Verein Leipziger Gastwirtean Bord Sr. Maj. Schiff

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 37 - 39

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Präpositionalphrase oder Genitivphrase

Genannte Bezugsinstanzen: Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Literatursprache
Behandelter Zweifelfall:

Adjektiv: Gebrauch von Deonymika

Genannte Bezugsinstanzen: Gebildete, Schriftsprache, Literatursprache
Text

Ein gemeiner Fehler, für den leider in den weitesten, auch in gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein scheint, liegt in Verbindungen vor wie: Verein Leipziger Gastwirte, Ausschank Zwenkauer Biere, Hilfskasse Leipziger Journalisten, Verein Berliner Buchhändler, Radierungen Düsseldorfer Künstler, Photographien Magdeburger Baudenkmäler, eine Sammlung altmeißner Porzellane, die frühesten Namen Breslauer Konsuln, zur Topographie südtiroler Burgen, nach Meldungen Dresdner Zeitungen.

Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf er werden von vielen jetzt für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: pariser, wiener, thüringer, schweizer. Das ist ein großer Irrtum. Diese Formen sind keine Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von Substantiven. Der Leipziger Bürgermeister ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht consul Lipsiensis — das wäre der Leipzigische Bürgermeister —, sondern Lipsiensium consul, der Bürgermeister der Leipziger. Man sieht das deutlich, wenn man solche Verbindungen zugleich mit einem wirklichen Adjektivum dekliniert, z. B. der neue Berliner Ofen. Dann lauten die einzelnen Kasus: des neuen Berliner Ofens, dem neuen Berliner Ofen, den neuen Berliner Ofen, die neuen Berliner Öfen usw. Während also das Adjektiv neu und das Substantiv Ofen dekliniert werden, bleibt Berliner stets unverändert. Ganz natürlich; es ist $Seite 38$ eben kein Adjektivum, sondern ein eingeschobner, abhängiger Genitiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden, daß man, durch den Gleichklang der Endungen verführt, solche abhängige Genitive mit dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie deutscher, preußischer zusammengeworfen hat. Weil man richtig sagt: eine Versammlung deutscher Gastwirte, glaubt man auch richtig zu sagen: ein Verein Leipziger Gastwirte. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht Leipzige, während er dort deutsche heißt.

Nun ist aber in der artikellosen Deklination der Genitiv der Mehrzahl, wenn er nicht durch ein hinzugesetztes Adjektiv kenntlich gemacht wird, überhaupt nicht kenntlich; er muß (leider!) durch die Präposition von umschrieben werden. Wenn man sagt: eine Versammlung großer Künstler, so ist der Genitiv durch das Attribut großer genügend kenntlich gemacht; aber societas artificum läßt sich nimmermehr übersetzen: ein Verein Künstler, sondern nur ein Künstlerverein oder: ein Verein von Künstlern; erst durch das von entsteht ein erkennbarer Genitiv. Ganz ebenso ist es aber auch, wenn zu dem Substantiv ein Attribut tritt, das nicht deklinierbar ist, z. B. ein Zahlwort oder ein abhängiger (kein attributiver) Genitiv. So unmöglich und so falsch es ist, zu sagen: infolge Streitigkeiten, wegen Sonderzüge, mangels Beweise, ein Bund sechs Städte, innerhalb vier Wochen, nach Verlauf vier Wochen, die Lieferung fünftausend Gewehr, in der ersten Zeit dessen Leitung, mit Bewilligung dessen Eltern, unter Angabe deren Kennzeichen, die Neubesetzung Herrn Dornfelds Stelle, unterhalb Dr. Heines Brücke, der Verkauf ihres Mannes Bücher, Genüsse mancherlei Art, eine Quelle allerhand Verlegenheiten, so gewiß in allen diesen Fällen der Genitiv nur mit Hilfe der Präposition von kenntlich gemacht werden kann (ein Bund von sechs Städten, eine Quelle von allerhand Verlegenheiten), so gewiß muß es auch unbedingt heißen: Verein von Leipziger Gastwirten, Verhaftung von Erfurter Bürgern, Verkauf von $Seite 39$ Magdeburger Molkereibutter; bei Verein Berliner Künstler glaubt man immer nur einen Nominativ zu hören: ein Verein Künstler, wie bei: eine Menge Menschen, ein Haufe Steine, ein Sack Geld, ein Stück Brot.

Ebenso falsch ist es, wenn geschrieben wird: an Bord Sr. Majestät Schiff Möwe, die Forschungsreise Sr. Majestät Schiff Gazelle. Der Genitiv Sr. Majestät hängt ab von Schiff. Aber wovon hängt Schiff ab? Von nichts; es schwebt in der Luft. Und doch soll auch das ein Genitiv sein, der von Bord oder Reise abhängt. Der kann nur dadurch erkennbar gemacht werden, daß man schreibt: an Bord von Sr. Majestät Schiff Gazelle, denn an Bord Sr. Majestät Schiffs Gazelle wird niemand gern sagen wollen.//* Der Fehler ist, wie die ganze Phrase und wie so vieles andre heute in unsrer Sprache, eine Nachäfferei des Englischen. Im Englischen wird on board mit dem Akkusativ verbunden (to go on board a shipon board Her Majesty's ship Albert). Aber was geht das uns an?//

Anstatt des abhängigen dessen und deren braucht man sich nur des attributiven sein und ihr zu bedienen, und der Genitiv ist sofort erkennbar. Falsch ist: ich gedenke dessen Güte und Machtdie Briefe Goethes an seinen Sohn während dessen Studienjahre in Heidelberg — eine Darstellung der alten Kirche und deren Kunstschätze — die Interessen der Stadt und deren Einwohner — eine Aufzählung aller Güter und deren Besitzer — eine Versammlung sämtlicher evangelischen Fürsten und deren Vertreter — eine Tochter des Herrn Direktor Schmidt und dessen Gemahlin — zum Besten der Verunglückten und deren Hinterlassenen — die Sicherstellung der Zukunft der Beamten und deren Familien; es muß heißen: seiner Güte und Macht, seiner Gemahlin, ihrer Hinterlassenen, ihrer Familien usw.//** Beim Dichter läßt man sich gefallen: drum komme, wem der Mai gefällt, und freue sich der schönen Welt und Gottes Vatergüte (statt der Vatergüte).//


Zweifelsfall

Präpositionalphrase oder Genitivphrase

Beispiel
Bezugsinstanz Literatursprache, Schriftsprache, gesprochene Sprache
Bewertung

so unmöglich und so falsch, Nachäfferei des Englischen, falsch

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Adjektiv: Gebrauch von Deonymika

Beispiel
Bezugsinstanz Literatursprache, Gebildete, Schriftsprache
Bewertung

großer Irrtum, ganz natürlich, richtig, Nachäfferei des Englischen

Intertextueller Bezug