Wortschatz und Wortform *8
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 69 - 70 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Wustmann schimpft jedes Neuwort, das ihm nicht gefällt, ,Modewort', mag es selbst bei den besten Schreibern stehen, die sich keiner flüchtigen Mode unterwerfen. ,Wer überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie sofort und erkennt sie alle', so Wustmann der Unfehlbare über Dutzende von Wörtern, die den behutsamsten Schriftstellern als die ganz natürlichen aus der Feder fließen. Da sollen elende Modewörter sein: ,Darbietung, Ehrung, bedeutsam, eigenartig, erheblich, hochgradig, minderwertig, selbstlos, verläßlich, ausgestalten, darstellen, einschätzen, bewerten' usw., usw. (vgl. S. 57). Verwerfliche Modewörter sind in der Tat nicht schwer zu erkennen: an ihrer ewigen Wiederholung bei jeder passenden und nicht passenden Gelegenheit, an ihrer Formelhaftigkeit und Ausgedroschenheit. Kein Zeitalter war ohne sie, denn es ist ja nur menschlich, daß ein ursprünglich gutes, schlagkräftiges Wort allgemein gefällt und nachgesprochen $Seite 70$ wird. Im 18. Jahrhundert herrschten die Mode- und Schlagwörter Aufklarung und Genie so aufreizend, daß Wieland jenes schon 1785 für übelberüchtigt erklärte und Lessing von diesem sagte: ,Wer mich ein Genie nennt, dem gebe ich ein paar Ohrfeigen, daß er denken soll, es sind vier.' Heute, schon seit einem Jahrzehnt, behauptet sich das Modewort ausgeschlossen, etwa neben tadellos, mit einer schwer begreiflichen Zähigkeit, denn noch immer ist kein Absterben wahrzunehmen. Gegen solche Wortstrohhülsen gibt es keinen andern Rat als den: der gute Schreiber meidet sie schon deshalb, weil so ziemlich jeder andre sie immerfort im Munde führt, gleichwie ein sprachsaubrer Mensch abgegriffene schmutzige Rechenpfennige wie Individualität, Neuorientierung, funktionieren, interessieren, Elemente, Faktoren weit von sich weist. Einige böse Modeformeln, z. B. ,anschneiden, aufrollen, auslösen, voll und ganz, unentwegt' , sind durch die andauernde verdiente Lächerlichmachung schon so wertlos geworden, daß nur sprachlich Rückständige sie noch gebrauchen. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, 18. Jahrhundert, Gegenwärtig, Schreiber guten Stils |
Bewertung |
ursprünglich gutes, schlagkräftiges Wort, Wortstrohhülsen, böse Modeformeln, andauernde verdiente Lächerlichmachung, wertlos |
Intertextueller Bezug | Gustav Wustmann, Gottheld Epfraim Lessing, Christoph Martin Wieland |