Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 292 - 294

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Wortstellung: Serialisierung von Adjektiven

Genannte Bezugsinstanzen: Gegenwärtig, Schriftsprache
Behandelter Zweifelfall:

Substantiv: Pluralbildung

Genannte Bezugsinstanzen: Sprache des Buchhandels, Schriftsprache
Text

Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z. B.: ein sächsischer junger Leutnant — die ausländische gesamte Medizin — westfälische mittelalterliche Volkslieder — man schöpfte mit hölzernen großen Kannen — wenn die Sonne schien, wurden die seidnen verblaßten Vorhänge zugezogen — da wollte auf dem Boden des Handwerks nicht einmal mehr das tägliche kärgliche Brot wachsen — die Turnübungen finden in der städtischen geräumigen Turnhalle statt — die Bestrebungen, den Arbeiterfamilien eigne behagliche Wohnungen zu schaffen — die Bildung künftiger $Seite 293$ maßgebender Staatsbeamten — in Zeiten wirtschaftlicher schroff aufeinander stoßender Gegensätze — eine chronische mit Geduld ertragne Krankheit — ein sittlicher angeborner Defekt. In allen diesen Fällen ist das Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte stehen müßte, weil es mit diesem zusammen einen Begriff bildet, durch ein zweites Eigenschaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch eingefallen ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung logisch richtig werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall ihre Plätze wechseln. Das ärgste dieser Art ist die alte gute Zeit, wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. Die alte Zeit ist ein Begriff (die Vergangenheit); tritt zu diesem Begriff das Eigenschaftswort gut, so darf er nicht zerrissen werden, sondern es muß heißen: die gute [alte Zeit]. Man muß sich also immer klar machen, welches von den beiden Adjektiven das wesentliche ist; dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort. Bezeichnet eins der beiden Adjektiva einen Stoff (hölzern, seiden) oder die Herkunft (sächsisch, ausländisch, westfälisch), so gehört dieses in der Regel unmittelbar vor das Hauptwort: mit großen hölzernen Kannen, ein junger sächsischer Leutnant. Natürlich ist es auch möglich, daß das andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff bildet oder wenigstens — bilden soll; dann muß die Ortsbezeichnung von dem Hauptwort entfernt werden, z. B.: Leipziger elektrische Straßenbahn — Münchner neueste Nachrichten — englische historische Romane — die sächsische zweite Kammer — die Straßburger katholische Fakultät — feine Nürnberger gelehrten Freunde usw. Sage ich: der höchste Leipziger Turm, so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor und greife dann den höchsten heraus; bei den Leipziger neuesten Nachrichten dagegen soll ich mir alle Zeitungen vorstellen, die Neueste Nachrichten heißen, und soll dann die Leipziger herausgreifen. So ist auch der letzte schwere Tag der letzte einer Reihe von schweren Tagen, z. B. einer Examenwoche, dagegen der schwere letzte Tag der Todestag.

$Seite 294$ Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen Bücherverzeichnissen lesen muß: erste seltne Ausgabe. Es klingt das, als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die hier verkäufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber sagen, es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die editio princeps, und diese sei selten. Das kann nur heißen: seltne [erste Ausgabe], Anders verhält sichs mit der zweiten, verbesserten Ausgabe. Hier ist verbessert ein nachträglicher Zusatz, wie schon das Komma zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf Büchertiteln leider sehr oft fehlt; der Sinn ist: zweite, (und zwar) verbesserte Auflage. Läßt man das Komma weg, so erweckt das die Vorstellung, als ob schon eine erste verbesserte Auflage vorhergegangen, diese hier also im ganzen die dritte wäre. Manchem wird das als unnötige Distelei erscheinen, es handelt sich aber um einen ganz groben, handgreiflichen Unterschied.

Scan
Wustmann(1903) 292-294.pdf


Zweifelsfall

Substantiv: Pluralbildung

Beispiel
Bezugsinstanz Sprache des Buchhandels, Schriftsprache
Bewertung

grundfalsch, leider, Frequenz/sehr oft, unnötige Distelei, ganz grober, handgreiflicher Unterschied

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Wortstellung: Serialisierung von Adjektiven

Beispiel
Bezugsinstanz gegenwärtig, Schriftsprache
Bewertung

Frequenz/sehr oft, das ärgste dieser Art

Intertextueller Bezug