Der Kaufmannstil
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 351 - 354 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils, Schriftsprache, Geschäftssprache |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Welsch, Schriftsprache, Latein, Geschäftssprache |
Text |
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Einen so ausgeprägten Eigenstil wie der Beamte schreibt der Kaufmann nicht, zumal da es sich bei ihm fast nur um Briefe an Einen, nicht um Erlasse an Alle handelt. Dennoch hasten ihm einige wenig erfreuliche Eigentümlichkeiten an, die zu erkennen und abzulegen eine Ehrensache des deutschen Kaufmanns ist. Ja wohl eine Ehrensache, denn mehr als irgendein andrer Stand ist der Kaufmann dazu berufen, die Ehre der deutschen Heimat samt ihrer Sprache in der ganzen Welt zu vertreten. Es geht nicht mehr an, den deutschen Kaufmann nur sanft zu mahnen, er möge doch gütigst den deutschen Namen dem Auslande gegenüber nicht schänden; vielmehr ist es jetzt an der Zeit, ihm rundheraus zu erklären, daß die Ehr- und Würdelosigkeit nicht länger geduldet werden darf, womit er sich auf Waren deutschen Ursprungs, die er in die Fremde schickt, aber auch im heimischen Handel und Wandel sprachlich als Knecht des Auslands erweist und uns alle dadurch in Unehre bringt. Es ist nicht wahr, daß der Kaufmann sich im Welthandel nur durch Preisgabe seiner völkischen Würde behaupten könne. Kein Volk der Erde benimmt sich so hundedemütig wie das deutsche im Handelsverkehr mit den andern Völkern, daß es seine Sprache verleugnend den Ausländer spielt und so das Ansehen und die Arbeitsleistung Deutschlands schädigt. Was täte ein deutsches Zündhölzerwerk, das einen Weltabsatz hätte wie das in Jönköping? Es würde seine Schachteln nach Schweden mit der Aufschrift Utan svafvel och fosfor bekleben und stolz darauf sein, zu jedem Volk in dessen Sprache zu reden, aber zu keinem in der eignen deutschen, und — würde sich in einem neuen Weltkriege des Todes verwundern, warum man einen so krummbuckligen Sprachlakeien des Welthandels so arg verachtet, so ungerecht beschimpft. Solange wie das Gesetz diese sprachliche Selbsterniedrigung dem deutschen Kaufmann nicht verbietet, was längst hätte geschehen $Seite 352$ sollen, muß dem Kaufmannstande geraten werden, auf irgendeine Weise Selbsthilfe zu üben gegen solche Berufsglieder, die zwar in der Minderheit, aber zahlreich genug sind, um den deutschen Namen aller zu beflecken. Des deutschen Kaufmanns Aufgabe ist der Vertrieb von Waren, nicht die Sprachwissenschaft, und es ist eine doppelte Geckerei, wenn er mit Bröckchen aus toten und lebenden Sprachen um sich wirft. Seine pro, par, per, pour, à, sub sind in einem Grade albern, daß man sich wundern muß, warum so kluge Menschen das nicht fühlen. Pro und per und sub sind lateinisch, meine Herren Kaufleute, und es sollte euch schwer fallen, uns zu überzeugen, daß ein Mitglied der deutschen Handelswelt durchaus lateinisch schreiben muß, um für und auf und unter auszudrücken. Und dasselbe gilt von den mindestens 3000 Fremdbrocken aus 5—6 Sprachen, ohne die der deutsche Kaufmann in Deutschland selbst im Verkehr mit uns und mit seinesgleichen nicht aussprechen kann, daß er ein Pfund Zucker zu (à) 40 Pf. verkauft und mit pour acquit dankend quittierend die 40 Pf. akzeptiert hat. Zur Ausmerzung dieser Schande der