Das Können und das Fühlen

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 378 - 379

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Wortbildung: Substantivierungen

Genannte Bezugsinstanzen: Neu, Schriftsprache
Text

Eine richtige Modenarrheit ist es, gewisse Hauptwörter immer durch einen substantivierten Infinitiv zu umschreiben — wenns nicht manchmal bloßes Ungeschick ist! Und bloßes Ungeschick ist wohl anzunehmen, wenn jemand statt Ende schreibt: das Aufhören, oder statt Mangel: das Fehlen. Eine Modenarrheit aber liegt ohne Zweifel in der Art, wie jetzt das Wissen, das Können, das Wollen, das Fühlen und das $Seite 379$ Empfinden gebraucht wird — Wörter wie Kenntnis, Fähigkeit, Fertigkeit, Geschick, Absicht, Gefühl, Empfindung scheinen ganz vergessen zu sein. Den Anfang hatte wohl das Streben gemacht,//* Abgesehen natürlich von Infinitiven, die ganz zu Substantiven geworden sind, wie Leben, Essen, Vergnügen, Vermögen, Wohlwollen u. a.// dann kam das Wissen: er hat ein ganz hervorragendes Wissen. Jetzt spricht man aber auch von dichterischem Wollen: anfangs ein Dorfgeschichtenerzähler, wurde Rosegger allmählich ein Poet von großem Wollen — auch diese Kompositionen zeigen die künstlerische Zielbewußtheit (!) seines Wollens. In höchster Blüte aber steht das Können und das Fühlen: folgendes Gedicht mag das Können des Dichters veranschaulichen — das Konzert lieferte einen glänzenden Beweis für das künstlerische (!) Können des Vereins — Beethoven widmete ihr die Cis-moll-Sonate, kein geringes Zeugnis für das musikalische Können der Angebeteten — die Dame hat sich unter dieser vortrefflichen Leitung bereits ein achtunggebietendes Können angeeignet — die Künstlerin stellte ihr graziöses Können auch noch als Gräfin in den Dienst Thaliens — Herr W. hat damit eine neue Probe feines bedeutenden gärtnerischen (!) Könnens gegeben (es handelt sich um ein Teppichbeet) — die Gedichte zeigen ein gesundes, ursprüngliches Fühlen — in allen Briefen gibt er nur dem einen Fühlen Ausdruck — Tilgner hat den Geist (!) des österreichischen Empfindens am besten zum Ausdruck gebracht — zu der Verehrung für das große Wollen und Können des Meisters gesellt sich das Mitleid mit dem leidenden Menschen — die Pyramiden der Ägypter erzählen uns von dem Fühlen und Wollen ihrer Erbauer und deren Zeitepoche (!). Das Neueste ist das Erleben und das Verstehen: für uns moderne Menschen pflegt Italien das größte Erleben unsers Daseins zu sein — nimm dieses Buch in dein treues und zartes Verstehen auf! Es kann einem ganz schlimm und übel dabei werden.

Scan
Wustmann(1903) 378-379.pdf


Zweifelsfall

Wortbildung: Substantivierungen

Beispiel
Bezugsinstanz Schriftsprache, neu
Bewertung

richtige Modenarrheit, bloßes Ungeschick, ganz schlimm und übel

Intertextueller Bezug