seinem Tode endlich die erste Aufführung seines Jugendwerkes. — Die Bären lecken ihr Junges so lange und so anhaltend, bis es ihrer Gestalt gleichkommt. So wirke auch du, christlicher Lehrer, auf deine Zöglinge, daß sie dir im Gutsein ähnlich werden! — Das Unternehmen hatte die Kinderschuhe abgestreift und faßte mit frischem Wind in den Segeln überall festen Fuß. — Kann man denn die bittre Pille des Steuerzahlens nicht mit dem billigen Mantel der Höflichkeit versüßen? — Während dieses Weltkrieges steht die deutsche Bevölkerung mit einem Fuß im Zuchthaus, mit dem andern nagt sie am Hungertuch. — Sie beichtete sich bei der Gelegenheit allen Sauerteig vom Herzen herunter. — Die englische Politik ist ein wahrer Brutofen für Kriege (ein Reichskanzler im Reichstag, 19. 8. 1915). — Zentnerschwer lastet auf unsrer Presse das Auge der Zensur. — Es ist endlich an der Zeit, diesem Zopf in unsrer Verwaltung den Star zu stechen (preußisches Abgeordnetenhaus). — Sie konnte die eisige Kälte, die noch immer in ihrem Herzen glimmte, nicht loswerden. — In die großen braunen Angen senkte sich das Bild hinein und senkte sich langsam auf einen Fahrstuhl, um dort sitzen zu bleiben und wann? wieder emporzutauchen (Liliencron!). — Mit der Art von Jauche, die der geehrte Herr Vorredner im Auge gehabt hat, läßt sich auch keine Seide spinnen (auf einer landwirtschaftlichen Versammlung). — Die Wiege dieses für unsre Landwirtschaft so wichtigen Huhnes hat in Spanien gestanden' (aus einer Landwirtschaftszeitung).

Knüpfen wir an dieses Huhn und seine spanische Wiege $Seite 341$ die Untersuchung der Quelle — halt, ein Bild!, also Vorsicht, — der Quelle, aus der diese falsche Bilderei fließt, nicht etwa: wächst! Das Deutsche ist die bilderreichste aller Sprachen: mehr als die Hälfte aller Zeitwörter, besonders die zusammengesetzten, sind einst bildlich gewesen und zeigen ihre Bildnatur noch heute: befassen, begreifen, ergründen, vorziehen, überlegen; und die bildlichen Redewendungen wie: ,einen Bock schießen, den Nagel auf den Kopf treffen, den Vogel abschießen, aufs Eis führen, übers Ohr hauen' sind nicht zu zählen. Jean Pauls Satz: ,Jede Sprache ist ein Wörterbuch erblaßter Metaphern' (Bilder) gilt von keiner so sehr wie von der deutschen. Wir alle, auch die nüchternsten Alltagsmenschen, sprechen und schreiben immerfort in Bildern, meist in fertigen und bewährten, so daß wir vor blühendem Blödsinn wie dem in unsrer Sammlung geschützt sind. Hierdurch ermutigt und verführt will der Schreiber, der kein Maler ist, durchaus auch einmal malen, wie er rings um sich her malen sieht — bald hätte ich geschrieben: hört —, und da er nicht malen kann, so bringt er Zerrbilder zustande. Niemand ist verpflichtet zu malen, niemand braucht blumig zu sprechen — ,Blumenkohl' nannte diese Redeform ein verstorbener Sprachforscher. Niemand sollte zu bildern anfangen, der nicht ,im Bilde' zu bleiben versteht. Man prüfe jedes besonders bildhafte Wort, das aus der Feder fließt, ehe man es zum Satze — ,ausspinnt' ? nein, ganz bildlos: gebraucht.