Kaufmannsprache gehört nichts weiter als ein Wille; denn daß der deutsche Kaufmann ebensowohl Deutsch sprechen könnte, wenn er wollte, wie der englische Englisch, der französische Französisch spricht, das haben ihm deutschgesinnte Kaufleute von Bildung und Einsicht durch Lehre und Beispiel schlagend bewiesen; ich erinnere nur an die zwei Preisschriften ,Kaufmannsdeutsch' von Engels und Eitzen und das neue Buch von Betcke (vgl. S. 356). Natürlich wäre die undeutsche Sprache des deutschen Kaufmanns unmöglich, wenn der deutsche Käufer sie nicht duldete. Der deutsche Handel erdreistet sich, aus Welsch, im ,Sunlicht-Stil', zum deutschen Volke zu reden, weil dieses sich ihn gefallen läßt und die wenigen deutschen Kaufleute, die Deutsch sprechen, nicht genügend unterstützt. Sonst würde der Wettbewerb, die Seele des Handels, bald dafür sorgen, daß nur noch einige rückständige Winkelkrämer sich einer Sprache bedienten, deren sich jeder saubre Mensch schämen müßte, überdies einer Sprache, die als Schwindelsprache, als Hilfsmittel des Betruges noch von jedem gebrandmarkt worden, der über das deutsche Welsch geschrieben hat, — von mir in meiner Deutschen Stilkunst in einem besondern Abschnitt S. 174—182. Ohne seine greuliche Welscherei wäre der Kaufmannstil gar $Seite 353$ nicht übel. Er leidet nicht an der Versteifung des Amtstils, nicht an der Verworrenheit des wissenschaftlichen Satzbaus, nicht an den lächerlichen Verstiegenheiten des Kunstschreiberstils, sondern sagt, was er zu sagen hat, ,wie ein Mensch von dieser Welt'. Noch mehr als jetzt sollte sich der Kaufmann, dessen meiste Schriftstücke Briefe sind, bewußt werden, daß der Brief ein Gespräch in die Ferne ist, wie denn Goethe Korrespondenz durch Briefgespräch verdeutschte, Lessing den Briefschreibern anriet: ,Die ganze Kunst, schöne Briefe zu schreiben, ist die, daß man sie ohne Kunst schreiben lernt.' Er meinte: ohne Künstelei, denn: ,Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön' heißt es schon in einem Brief des Studenten Lessing an seine Schwester. Mit dieser Natur des Briefes vertragen sich ebensowenig gewisse falsche Bescheidenheiten wie geschmacklose Spreizungen des Kaufmannstils. Es ist schlechtes Deutsch und gar kein Stil, das Ich und Wir zu unterdrücken (vgl. S. 149), und das ständige Ihr Wertes ist nicht gebotene Höflichkeit, sondern eine ausgedroschene Strohhülse ohne allen Wert. ,Hoffe mein letztes Schreiben in Ihrem werten Besitz; — Bekenne mich zu Ihrem geehrten Gestrigen vom .., — Schätze Sie im geehrten Besitz meines ergebensten Gestrigen; — Im Verlauf meines Jüngsten . — Ohne Mehrveranlassung für heute ..' — solches Zeug schreiben einander kluge Männer, die sonst im Leben ein strenges Auge für Abgeschmacktheiten haben. Wenn für irgendeine Gattung des schriftlichen Verkehrs, dann sicherlich für den des Standes, dessen Leitsatz lautet: Zeit ist Geld, fordert die Anordnung des Stoffes: sogleich mitten in die Sache hinein, ja selbst mit der Tür ins Haus! Jede nicht mißverständliche Kürze ist Schönheit für den Kaufmannstil, weshalb gar nichts zu sagen ist gegen das Eindringen der Drahtsprache in den Geschäftsbrief. Man kann es nicht einmal formlos nennen, wenn es im Kaufmannstil, nicht bloß in Drahtungen, heißt: ,Schweine steigen, Hammel träge' , denn dies ist die nicht unangemessene Form für diese Sache. Um so mehr befremdet