Die Sammlung Göschen
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 197 - 200 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Fachsprache (Technik), 18. Jahrhundert, Leipzig, Alt, Neu, Schriftsprache, Sachsen, Geschäftssprache |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Fachsprache (Technik), Alt, Neu, Geschäftssprache |
Text |
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Während das Vorleimen von Eigennamen unter dem Einflusse des Englischen um sich gegriffen hat, beruhen andre Verirrungen unsrer Attributbildung auf Nachäfferei der romanischen Sprachen, namentlich des Französischen, vor allem der abscheuliche, immer ärger werdende Unfug, Personen- oder Ortsnamen unflektiert und ohne alle Verbindung hinter ein Hauptwort zu stellen, das eine Sache bezeichnet, als ob die Sache selbst diesen Personen- oder Ortsnamen führte, z. B. das Hotel Hauffe, der Konkurs Schmidt, die Stadtbibliothek Zürich (statt: Hauffes Hotel, der Schmidtsche Konkurs, die Züricher Stadtbibliothek). Die Anfänge dieses Mißbrauchs liegen freilich weit zurück, man braucht nur an Ausdrücke zu denken, wie: Universität Leipzig, Zirkus Renz, Café Bauer; aber seinen beängstigenden Umfang hat er doch erst in der neuesten Zeit angenommen. In wirklich deutsch gedachter Form bekommt man einen Eigennamen in Attributen kaum noch zu hören: alles plärrt, die Franzosen und Italiener nachäffend (librairie Quantin, chocolat Suchard, rue Bonaparte, casa Bartholdi, Hera Farnese und ähnl.), von dem Antrag Dunger, dem Fall Löhnig, der Affäre Lindau, dem Ministerium Gladstone, dem Kabinett Salisbury, dem System Jäger, der Galerie Schack, $Seite 198$ dem Papyrus Ebers, der Edition Peters, der Kollektion Spemann und der Sammlung Göschen, von Schokolade Felsche und Tee Riquet,//* Schokolade und Tee — deutsch geschrieben! Man schreibt in Leipzig sogar Theater Variété! Manche verbinden die beiden Wörter gar noch durch einen Bindestrich, wie Atelier-Strauß, Tee-Meßmer, was doch nur Männer bezeichnen kann (der Atelier-Strauß, der Tee-Meßmer). In Sachsen gibt es wirklich Geschäftsleute, die sich mit solchen Namen bezeichnen und sich dadurch selbst lächerlich machen, wie: Butter-Bader, Gold-Richter, Fahrrad-Klarner, Zigarren-Krause, Schokoladen-Hering.// von der Villa Meyer, dem Wohnhaus Fritzen, dem Grabdenkmal Kube, dem Erbbegräbnis Wenzel, dem Pensionat Neumann, der Direktion Stägemann, dem Patentbureau Sack, dem Saale Blüthner, dem Konzert Friedheim, der Soiree Buchmayer, der Tanzstunbe Marquart, dem Experimentierabend Dähne, dem Vortrag Mauerhof, dem Quartett Udel, der Bibliothek Simson, der Versteigerung Krabbe und dem Streit Geyger-Klinger, von dem Magistrat Osnabrück, der Staatsanwaltschaft Halle, der Fürstenschule Grimma, dem Kaiserl. deutschen Postamt Frankfurt, dem Schreberverein Gohlis, der Mühle Zwenkau, dem Bundesschießen Mainz, dem Löwenbräu München und dem Migränin Höchst. Sogar der Dorfwirt will nicht zurückbleiben: er läßt den Firmenschreiber kommen, die alte Inschrift an seiner Schänke: Gasthof zu Lindenthal zupinseln und dafür Gasthof Lindenthal hinmalen, und der Dorfpastor kommt sich natürlich nun auch noch einmal so vornehm vor, wenn er sich auf seine Briefbogen Pfarrhaus Schmiedeberg hat drucken lassen. Und was der Franzose nie tut, das bringt der Deutsche fertig: er setzt auch hier Vornamen und Titel zu diesen angeleimten Namen und schreibt: die Galerie Alfred Thieme, die Kapelle Günther Coblenz, der Rezitationsabend Ernst von Possart, das Antidysentericum Dr. Schwarz. Manchmal weiß man nicht einmal, ob der angefügte Name ein Orts- oder ein Personenname sein soll. In $Seite 199$ Leipzig preist man Gose Nickau