Satzrhythmus
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
---|---|
Seitenzahlen | 417 - 418 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
---|
In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | Junker - Wilhelm, Bornhak - Friederike, Tieck - Ludwig, Goethe - Johann Wolfgang |
Text |
---|
So leicht sich Weisungen geben und befolgen lassen, nach denen sich mit nur ein wenig Verstand und Aufmerksamkeit Unebenheiten und Zweideutigkeiten der in § 403 f. getadelten Art vermeiden lassen, so schwer werden eindeutige Weisungen der Aufgabe gegenüber, bei deren Lösung der weniger gleichmäßige geregelte und leitbare Geschmack beteiligt ist, das ist die Sorge für eine schöne rhythmische Form für einen gleichmäßigen Fluß des Satzes. Um diese Eigenschaften zu erreichen, gilt es nicht nur, das Nachklappen schwachbetonter und kurzer Satzteile hinter dem Nebensatze zu vermeiden, sondern umgekehrt auch mit dem Haupttone versehene Angaben, namentlich das Zeitwort mit der Ergänzung oder Umstände nicht zwischen den Relativsatz und sein Beziehungswort treten zu lassen; denn da würde wieder der Relativsatz nachschleppen. Deshalb wirkt der Satz Tiecks unschön: Mit der Frühe fuhr die Witwe auf ein Dorf, das einige Meilen entfernt war, um für die Tochter eine Zerstreuung dort zu finden, die diese Gegend und den naheliegenden Wald mit Vorliebe besuchte; denn der Relativsatz enthält eine der Mutter bekannte und der Tochter innewohnende Eigenschaft, die als Grund der von der Mutter darauf gebauten Berechnung vorangeht, und das weniger Wichtige und Alte ist gegenüber dem deshalb betonten Wichtigen und Neuen: eine Zerstreuung finden. Aus ähnlichem Grunde hätte Junker nicht stellen sollen: Er äußerte sich über seine Natur sehr unbefangen, für deren Fehler er ein offnes Auge hatte, sondern: ... Natur, für deren Fehler ... hatte, sehr unbefangen; auch nicht: Diese Ebene scheint während der regenlosen Jahreszeit in den Níederungen ein Lieblingsaufenthalt von Perlhühnern und Hasen zu sein, wo reicher Graswuchs und schattige Bäume den Reisenden zu einer Rast einladen. Oft hilft freilich die bloße Umstellung nicht, wohl aber andre Anknüpfung. Bornhak hätte z. B. nicht, wie ähnlich öfter, also schreiben sollen: So wurde die Hochzeit am 12. Juni 1733 im braunschweigischen Schlosse Salzdahlum gefeiert, deren Festtage, sondern wo die Festtage bis zum 19. Juni dauerten. Im allgemeinen und namentlich innerhalb eines einfachen Satzes wird ein schöner Tonfall dadurch erzielt, daß das folgende Glied voller und gewichtiger ist als das vorhergehende oder bei einer drei- und mehrfachen Teilung das erste und noch mehr das letzte bedeutsamer als das//1 Ein gutes Beispiel hierfür ist unten §412, 2 gegen Ende der Satz aus Goethe: Welche köstliche Empfindungen usw.// oder die mittelsten; das entspricht den einfacheren Verhältnissen im Einzelsatze, wo das (vorangehende) Subjekt kürzer sein soll als das Prädikat mit seinen Ergänzungen und Umständen, das alles gemäß der schon von den alten Redekünstlern ausgestellten Forderung vom steigenden Rhythmus. Der größte Wohllaut durchklingt Sätze wie die folgenden ganz ebenmäßigen aus den Lehrjahren: Durch den Zulauf aus benachbarten Ortschaften hatte die Anzahl der Menschen außerordentlich zugenommen, und so wälzte sich auch der Schneeball des Beifalls zu einer ungeheuren Höhe. Auch die folgenden mit erweitertem Prädikat klingen noch ganz wohl: Der andre Morgen ging meist mit Aufsuchen des Kindes hin. Philinens Reize konnten die Unruhe unsers Freundes nicht ableiten. Er brachte einen traurigen, nachdenklichen Tag zu. Dagegen ist das Ebenmaß dadurch $Seite 418$ daß das Prädikat unverhältnismäßig aufgebauscht ist, schon gestört in dem folgenden Sätze Goethes, der denn auch mißtönt: Narciß und Landrinette ließen sich in Tragsesseln auf den Schultern der übrigen durch die vornehmsten Straßen der Stadt unter lautem Freudengeschrei des Volkes tragen. |
Zweifelsfall | |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | Bornhak - Friederike, Goethe - Johann Wolfgang, Junker - Wilhelm, Tieck - Ludwig |
Bewertung |
das Ebemmaß gestört, der größte Wohllaut durchklingt, Frequenz/wie änhlich öfter, ganz ebenmäßigen, gutes Beispiel, hätte nicht also schreiben sollen, hätte nicht stellen sollen, klingen noch ganz wohl, kürzer sein soll, mißtönt, nachschleppen, nicht, schöner Tonfall, sondern, unverhältnismäßig aufgebauscht, wirkt unschön, zu vermeiden |
Intertextueller Bezug |