Man schreibe nicht ungeschaute, ungefühlte Bildwörter hin und überlasse sie ihrem Schicksal im Verlauf des Satzes. Die Bildkraft der meisten Wortbilder schlummert nur, wird durch das Satzgefüge aufgeweckt und kann dann an der falschen Stelle gefährlich werden. Ein so unschuldig klingendes Wort wie ,verdanken' erinnert immer noch an seine Wurzel Dank und rächt sich an dem Nachlässigen, der es mißbrauchend schreibt: ,Das schreckliche Unglück verdankte einer Unvorsichtigkeit seinen Ursprung.' Oder man nehme ein Wort wie ,herunterkommen' , bei dem niemand mehr an die bildhafte Urbedeutung denkt: ,Die Leute sind schon so heruntergekommen, daß sie jetzt vier Treppen hoch wohnen müssen.' Gipfel bleibt Gipfel, also ein Höhenpunkt und der aufmerksame Leser lächelt bei dem ,Gipfel einer Demütigung' . Tiefe bleibt tief und ist der Gegensatz von hoch, also nicht: ,Wer dringt bis in die letzten Tiefen seines Hochmuts?'

$Seite 342$ Bewußt scherzhaft aufgetischt, wirkt solch Blumenkohl überaus lustig: ,In Afrika liegt der Tabakbau noch tief in den Windeln. — Darf ich Ihnen mit etwas Kölnischem Wasser unter die Arme greifen?' Aber wo ist die Grenze zwischen bewußter und unbewußter Drolligkeit? Darf man von einem eingefleischten Vegetarier sprechen? Darf man kalte Bäder warm empfehlen? Und wie steht es mit der berauschenden Bilderpracht der Börsensprache: ,Stiller Kaffe, ruhige Schweine, Lämmer stramm, Stiere nachgebend, Laura versteift, Phönix lustlos' ? Ich denke, dagegen ist gar nichts zu sagen, denn die Börsensprache, gleich mancher andern engen Fach- und Standessprache, steht jenseit von Gut und Böse.

Endlich der fließende Stil, den manche für ein erstrebenswertes Hochziel halten. Er ist keine besondre Gattung des Stils, sondern fließend soll bis zum gewissen Grade alles Geschriebene sein: es soll fließen, nicht holpern, stolpern, poltern, rumpeln, humpeln, blubbern, stammeln, hacken, stocken, stoßen. Der gute Schreiber wählt seine Ausdrücke und baut seine Sätze so, daß der Leser nicht durch die Schuld des Schreibers größere Schwierigkeiten zu besiegen habe, als im Stoffe liegen; daß er nicht grübeln müsse über die Bedeutung der Wörter, den Zusammenhang des Gefüges, die Beziehungen im Satze. Der Leser will und soll nicht gegen Pflöcke und Blöcke, Knubben, Stubben und Steine taumeln, sondern gemächlich ausschreiten. Muß er Sätze oder Satzglieder oder Wörter zweimal, dreimal lesen, um sich über Sinn und Fügung klar zu werden, so klagt er mit Recht über Mangel an Flüssigkeit. Selbst ein schwieriger Stoff läßt sich so darstellen, daß zwar bedachtsam gelesen und von Zeit zu Zeit innegehalten wird, um das Gelesene zu durchdenken und zu verarbeiten; daß aber nicht gestockt und rückwärts gelesen werden muß, um nur den Wortlaut richtig zu begreifen. Wo der gebildete und geübte Leser hierzu gezwungen wird, da darf er mit Recht die Schuld auf den verworrenen und seine Sprache nicht beherrschenden Schreiber schieben.


Zweifelsfall

Metaphern und ihr Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz 18. Jahrhundert, Gegenwärtig, Literatursprache, Alt, Prosa, Zeitungssprache, Jugendsprache, Sprache der Politik, Liliencron - Detlef von, Fachsprache (Landwirtschaft), Schriftsprache, Fachsprache, Fachsprache (Finanzwesen), Gebildete
Bewertung

vollkommen richtig, unmißverständlich und in knappester künstlerischer Form, angemessenste Form, leerer Klingklang, wertloser Inhalt in äußerlich schöner Form ist ein Greuel vor Gott und Menschen, ernst, lehrreich, sehr beliebtes, meist unverstandenes, höchst gefährliches Bild, blühender Blödsinn, gefährlich, mißbrauchend, überaus lustig, Blumenkohl, Drolligkeit, jenseit von Gut und Böse, verworren

Intertextueller Bezug Lessing, Jean Paul