an. Ja, was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank gebraut wird, oder heißt der Brauer so? Der großherzogliche Bahnbauinspektor Waldshut — heißt der Mann Waldshut, oder baut er in Waldshut eine Eisenbahn? Da kämpfen wir nun für Beseitigung der unnützen Fremdwörter in unsrer Sprache; aber sind denn nicht solche fremde Wortverbindungen viel schlimmer als alle Fremdwörter? Das Fremdwort entstellt doch die Sprache nur äußerlich; wirft man es aus dem Satze hinaus und setzt das deutsche Wort dafür ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert bleiben. Aber die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus fremden Sprachen, noch dazu von Erscheinungen, die die Sprache in so heruntergekommenem Zustande zeigen, wie dieses gemeine Aneinanderleimen — leimen ist noch zuviel gesagt, Aneinanderschieben — von Wörtern, fälscht doch das Wesen unsrer Sprache und zerstört ihren Organismus. Es ist eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen! Wie stolz mag der Inhaber der Auskunftei Schimmelpfeng gewesen sein, als er das herrliche deutsche Wort Auskunftei erfunden hatte!//* Man könnte ebensosgut eine Abfahrtshalle auf dem Bahnhof die Abfahrtei nennen, oder die Kopierstube im Amtsgericht die Abschriftei.// Aber für die ganz undeutsche Wortzusammenschiebung hat er kein Gefühl gehabt. Auch hier handelt sichs um nichts als um eine dumme Mode, die jetzt, namentlich in den Kreisen der Geschäftsleute und Techniker, für fein gilt. Wenn es in einer Stadt fünf Kakaofabrikanten gibt, und einer von den fünfen schreibt plötzlich in seinen Geschäftsanzeigen: Kakao Müller (statt Müllerscher Kakao) und hat nun damit etwas besondres, so läßt es den vier andern keine Ruhe, bis sie dieselbe Höhe der Vornehmheit erklommen haben (Kakao Schulze, Kakao Meier usw.). Der fünfte lacht vielleicht die andern vier eine Zeit lang aus und wartet am längsten; aber schließlich humpelt er doch auch hinterdrein, während sich der, der mit der $Seite 200$ Dummheit angefangen hat, schon wieder eine neue ausdenkt. Zu einer ganz besondern Abgeschmacktheit hat die neu erwachte Liebhaberei geführt, in Büchern ein Bücherzeichen mit dem Namen des Eigentümers einzukleben. Ein solches Bücherzeichen nennt man ein Ex-Libris, und wer sich eins anfertigen läßt, der läßt auch stets diese Worte darauf anbringen. Da gibt es aber nun doch bloß zwei Möglichkeiten. Entweder man versteht die Worte lateinisch und in ihrer eigentlichen Bedeutung (eins von den Büchern); dann kann man auch nur seinen Namen lateinisch dahinter setzen: Ex libris Caroli Schelleri. So geschah es im achtzehnten Jahrhundert. Oder man versteht Ex-Libris „deutsch" als „Bücherzeichen" ; dann kann man nur schreiben: Ex libris Karl Schellers. Das tut aber von Tausenden nicht einer! Alle setzen sie hinter Exlibris ihren Namen im Nominativ. Das Vernünftigste wäre natürlich, weiter nichts als seinen Namen hinzusetzen oder zu schreiben: Eigentum Karl Schellers. Aber ohne die Worte oder das Wort Exlibris würde ja der ganze Sport den Leuten gar keinen Spaß machen. Man tauscht Exlibris, man tritt in den Exlibrisverein, und man hält sich die Exlibriszeitschrift. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Leipzig, Sachsen, Geschäftssprache, 18. Jahrhundert, alt, Schriftsprache, neu, Fachsprache (Technik) |
Bewertung |
Nachäfferei der romanischen Sprachen, unnütz, abscheulicher immer ärger werdender Unfug, eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen, beängstigender Umfang, Dummheit, besondern Abgeschmacktheit |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Geschäftssprache, Alt, Neu, Fachsprache (Technik) |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |