Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder schwerer wiegend?

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 40 - 41

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Wortbildung: Komparation bei Komposita

Genannte Bezugsinstanzen: Neu
Behandelter Zweifelfall:

Adjektiv: Komparation bei einfachen Adjektiven

Genannte Bezugsinstanzen: Goethe - Johann Wolfgang, Gesprochene Sprache
Text

Mannigfachen Verstößen begegnet man in der Steigerung der Adjektiva (Positiv, Komparativ, Superlativ). Von viel heißt der Komparativ nicht mehrere, sondern mehr: ich habe in meinem Garten viel Rosen, du hast mehr Rosen, er hat die meisten Rosen. Mehrere ist nichts andres als einige, etliche. Wenn also ein Hausbesitzer genötigt wird, zu bescheinigen, daß mehrere Hunde als die hier verzeichneten in seinem Hause nicht gehalten werden, so wird er genötigt, einen groben Schnitzer zu unterschreiben.

Bei Adjektiven, deren Stamm auf einen Zischlaut endigt, stoßen im Superlativ zwei Zischlaute zusammen. Das stört nicht, wenn die Wörter mehrsilbig sind (der weibischste, der malerischste), wohl aber, wenn sie einsilbig sind (der hübschste, der süßste). Man bewahrt dann lieber das e, das sonst immer ausgeworfen wird, und sagt: der hübscheste, der süßeste. Von groß ist allgemein der größte üblich geworden (Goethe im Götz auch: der hübschte).

Bei der Vorliebe, womit jetzt einfache Begriffe wie groß und klein, stark und schwach, schwer und leicht durch schleppende Zusammensetzungen wie tiefgehend, weitgehend, weittragend, schwerwiegend ersetzt werden, entsteht oft Verlegenheit, wie man solche Zusammensetzungen im Komparativ und Superlativ behandeln soll. Logisch ist ja die Frage leicht zu beantworten; was gesteigert werden soll, ist nicht das Partizip gehend, sondern das dabeistehende Adverb tief oder weit.//* Völlig unsinnig ist natürlich: es gibt kein leicht verdaulicheres Mehl als Rademanns Kindermehl.// In vielen solchen Zusammensetzungen ist aber das Adverb mit dem Partizip so innig verwachsen, daß man kaum noch die Zusammensetzung empfindet. Wenn also auch niemand wagen wird, eine weitverbreitete Unsitte zu steigern: eine weitverbreitetere Unsitte, sondern eine weiter verbreitete, das hochbesteuerte Einkommen nicht: das hoch- $Seite 41$ besteuertste, sondern das höchstbesteuerte, so ist doch gegen einen Komparativ wie zartfühlender nichts einzuwenden, denn das Partizipium fühlend wird hier gar nicht als Verbalform empfunden, sondern etwa wie fühlig in feinfühlig, und solche Zusammensetzungen (feinsinnig, kleinmütig, böswillig, fremdartig, gleichmäßig) gelten für einfache Wörter und können nur steigern: kleinmütiger, der kleinmütigste. Ihnen würde sich auch das neumodische hochgradig anschließen. Dazwischen liegen aber nun Zusammensetzungen, bei denen manchmal kaum zu entscheiden ist, ob man sie als einfache oder als zusammengesetzte Wörter behandeln soll; sogar derselbe Mensch kann darin zu verschiednen Zeiten verschieden fühlen. Ganz unerträglich sind: der schöngelegenste Teil, die vielgenannteste Persönlichkeit, die naheliegendste Erklärung, die leichtlaufendste Maschine, die tiefliegendere Bedeutung, tiefgehendere Anregungen, die feinschmeckenderen Sorten, die weitblickendere Klugheit, eine engbegrenztere Aufgabe; es muß unbedingt heißen: der schönstgelegne, noch besser der am schönsten gelegne Teil, die am meisten genannte Persönlichkeit, die tiefer liegende Bedeutung, tiefer gehende Anregungen, die feiner schmeckenden Sorten, die nächstliegende Erklärung, die weiter blickende Klugheit, eine enger begrenzte Aufgabe. Nicht ganz so anstößig erscheint: die wohlgemeinteste Warnung, die weitgehendste Mitwirkung, die weittragendste Bedeutung, die fernliegendsten Dinge, die hochfliegendsten Pläne, obwohl natürlich der bestgemeinte Rat, die weitestgehende Mitwirkung vorzuziehen ist. Völlig gewöhnt haben wir uns an den tiefgefühltesten Dank und an die hochgeehrtesten oder hochverehrtesten Damen und Herren. Schön kann man alle solche Steigerungen nicht nennen; sie klingen alle mehr oder weniger schleppend und schwülstig, und was sie ausdrücken sollen, kann meist durch ein einfacheres Wort oder durch einen kurzen Nebensatz ebenso kräftig und deutlich gesagt werden.

Scan
Wustmann(1903) 040-041.pdf


Zweifelsfall

Wortbildung: Komparation bei Komposita

Beispiel
Bezugsinstanz Neu
Bewertung

völlig unsinnig, ganz unerträglich, nicht ganz so anstößig, nicht schön, schleppend und schwülstig

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Adjektiv: Komparation bei einfachen Adjektiven

Beispiel

der hübschste - der hübscheste; der süßste - der süßeste

Bezugsinstanz Goethe - Johann Wolfgang, gesprochene Sprache
Bewertung

grober Schnitzer

Intertextueller Bezug