jede breite Geschwätzigkeit: ,Wir ersuchen Sie, den Wechsel, sobald er Ihnen vorgelegt werden wird (fehlt nur noch: vorgelegt worden sein wird!), gefälligst einlösen zu wollen' , statt: ,Wir ersuchen Sie, den Wechsel einzulösen.' $Seite 354$ Des Kaufmannstiles Hochziel ist nicht die Schönheit, sondern die straff angepaßte Zweckmäßigkeit; diese ist eben die Schönheit seiner Gattung. Daraus folgt nicht, daß der Kaufmann sich einer schlampigen Sprache bedienen dürfe; im Gegenteil: wie grade der Kaufmannstand auf saubre Wäsche, seine Kleidung, gute Umgangsformen Wert legt, so sollte er ohne Schönheitelei und Blumensprache auf schlichtes, anständiges Deutsch halten und gemeine Ausdrücke wie: ,Wir machen in Leinewand, Wir übermachen Ihnen per Fracht' nicht dulden. Selbst im schlechtesten Amerikanisch gibt es keine ähnliche Verwilderung des Ausdrucks. Daß die Sprache der kaufmännischen Anzeigen, abgesehen von der häufigen Marktschreierei, erbärmlich ist, daß sie eine tägliche Massenanklage gegen den Stand des Geschmacks und der Bildung des Kaufmanns ist, fühlt jeder, der den Anzeigenteil selbst der größten Blätter durchfliegt. Den Sprachkenner, der die Anzeigen der Auslandspresse damit vergleicht, überkommt die Scham. Daß größere Anzeigen ganz ohne Welschbrocken erscheinen, gehört zu den vereinzelten Ausnahmen. Ist es nicht schon Schmach genug für uns Deutsche, daß die Presse unsrer Feinde mit Recht höhnen darf: ,Wenn die Deutschen über Kunst und Wissenschaft schreiben wollen, so müssen sie sich des Französischen bedienen' (im Temps), und daß ein Lumpenblatt wie der Matin das ,Boche tel qu’on le parle', das in Deutschland gesprochene halbfranzösische ,Bosch' , begeifert? Dürfen sie auch der ekelhaften Wahrheit gemäß grinsend feststellen, daß der Deutsche keinen Hering verlangen oder feilbieten, keinen Lehrling, keine Magd suchen, oder keinen Unterricht, selbst den im Deutschen, ankündigen kann, ohne fremde Sprachen nachzustammeln und die eigne zu verschandeln? Anzeigen wie diese aus einem deutschen Weltblatt und von einem deutschen Welthause sind so alltäglich, daß sie eben nur einem Sammler mit bestimmtem Zweck auffallen: ,Photo-Apparate für Militärs und Zivil, Kameras für jedes Format. Kataloge über Apparate sowie diverse Photo-Artikel gratis und portofrei.' Wir sind jetzt so weit, daß die deutschen Wörter gradezu als Fremdwörter im landesüblichen Welsch erscheinen. In Deutschland gilt dergleichen vorgebliches Französisch und zweifelhaftes Deutsch sogar für ausnehmend fein. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Geschäftssprache, Latein, Welsch, Schriftsprache |
Bewertung |
einige wenig erfreuliche Eigentümlichkeiten, Ehr- und Würdelosigkeit, Unehre, hundedemütig, krummbucklige Sprachlakeien, albern, Ausmerzung dieser Schande, unmöglich, rückständige Winkelkrämer, Schwindelsprache, greuliche Welscherei, nicht übel, lächerliche Verstiegenheiten, falsche Bescheidenheiten wie geschmacklose Spreizungen, schlechtes Deutsch, ausgedroschene Strohhülse ohne allen Wert, erbärmlich, Schmach genug |
Intertextueller Bezug | Engels und Eitzen: Kaufmannsdeutsch, Betcke, Engel: Deutschen Stilkunst (S. 174-182), Goethe, Lessing |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Geschäftssprache, Schriftsprache, Schreiber schlechten Stils |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |