Das Beiwort *5
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 133 - 137 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schiller - Friedrich |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gegenwärtig, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Gesprochene Sprache, Schriftsprache |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gegenwärtig, Alt |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: |
Text |
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Zur Steigerung der Beiwörter kommt zuerst in Frage: einfacher oder umlautender Selbstlaut. Eine durchgreifende Regel gibt es nicht, wir sind nur auf den Sprachgebrauch angewiesen, und dieser ist bis auf etliche Schwankungen jetzt leidlich fest: der Umlaut herrscht vor bis auf die mehrsilbigen Beiwörter, die fast durchweg den einfachen Selbstlaut in den Steigerungsformen behalten. Gesund bildet eine Ausnahme: früher wurde zur Aufrechterhaltung der schönen, strengen Regel gesünder getadelt; heute ist gesunder verdrängt. Von den einsilbigen Beiwörtern schwanken mehre, doch wird dem Leser die Entscheidung nach dem Sprachgebrauch und dem durch ihn geleiteten Sprachgefühl in keinem Falle schwer sein. $Seite 134$ Ich zähle diese noch einigermaßen schwankenden Beiwörter nur mit ihren jetzt überwiegenden Steigerungsformen auf: bänger, blanker, blässer, frömmer, glätter, kärger, knapper, runder, schmaler, zarter. Die Beiwörter auf Zischlaute (böse, leise, weise, heiß, süß) haben im Höchstgrade die Form est: böseste, leiseste, süßeste, heißeste. Von groß heißt die Form, die sich jetzt durchgesetzt hat, größte; größeste gilt dem heutigen Sprachgebrauch als fehlerhaft. Goethe bildete im Vers, fast nie in der Prosa, süßte, was ihm nicht nachgeschrieben werden darf. Einsilbige Beiwörter auf sch (rasch, keusch, frisch) bilden aus Wohllautgründen den Höchstgrad besser mit est; bei den mehrsilbigen mit der Endung isch herrscht st vor, wenn man nicht lieber den Höchstgrad dieser Beiwörter mit andern Sprachmitteln bezeichnet: verlogenste statt lügnerischste. Nach Selbstlautern, einschließlich der Beiwörter auf h, schwankt der Höchstgrad zwischen st und est: freieste und freiste, froheste und frohste, neueste und neuste, doch beginnt die Form mit bloßem st zu überwiegen. Einsilbige Beiwörter auf d und t nehmen regelmäßig est an: mildeste, lauteste, gelehrteste; die mehrsilbigen Mittelwörter (befriedigend, lobend) regelmäßig st, — hier kann man von keiner Schwankung mehr sprechen. Des Wohllautes wegen wird in Beiwörtern auf er das e im ersten Steigerungsgrade unterdrückt, wenn weitere Beugungssilben mit er folgen: düstrerer, lautrerer, heitrerer, muntrerer; das strengrichtige düstererer usw. wäre gradezu falsch. Wir alle sprechen erhabnere, vollkommnere und tun gut, in den Beiwörtern auf en das e der ersten Steigerung in erweiterten Beugeformen wegzulassen. Bei dieser Gelegenheit sei auf die Form mehre statt mehrere verwiesen (vgl. S. 154). Gebeugt werden die ersten Steigerungsformen lieber nach den Mustern von bessern, besserm, größern, größerm (nicht bessren, bessrem, größren, größrem). Echte Mittelwörter, d. h. solche, die noch ganz als Zeitwortformen, nicht als Beiwörter gefühlt werden, sind nicht durch Beugung mit er und st steigerungsfähig, sondern bedienen sich zur Steigerung andrer Mittel; nicht: ,der verwundetste Soldat ', sondern ,der am schwersten verwundete '. $Seite 135$ Je mehr eine Mittelwortform Beiwortsinn angenommen, desto eher ist die Steigerung mit er, st zulässig: ,Die quälendere Frage ist die '; aber nicht: ,die mich quälendere Frage ', sondern: ,die mich mehr quälende . .' ; ,die stärkendsten Arzneien' ; aber: ,die seine Gesundheit am besten stärkenden ..' ; ,das geliebteste Kind' ; aber: ,das von ihm meistgeliebte Kind' . Steigerung über den Höchstgrad hinaus ist sinnlos, also sprachlich unzulässig: ,das meistgelesenste Buch, die weitestverbreitetste Zeitung, das schönstgelegenste Haus' . Auch Kaufleute sollten sich niemals dieser unmöglichen Steigerung in ihren Anpreisungen bedienen. — Es heißt in der Schriftsprache nur einzig, nicht einzigst, mag immerhin die Zärtlichkeit einmal so übertreibend sprechen. Bestmöglich, größtmöglich sind keine musterhafte Verbindungen, aber sie haben sich schon zu fest eingebürgert; möglichst gut, so gut wie möglich, so groß wie möglich sagen dasselbe in einwandfreier Form. Auf keinen Fall aber bestmöglichst: ,doppeltgenäht hält besser' gilt für Sprachfragen nicht. ,Ein letzter Wunsch des Verstorbenen' soll nach einem Sprachbüttel ,unlogisch', also verboten sein. Man traut seinen Augen nicht, aber der deutschen Sprache gegenüber ist alles erlaubt; nur mit der unbedingten Forderung, sie solle deutsch sein, macht man sich lächerlich. ,Eine schönere als kluge Frau . . .'? Im Lateinischen, auch im Französischen geläufig, im Deutschen unzulässig, vielmehr nur: ,Eine mehr schöne als kluge Frau' Ebenso nicht etwa: ,Du rechnest schneller als richtig' ; sondern: ,. . . mehr schnell als...' Die harmlose, gute, von jedermann gebrauchte Ausdrucksform: ,Ich trete eine längere Reise an, Eine bessere Köchin sucht Stellung; Dieser Stoff ist in allen größeren Geschäften zu haben; Ich wünsche nur eine kleinere Wohnung' — alles dies wird bemängelt, ,ganz wunderlich' genannt und verhöhnt: folglich ist gut jetzt besser als besser' . Die Sprache benimmt mit ihrer Künstlerkühnheit noch ganz andern Wundern die Wunderlichkeit: sie nennt den Mann, der mich, den Bedienten, bedient, den Bedienten, und kein Mensch wundert sich darüber, weil nämlich dies schon seit mehr als einem Jahrhundert geschieht, die bessere Köchin erst seit einem halben Jahrhundert sucht. Ist es nicht viel zu milde, solche Be- $Seite 136$ trachtung der Sprache ausbündig philisterhaft zu nennen? Freuen sollte man sich, daß unsre Sprache noch nicht die Kraft eingebüßt, mit den einfachsten eignen Mitteln Wirkungen zu erreichen, zu denen sonst umständliche und langweilige Umschreibungen nötig wären. Jeder weiß, was eine bessere Köchin ist oder sein will, und keinem Vernünftigen, sondern nur dem öden Beckmesser kommt der Gedanke, daß gut dadurch besser als besser wird. Der Weg zum guten Deutsch führt leider überall durch das Distelgestrüpp solcher Kritteleien und muß durch solche hindurch gebahnt werden. Wie werden zusammengesetzte Beiwörter gesteigert? Heißt es die weitschauendere oder die weiter schauende Politik; die tiefliegenderen oder die tiefer liegenden Gründe; die hochgelegenste oder die höchstgelegene Wohnung, der zartestfühlende oder der zartfühlendste Mann? Es gibt hierfür eine sichere Regel, ihre Anwendung aber hängt ab vom sichern Geschmack. Die Regel sagt: Ist die Zusammensetzung so fest, daß ein neues selbständiges Beiwort vorliegt, so wird nicht getrennt und das letzte Glied gesteigert; ist die Verbindung lose, wird das erste Glied noch deutlich als selbständiges Umstandswort gefühlt, so wird getrennt und die Steigerung erfolgt am ersten Gliede. In den genannten Fällen entscheidet sich der Sprachgebrauch dem Gefühl gemäß für: weiter schauende Politik (weitschauender ist nicht unmöglich), tiefer liegende Gründe, höchstgelegene Wohnung, zartfühlendster Mann. Es heißt: ,tiefgefühltestes Beileid' (,tiefgefühlt' ist eine feste, übrigens ganz abgedroschene, Formel geworden); ,tiefstgefühlt' wäre gradezu falsch. Warum falsch? Weil man nicht so spricht. Ob sich der Sprachgebrauch mit der Zeit für tiefstgefühlt entscheidet, wissen wir nicht. Aber jedenfalls: ,ein tiefer fühlendes Herz' , weil hier noch keine Formel vorliegt. ,Die wohlschmeckendste Speise, das wohltuendste Gefühl' , weil ,wohlschmeckend, wohltuend' feste Beiwörter geworden sind. Hochgebildetst oder höchstgebildet? Beides ist zulässig, doch wiegt höchstgebildet vor, ebenso höchstbesteuert, — die Zusammensetzung wird noch nicht als formelhaft fest empfunden. Dagegen hochtrabendst, weil hochtrabend ein selbständiges Beiwort ist. Schiller schreibt: ,Sie ist die hochbegabteste von allen' (Prolog zur Jungfrau), also galt hochbegabt schon damals als eine feste Formel. So sagen wir heute wohl nur: ,die hochfliegendsten Pläne' — aus gleichem $Seite 137$ Grunde. Will man ein Beiwort wie hochgeehrt überflüssigerweise noch auf den höchsten Grad steigern, dann nur: ,hochgeehrteste Versammlung!' — Man sieht, die Entscheidung über Trennen oder Nichttrennen ist ausschließlich Sache des Sprachgefühls, d. h. der genauen Kenntnis des zurzeit herrschenden Sprachgebrauchs. Die Richtung geht mehr auf Nichttrennen, weil immer mehr Zufallsverbindungen zu formelhaft festen Neuwörtern werden. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Goethe - Johann Wolfgang, alt, gegenwärtig, Schriftsprache, gesprochene Sprache |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | alt, gegenwärtig |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schiller - Friedrich |
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Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
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Intertextueller Bezug |