Wandelbarkeit des Geschlechtes der Hauptwörter
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 36 - 37 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gegenwärtig, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Sprachverlauf, Volk |
Text |
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Das Geschlecht des Hauptwortes ist eine Eigentümlichkeit desselben, für deren innern Grund uns längst das Verständnis verschlossen ist. Denn wenn wir uns jetzt über den Mann aus dem Volke wundern, der den Bach, welcher hinter seinem Hause vorüberfließt, die Bach, den Altar seines Kirchleins, den er zum Erntefeste schmückt, das Altar nennt; wenn wir bei dem Verse Goethes: „Sah nach dem Angel ruhevoll" oder bei einer anderen Stelle, wo er von seinem Befugnis mitzureden spricht, einen leisen Ruck empfinden, so ist das die Folge einer bloßen Gewohnheit, nach der wir in diesen Fällen ein anderes Geschlecht erwarten. Wie anders als beim Erwachen des Sprachgeistes und in den Jahrhunderten nachher, wo er noch in voller, sinnlicher Anschauung webte und bildete! Da erschienen nicht nur die Lebewesen, für die allein wir jetzt ein natürliches Geschlecht zu bestimmen wissen, sondern auch die gesamte Welt ringsum mit allen ihren Gegenständen und all den durch sie angeregten Gedanken belebt und beseelt, und bei allen wußte der schaffende und weiterbildende Sprachgeist je nach der Tatkraft oder Empfänglichkeit, Stärke oder Schwäche, Größe oder Kleinheit, Furchtbarkeit oder Lieblichkeit und welche Gesichtspunkte mehr er immer entdeckte, eine Ähnlichkeit vieler Gebilde mit der Art des Mannes oder der Frau herauszufinden und sie so aus einem natürlichen Gefühle dem männlichen oder weiblichen Geschlechte (genus masculinum oder femininum) zuzurechnen: vielleicht hatte er dies sogar ehemals mit allen fertig gebracht, wie dies ja dem bilderreicheren und gleichnisstärkeren Semiten noch natürlich und möglich fällt. Doch sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls ist solche Beziehung bei einem guten Teile der Wörter früher oder später dem Sprachgefühle unnatürlich erschienen, und immer überwiegender ist die Ähnlichkeit nach Bildung und Endung für die Einreihung in gleiche Geschlechtsreihen maßgebend geworden//*) Vgl. Werner Hodler, Beiträge zur Wortbildung aus dem Deutschen (A. Franke, Bern 1916 = Sprache und Dichtung, H. 16).//. Jedenfalls blieb schließlich eine große Zahl von Gegenständen übrig, die keinem der beiden natürlichen Geschlechter angereiht waren; selbst manchen Lebewesen erging es so, wenn die Bezeichnung ihres Geschlechtes nicht nötig oder an sich wohl möglich, jedoch im Zusammenhange nicht angängig ist. Auf diese $Seite37$ Weise entstand das sogenannte sächliche Geschlecht, wie es im Deutschen mißverständlich heißt, das genus neutrum, wie es richtiger lateinisch bezeichnet wird, d. h. das, welches keins der beiden natürlichen ist. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel |
die Bach, das Altar, den Bach, den Altar, Angel, Befugnis |
Bezugsinstanz | alt, Goethe - Johann Wolfgang, Sprachverlauf, gegenwärtig, Volk |
Bewertung |
einen leisen Ruck empfinden, unnatürlich, wunderlich |
Intertextueller Bezug |