Guter Stil *3
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 342 - 344 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Die peinlichen Sprachmeister hassen die unschuldigsten Freiheiten und Läßlichkeiten, die sich kraft des Geistes unsrer Sprache ein sonst gewissenhafter und sicherer Schreiber erlaubt. Nur einem solchen sind sie gestattet; einem ohnehin $Seite 343$ nachlässigen und stümpernden Schreiber ist überhaupt nicht zu raten. Die ,Fügungen nach dem Sinn' fordern, grade weil sie den Regeln widersprechen, besondre Vorsicht, und bei jedem ernsten Zweifel sind sie lieber zu meiden, denn unbedingt notwendig ist keine. Wenn aber die Sprachbüttel solche Fügungen verbieten, die sich aus einem allgemeinen Verkehrsbedürfnis, nicht bloß in Deutschland, herausgebildet haben, so höre man nicht auf sie, sondern schreibe z. B. Müller-Meiningen, wie man einst Schultze-Delitzsch geschrieben hat, und lasse sich durch keine Rüffeleien mit ,Abgeschmacktheit, Unsitte, dumme Mode, Hohn auf den gesunden Menschenverstand' einschüchtern. Abgekürzte Ausdrücke wie ,die Universität Leipzig, Zirkus Renz, Bad Ems' sind kein ,Mißbrauch', sondern nützliche, der Sprache nicht schädliche Bequemlichkeiten. ,Ersatz Preußen' für ein neues Schiff an Stelle eines früheren gleichen Namens will nicht vollendete Prosa sein, sondern nur kurze Fachsprache, der ähnliche Freiheiten zustehen wie der Drahtsprache. Gegen solche Bequemlichkeiten gleich mit ,Sprachzerrüttung, Negersprache' loszudonnern, ist abgeschmackt. Millionen deutscher Ladenschilder sind nach folgendem Muster beschrieben: Friedrich Schulze. Räucherwaren. Der Sprachbüttel beschimpft Millionen deutscher Kaufleute wegen Geschmacklosigkeit, Unsinns, Gestammels' und unterstellt dem arglosen Friedrich Schulze, sich selbst ,Räucherwaren' zu nennen. Das fällt diesem nicht ein, sondern sein Schild besagt: Ich heiße Friedrich Schulze, und dies ist ein Laden für Räucherwaren. Sollte er etwa sagen: Fr. Schulzes Räucherwaren? Der Büttel würde auch daraus irgend etwas Furchtbares erschnüffeln. In der Umgangsprache muß es erlaubt sein, zu sagen: ,Ich wohne Kaiserstraße 12' ; ja selbst so zu schreiben; wäre noch kein Fehler. Statt ,einmal' zu sagen mal muß zulässig sein, denn — alle Welt sagt so; und im Alltagstil darf auch so geschrieben werden, eben weil alle Welt so sagt. Ist ,die kleinere Hälfte' wirklich so ,vollkommner Unsinn', wie der Gestrenge der Sprachmeisterei behauptet? Dann haben schon unzählige ganz vernünftige Menschen den Unsinn $Seite 344$ begangen. ,Hälfte' ist für den Sprachgebrauch keine mathematisch genaue, sondern nur eine ungefähre Bezeichnung. Man darf auch ruhig sagen: ,Ich habe den Saal schon voller gesehen' , denn ,voll' bedeutet erst recht nichts genau Bestimmtes. ,Lieber Onkel und Tante' ist allerdings, genau betrachtet, nicht richtig; aber ist es ein Fehler? Es entspricht dem, was von Luther bis zu Goethe und darüber hinaus alle große Schriftsteller aus dem Geist unsrer Sprache für erlaubt angesehen haben. — Hierher gehört das zum natürlichen Geschlecht gegenüber dem sprachlichen (S. 243) und zur Wiederholung der Vorwörter nach den mit dem Geschlechtswort verschmolzenen Vorwörtern (S. 299) Gesagte. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schreiber guten Stils, Prosa, Fachsprache, Umgangssprache, Luther - Martin, Goethe - Johann Wolfgang |
Bewertung |
peinlich, unschuldig, nachlässig und stümpernd, nützliche, der Sprache nicht schädliche Bequemlichkeiten, abgeschmackt, kein Fehler, zulässig |
Intertextueller Bezug |