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Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z. B.: ein säch- sischer junger Leutnant — die ausländische ge- samte Medizin — westfälische mittelalterliche Volkslieder — man schöpfte mit hölzernen großen Kannen — wenn die Sonne schien, wurden die seidnen verblaßten Vorhänge zugezogen — da wollte auf dem Boden des Handwerks nicht einmal mehr das tägliche kärgliche Brot wachsen — die Turnübungen finden in der städtischen geräumigen Turnhalle statt — die Bestrebungen, den Arbeiterfamilien eigne behagliche Wohnungen zu schaffen — die Bildung künftiger $Seite 293$ maßgebender Staatsbeamten — in Zeiten wirt- schaftlicher schroff aufeinander stoßender Gegensätze
— eine chronische mit Geduld ertragne Krankheit — ein sittlicher angeborner Defekt. In allen diesen Fällen ist das Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte stehen müßte, weil es mit diesem zu- sammen einen Begriff bildet, durch ein zweites Eigen-
schaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch ein- gefallen ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung logisch richtig werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall ihre Plätze wechseln. Das
ärgste dieser Art ist die alte gute Zeit, wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. Die alte Zeit ist ein Begriff (die Vergangenheit); tritt zu diesem Begriff das Eigen- schaftswort gut, so darf er nicht zerrissen werden, sondern es muß heißen: die gute [alte Zeit]. Man muß sich also immer klar machen, welches von den beiden Adjek- tiven das wesentliche ist; dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort. Bezeichnet eins der beiden Adjektiva einen Stoff (hölzern, seiden) oder die Herkunft (sächsisch, ausländisch, westfälisch), so gehört dieses in der Regel unmittelbar vor das Hauptwort: mit großen hölzernen Kannen, ein junger sächsischer Leutnant. Natürlich ist es auch möglich, daß das andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff
bildet oder wenigstens — bilden soll; dann muß die Orts- bezeichnung von dem Hauptwort entfernt werden, z. B.: Leipziger elektrische Straßenbahn — Münchner neueste Nachrichten — englische historische Romane
— die sächsische zweite Kammer — die Straß- burger katholische Fakultät — feine Nürnberger
gelehrten Freunde usw. Sage ich: der höchste Leip- ziger Turm, so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor und greife dann den höchsten heraus; bei den Leip- ziger neuesten Nachrichten dagegen soll ich mir alle
Zeitungen vorstellen, die Neueste Nachrichten heißen, und soll dann die Leipziger herausgreifen. So ist auch der letzte schwere Tag der letzte einer Reihe von schweren Tagen, z. B. einer Examenwoche, dagegen der schwere letzte Tag der Todestag. $Seite 294$
Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen Bücherverzeichnissen lesen muß: erste
seltne Ausgabe. Es klingt das, als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die hier ver-
käufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber sagen, es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die editio princeps, und diese sei selten. Das kann nur heißen: seltne [erste Ausgabe], Anders
verhält sichs mit der zweiten, verbesserten Ausgabe. Hier ist verbessert ein nachträglicher Zusatz, wie schon
das Komma zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf Büchertiteln leider sehr oft fehlt; der Sinn ist: zweite,
(und zwar) verbesserte Auflage. Läßt man das Komma weg, so erweckt das die Vorstellung, als ob schon eine erste verbesserte Auflage vorhergegangen, diese hier also im ganzen die dritte wäre. Manchem wird das als
unnötige Distelei erscheinen, es handelt sich aber um einen ganz groben, handgreiflichen Unterschied.
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