Falsch fortgesetzte Relativsätze
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
---|---|
Seitenzahlen | 127 - 129 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
---|
In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | Schriftsprache, Literatursprache |
Text |
---|
Ein gemeiner Fehler, dem man in Relativsätzen unendlich oft begegnet, ist der, daß an einen Relativsatz ein zweiter Satz mit und, aber, jedoch angeknüpft wird, worin aus dem Relativ in das Demonstrativ oder in das Personalpronomen gesprungen oder sonstwie schludrig fortgefahren wird, z. B. eine Schrift, die er auf seine Kosten drucken ließ und sie umsonst unter seinen Anhängern austeilte — Redensarten, welche der Schriftsteller vermeidet, sie jedoch dem Leser beliebig einzuschalten überläßt — die vielen Fische, die er bisweilen selbst füttert und ihnen zuschaut, wenn sie nach den Krumen schnappen — ein Bauer, mit dem ich über Feuerversicherungsgesellschaften sprach und ihm meine Bewundrung dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte — am Schlusse gab Herr W. Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatur, welch letztere (!) übrigens in der hiesigen Akademie für Tonkunst bereits eingeführt ist und der Unterricht auf derselben (!) mit bestem Erfolge betrieben wird (das richtige Dummejungendeutsch!) — eine übermächtige Verbindung, welcher der Herzog schnell mürbe gemacht wich und sich zu einer Landesteilung herbeiließ — dieser Kranke, an den ich seit zwanzig Jahren gekettet war und nicht $Seite 128$ aufatmen durfte — er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, die er zu Gelde machte und sich dann heimlich von hier entfernte — sie erhielt Saalfeld, wo sie 1492 starb und in Weimar begraben wurde — die Seuche, an der zahlreiche Schweine zu Grunde gehen und dann noch verwendet werden — es geht das aus dem Testament hervor, das ich abschriftlich beifüge und von fernern Nachforschungen absehen zu können glaube — ein Augenblick, den der Verhaftete benutzte, um zu entweichen, und bis zur Stunde noch nicht wieder aufgefunden worden ist. Es ist klar, daß durch und nur gleichartige Nebensätze verbunden werden können. Geht also ein Relativsatz voraus, so muß auch ein Relativsatz folgen; die Kraft der relativen Verknüpfung wirkt über das und hinaus fort. In den ersten Beispielen muß es also einfach heißen: und umsonst austeilte —, jedoch einzuschalten überläßt —, in den folgenden: und denen er zuschaut, und dem ich meine Bewundrung ausdrückte. In den übrigen Beispielen ist der Anschluß eines zweiten Relativsatzes überhaupt unmöglich, weil der Begriff, der im Relativ erscheinen müßte, in dem zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann höchstens heißen: worauf er sich heimlich entfernte — sodaß ich absehen zu können glaube. Steht das Pronomen der Relativsätze im Genitiv, so ist es ein beliebter Fehler, in dem zweiten Relativsatz, obwohl das Subjekt dasselbe bleibt, dieses Subjekt durch ein Relativpronomen zu wiederholen, z. B.: der Kaiser, dessen Interesse für alle Zweige der Technik bekannt ist, und das gerade bei der Berliner Ausstellung wieder klar zu Tage tritt — das Sprachgewissen, dessen Stimme sich nicht überhören läßt, die sich vielmehr geltend macht bei allem, was wir lesen und schreiben. Das ebenso beliebte Gegenstück dazu ist es dann, einen zweiten Relativsatz, der dem ersten untergeordnet ist, mit und anzuknüpfen, z. B.: eine Ehe, vor deren Sündhaftigkeit sie ein wahres Grauen hat, und das sie doch allmählich überwinden muß — er sollte ihr ein Wort ins Ohr flüstern, von deren Antlitz sein Herz geträumt $Seite 129$ hatte, und von dem es sich nicht abwenden konnte. In den ersten beiden Sätzen muß das zweite Relativpronomen weichen, in den letzten beiden das und; der letzte Satz bleibt freilich auch dann noch Unsinn. Ein abscheulicher Fehler ist es, wenn man zwei Relativsätze miteinander verbindet, ohne das Relativum zu wiederholen, obwohl das Relativpronomen in dem einen der beiden Sätze Objekt, in dem andern Subjekt ist, der eine also mit dem Akkusativ, der andre mit dem Nominativ anfängt, z. B.: die Festschrift, die Georg Bötticher verfaßt hat und von Kleinmichel mit Schildereien versehen worden ist — die Veranlassung ist dem kleinen Gedicht entnommen, das man auf S. 95 findet und hier angeführt sein möge. Dieser Fehler gehört unter die zahlreichen Sprachdummheiten, die dadurch entstehen, daß man ein Wort nicht als etwas Lebendiges, Sinn- und Inhaltvolles, sondern bloß als eine Reihe von Buchstaben ansieht, also — durch die Papiersprache. Ob diese Buchstabenreihe das einemal Akkusativ, das andremal Nominativ ist, ist dem Papiermenschen ganz gleichgiltig. Schreibt doch eine Memoirenerzählerin sogar: Natur und Kunst lernten wir lieben und wurden in unserm Hause gepflegt! |
Zweifelsfall | |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | Literatursprache, Schriftsprache, Schriftsprache |
Bewertung |
abscheulicher Fehler, beliebter Fehler, Dummejungendeutsch, Fehler, Frequenz/beliebte, Frequenz/unendlich oft, Fügungsbruch, gemeiner Fehler, muß es also einfach heißen, muß weichen, schludrig, Sprachdummheiten, unmöglich, Unsinn |
Intertextueller Bezug |