Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 218 - 222

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Wiederaufnahme bei Pronomen

Genannte Bezugsinstanzen: Schriftsprache
Text

Recht vorsichtig sollte man immer in dem Gebrauche der persönlichen Fürwörter sein. Wer schreibt, der weiß//* Der Deutsche sagt dafür Renommage, ein Wort, das es im Französischen gar nicht gibt!// $Seite 2019$ ja, wen er mit einem er oder ihn meint; der Leser aber versteht oft falsch, weil mehrere Hauptwörter vorhergegangen sind, auf die sich das Fürwort beziehen kann, sucht dann nach dem richtigen Wort und wird so in ärgerlicher Weise aufgehalten. Wo daher ein Mißverständnis möglich ist, ist es immer besser, statt des Fürworts wieder das Hauptwort zu setzen, besonders dann, wenn im vorhergehenden zwei Hauptwörter einander gegenübergestellt worden sind. Leider macht sich auch hier wieder der törichte Aberglaube breit, daß es unschön sei, kurz hintereinander mehreremal dasselbe Wort zu gebrauchen.

Man nehme folgende Sätze: Schon in Goethe, ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen, und die Haupttat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich künstlerische Tat.

Das sind gewiß ein paar gute, tadellose Sätze, so klar, übersichtlich und wohlklingend, wie man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der Papiermensch drüber und sagt: Entsetzlich! da steht ja zweimal hintereinander Goethe und zweimal hintereinander Luther! Jedes zweite mal ist vom Übel, also weg damit! Es muß heißen: der eine und der andre, oder jener und dieser, oder — und das ist das schönste von allem —: ersterer und letzterer. Also: schon in Goethe, ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung: ersterer hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen; und die Haupttat des letztern, die Bibelübersetzung, war eine wesentlich künstlerische Tat.

Über die häßliche Komparativbildung ersterer und letzterer ist schon früher bei den Relativsätzen gesprochen worden (S. 121). Wie häßlich ist aber erst — dort wie hier — die Anwendung! Das angeführte Beispiel ist ja verhältnismäßig einfach, und da es vorher mit Wiederholung der Namen gebildet worden ist, so sieht man $Seite 220$ leicht, worauf sich ersterer und letzterer beziehen soll. Aber welche Qualen kann dem Leser in tausend andern Fällen ein solches ersterer und letzterer, dieser und jener bereiten! Man hat ja, wenn man arglos vor sich hinliest, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende gewisse Wörter gleichsam heimlich numeriert, um hinterher plötzlich von dem Leser zu verlangen, daß der sie sich auch numeriert und — mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun so ein verteufeltes ersterer. Ja wer war denn der erstere? Hastig fliegt das Auge zurück und irrt in den letzten zwei, drei Zeilen umher, um darnach zu suchen. Ersterer — halt, da steht er: Luther! Also: Luther hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht,sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! der andre muß es gewesen sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe! Also: Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht — Gott sei Dank, jetzt sind wir wieder im Fahrwasser. Zum Glück verläuft ja in Wirklichkeit dieses Hinundhergeworfenwerden etwas schneller; aber angenehm ist es nicht, und doch, wie oft muß mans über sich ergehen lassen!

Hier noch ein paar weitere Beispiele: Diskretion ist eine Tugend der Gesellschaft; diese kann nicht ohne jene bestehen — unerfahrne Kinder und geübte Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen von Menschen und Charakteren miteinander gemein, aber freilich aus verschiednen Gründen: jene besitzen noch den Blick für das Ganze, diese schon den für die Einzelheiten des menschlichen Seelenlebens — wie Rafael in der Form, ist Rembrandt in der Farbe nichts weniger als naturwahr: dieser hat seinen selbständigen und in gewissem Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut wie jener: und insofern Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere persönliche Handschrift zeigt als Rafael, hat der erstere noch mehr Stil als der letztere — der Gelehrte ist seinem Wesen nach international, der Künstler national; darauf gründet sich die Überlegenheit des letztern über den erstern — dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt worden, nur daß $Seite 221$ es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Nehmers war; jener hat in diesem seinen Meister gefunden, letzterer das Werk würdig fortgesetzt. Alle solche Sätze sind eine Qual für den Leser. Wer ist dieser, wer ist jener, wer ist letzterer? In dem letzten Beispiele sollen dieser und jener der Geber und der Nehmer sein, aber in welcher Reihenfolge? Dieser soll sich auf den näherstehenden, jener auf den fernerstehenden beziehen, letzterer bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister, es ist aber wieder der Nehmer gemeint. Ist es da nicht viel gescheiter, zu schreiben: dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Nehmers war; der Geber hat im Nehmer seinen Meister gefunden, der Nehmer hat das Werk würdig fortgesetzt? Das ist sofort verständlich, und alles ängstliche Umkehren und Suchen fällt weg.

Ein ganz besondrer Mißbrauch wird noch mit letzterer allein getrieben. Viele sind so verliebt in dieses schöne Wort, daß sie es ganz gedankenlos (für dieser!) auch da gebrauchen, wo gar keine Gegenüberstellung von zwei Dingen vorhergegangen ist: sie weisen damit einfach auf das zuletzt genannte Hauptwort zurück; z. B.: das Preisgericht hat seinen Spruch getan, letzterer greift jedoch der Entscheidung nicht vor — das Pepton wird aus bestem Fleisch dargestellt, sodaß letzteres bereits in löslicher Form dem Magen zugeführt wird — Krüge, Teller und Schüsseln bilden das Material, dem die dichterischen Ergüsse anvertraut werden; sind letztere aber elegischer Natur, so finden wir sie auf Grabsteinen und Votivtafeln — in der offiziösen Sprache schreibt man erst dann von gestörten Beziehungen, wenn der Krieg vor der Tür steht, und daß letzteres nicht der Fall sei, glauben wir gern — je weiter entwickelt die Kultur eines Volkes ist, desto empfindlicher ist letzteres gegen gewaltsame Eingriffe — die Stellungnahme (!) des Pietismus zu den Kantoreien mußte auf die letztern lähmend wirken — die Genossen, die ohne Kündigung die Arbeit eingestellt hatten und letztere nicht sofort wieder aufnahmen — F. schlug den Wachtmeister über den Kopf, als letzterer $Seite 222$ (der Kopf?) seine Zelle betrat — diese Aufsätze sind verhaltne lyrische Gedichte, von letztern (solchen!) nur durch die Form verschieden usw. Wenn solche Gedankenlosigkeit weitere Fortschritte macht, so kommen wir noch dahin, daß es in lateinisch-deutschen Wörterbüchern heißen muß: hic, haec, hoc: letzterer, letztere, letzteres (ebenso wie qui, quae, quod: welch letzterer, welch letztere, welch letzteres).

Scan
Wustmann(1903) 218-222.pdf


Zweifelsfall

Wiederaufnahme bei Pronomen

Beispiel
Bezugsinstanz Schriftsprache
Bewertung

in ärgerlicher Weise, törichter Aberglaube, gute, tadellose Sätze, so klar, übersichtlich und wohlklingend, Übel, das schönste von allem, häßlich, Qualen, verteufelt, Unsinn, viel gescheiter, nicht angenehm, sofort verständlich, ängstlich, gedankenlos

Intertextueller Bezug