Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 237 - 238

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Verb: Valenz

Genannte Bezugsinstanzen:
Text

Nicht ganz so lächerlich ist der Streit, ob es heißen müsse: er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten. Jeder verbindet ohne Besinnen mit dem Akkusativ der Person: in den Finger schneiden, ins Bein beißen, aufs Maul schlagen, auf die Stirn küssen. Jeder verbindet eben so sicher mit dem Dativ der Person: unter die Arme greifen, auf die Finger sehen, auf den Zahn fühlen, auf die Schleppe treten. Warum dort der Akkusativ und hier der Dativ? Welches ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Redensarten?

Zunächst ist klar, daß, wenn die Person im Akkusativ steht, zuerst die Person im ganzen als von einer Tätigkeit betroffen hingestellt wird, und dann noch nachträglich der einzelne betroffne Körperteil hinzugefügt wird. Steht die Person im Dativ, so wird der betroffne Körperteil in den Vordergrund gerückt und die Person mehr als beteiligt, in Mitleidenschaft gezogen, nicht als unmittelbar betroffen hingestellt. Das paßt nun zu den mitgeteilten Beispielen vortrefflich. Wird jemand nur auf ein Kleidungsstück getreten, so wird sein Körper gar nicht davon berührt; alle andern Redensarten der zweiten Gruppe aber $Seite 238$ sind bildliche Wendungen, bei denen ebenfalls kein wirkliches, leibliches Angreifen, Ansehen, Anfühlen gemeint ist. So wird es nun auch leicht verständlich, warum man wohl sagt: er hat mich ins Gesicht geschlagen, aber; das schlägt der Wahrheit ins Gesicht — der Mörder hatte ihn mitten ins Herz gestochen, aber: deine Klagen schneiden mir ins Herz — der Schmied hat das Pferd auf den Schenkel gebrannt, aber: solange nicht dem deutschen Michel die Not auf die Nägel brennt — du hast mich mit deinem Stock ins Auge gestochen, aber: am Schaufenster stach mir ein schöner Brillantschmuck ins Auge. Erschöpft wird die Sache mit dieser Unterscheidung freilich nicht, aber man kann sich, wenn man sie sich klar vor Augen hält, auch in andern Fällen leicht klar machen, weshalb die Sprache hier den Dativ, dort den Akkusativ vorzieht oder vorziehen — sollte, weshalb man also z. B. sagt: seinem Freund auf die Schulter klopfen (obwohl das doch wirklich und nicht bildlich geschieht). Bisweilen bedeutet der Akkusativ der Person mehr das Absichtliche: weshalb trittst du mich denn auf den Fuß? der Dativ mehr das Unabsichtliche: mir hat vorhin einer auf den Fuß getreten, das tut mir jetzt noch weh.

Scan
Wustmann(1903) 237-238.pdf


Zweifelsfall

Verb: Valenz

Beispiel
Bezugsinstanz
Bewertung
Intertextueller Bezug