Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme?
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 30 - 32 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Ursprünglich, Gesprochene Sprache |
Text |
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Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegriffen alle, keine, einige, wenige, einzelne, etliche, manche, mehrere, viele, sämtliche, denen sich auch die Adjektiva andre, verschiedne und gewisse anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem $Seite 31$ Sinne von mehrere und einige stehen. Da sagt man: aller guten Dinge, aller halben Stunden, mancher kleinen Souveräne, einzelner ausgezeichneten Schriftsteller, verschiedner schweren Bedenken, gewisser aristokratischen Kreise, aber auch: vieler andrer Gebiete, vieler fremder Volkskräfte, vieler damaliger preußischer Offiziere, einzelner großer politischer Ereignisse, sämtlicher deutscher evangelischer'Kirchenregimente, gewisser mathematischer Kenntnisse. Sollte es denn nicht möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schaffen? Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen ist: nach alle und keine. Sollte das nicht einen tiefern Grund haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch hinter dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern (dieser und jener) und hinter den besitzanzeigenden Adjektiven (mein, dein usw.). In allen diesen Fällen aber handelt es sich um eine ganz bestimmte Menge. Dagegen bezeichnet die artikellose Form eine unbestimmte Menge. Sollte es nun Zufall sein, daß gerade alle (mit seiner Negation keine) der Form gefolgt ist, die eine bestimmte Menge ausdrückt? Alle und keine sind die einzigen in der ganzen Reihe. Alle übrigen (viele, einige, manche usw.) bezeichnen eine unbestimmte Menge; viele und einige bleiben viele und einige, auch wenn einer dazu kommt oder abgeht. Sollte sich nicht deshalb hier die artikellose Form erhalten haben? Im Nominativ überall: viele junge Leute, manche bittre Erfahrungen, verschiedne schwere Bedenken, gewisse aristokratische Kreise. Erst im Genitiv beginnt das Schwanken zwischen vieler junger Leute und vieler jungen Leute, verschiedner freisinniger Blätter und verschiedner freisinnigen Blätter, mehrerer andrer ausländischer Blätter und mehrerer andern ausländischen Blätter. Unzweifelhaft wäre also die starke Form hier überall vorzuziehen. Nur noch hinter sämtliche wäre die schwache $Seite 32$ am Platze, denn sämtliche bedeutet ja dasselbe wie alle, also eine bestimmte Menge. Hinter den wirklichen Zahlwörtern: zwei, drei, vier, fünf usw. steht im Nominativ überall die starke Form, so auch im Genitiv, solange die Zahlwörter selbst undekliniert bleiben: die Kraft vier starker Männer, um fünf Gerechter willen. Dagegen beginnt das Schwanken, sobald die Zahlwörter selbst wie Adjektiva dekliniert werden: ein Kampf zweier großen Völker steht neben einem Kampf zweier großer Völker. Daß aber auch hier die starke Form vorzuziehen ist, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Beide dagegen schließt sich an alle und keine an: beide hier mitgeteilten Schriftstücke. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | gesprochene Sprache, ursprünglich |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |