Guter Stil
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 328 - 338 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gebildete, Schreiber schlechten Stils, Prosa, Welsch, Goethe - Johann Wolfgang, Sprachverlauf, Schriftsprache, Literatursprache, Wissenschaftssprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils, Behördensprache, Schiller - Friedrich, Schriftsprache, Moltke - Helmuth Karl Bernhard von, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Redewendung/Sprichwort |
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Text |
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Es gibt eine Wissenschaft vom Stil, und die ist erlernbar; der Stil selbst ist eine der schönen Künste, die man als Naturgabe besitzen muß, um sich in ihr zu vervollkommnen, die man aber nicht erlernen kann wie eine fremde Sprache. Dennoch ist es kein unberechtigter Wunsch jedes schreibenden Deutschen, außer gutem Deutsch einen guten Stil zu beherrschen. Bis zum gewissen Grade ist dieser Wunsch erfüllbar, vorausgesetzt, daß man sich fest vorsetzt und ausführt: nur seinen Stil zu schreiben, keines Andern Stil nachzuahmen oder nachzuäffen, seiner Natur auch im Schreiben getreu zu bleiben und alles zu meiden, was nicht aus ihr fließt, sondern eitel gewollt und gesucht ist. Man schreibe nicht, ,wie einem der Schnabel gewachsen ist', denn man schreibt nicht für sich, sondern für Andre; man schreibe aber nicht, wie man niemals sprechen würde, wie kein Mensch wirklich spricht. Dieses Buch, das im Gegensatze zu manchem andern die wirkliche Sprache als obersten Gerichtshof für fast jede Zweifelfrage anruft, kann am Schluß auch nur eindringlich raten, sich mit seinem Stil ans Leben der Sprache zu halten. Jeder hat ein sehr feines Ohr für die Ziererei der Andern: er versuche, durch strengste Selbstprüfung herauszuhören, ob seine Sprache irgendwo unnatürlich, nur gemacht klingt, und tilge die leiseste Spur der geschriebenen papiernen Unnatur aus. Guter, ja schöner Stil ist immer nur der dem eignen Sprachwesen entsprossene. Wessen Sprache nicht blühend ist, der versuche sich nicht in Redeblumen; wer im Leben schlicht und recht spricht, der quäle sich keine Geistreichigkeiten oder gar Witzchen ab; wer ein tüchtiger Mensch von dieser Erde ist, der versuche nicht in den Wolken zu wandeln und den Dichter in Prosa zu spielen. Alle solche Unechtheiten werden vom Leser gar bald erkannt, und die ganze erquälte Erhabenheit oder Geistreichelei oder Scheinpoeterei versinken in ihr Nichts. $Seite 329$ Gutes Deutsch ist die selbstverständliche Voraussetzung zum guten Stil, Sprachrichtigkeit die zur Sprachschönheit. In den andern Bildungsländern verstand es sich allzeit von selbst, daß, wer gut schreiben wolle, zuvor seine Muttersprache fehlerfrei, fleckenlos schreiben müsse; in Deutschland beginnt diese Überzeugung sich eigentlich erst seit einem Menschenalter allgemein durchzusetzen. Zu jeder edlen Kunst gehört die vollkommne Herrschaft über das Handwerk dieser Kunst: das der Stilkunst heißt Sprachrichtigkeit — in dem immer wiederholten Sinne dieses Buches, daß nicht die Sprachmeister, sondern der Sprachgebrauch der Gebildetsten am letzten Ende entscheidet, was falsch, was richtig ist. Daß sich hierbei herausgestellt hat, wie sicher in den meisten Fällen der gute Sprachgebrauch seinen Weg durch Falsch und Richtig zu finden weiß, wird hoffentlich den allermeisten Lesern zur Freude gereicht haben. Mit der wohlbegründeten Überzeugung, daß in Deutschland nicht so schlecht gesprochen wird, wie die Krittler und Merker es ihrem Volke seit Geschlechtern aufgeredet haben, wird vielleicht eine neue Spanne der deutschen Sprachpflege anheben; nennen wir sie die der Sprachfreude. Fehlerloses Deutsch, soweit Fehlerlosigkeit in einer so überaus reichen und biegsamen Sprache zu erreichen ist. Die Zahl der unzweifelhaft groben Fehler im Deutschen ist zum Glück in der Rede und Schrift viel viel kleiner, als gemeinhin angenommen wird. Nicht die Hälfte, nicht der vierte Teil der hochfahrend ,Sprachdummheiten‘ geschimpften Abweichungen vom Geschmack des einen einzig Makellosen und Unfehlbaren sind wirklich das, was man Sprachfehler nennen dürfte. Es sind vielfach Schwankungen, die sich zu befestigen beginnen; Neubildungen, die sich durchgesetzt haben; Bequemlichkeiten, die den berechtigten Bedürfnissen des Lebens, also auch der Sprache als der Ausdrucksform des Lebens, entsprungen sind. Die Fehler jedoch, die in der Tat so und nicht anders heißen müssen, ist jeder deutsche Schreiber ehrenhalber verpflichtet zu erkennen und abzulegen. In diesem Buche ist hoffentlich keiner übergangen, kein besonders schlimmer zu milde beurteilt worden. Sprachrichtigkeit, gutes Deutsch, guter Stil — sie alle drei sind, das sei am Schlusse wie im Anfang gesagt, untrennbar vom reinen Deutsch. Man könnte vielleicht allen wissenschaftlichen Streit über Recht oder Unrecht des Welsch in $Seite 330$ mitten der deutschen Sprache auf sich beruhen lassen, weil ihn wahrscheinlich die Allgewalt des Geschmackwandels dadurch schlichten wird, daß die jetzige Fremdwörterei einem besser erzogenen Geschlecht so abgeschmackt klingen wird wie uns die Alamodesprache des 17. Jahrhunderts. Für uns Lebende und die zunächst folgende Jugend gilt jedenfalls das höchste Gesetz alles schriftlichen Verkehrs, alles Stils: man schreibt, um verstanden zu werden; und vollkommen verstanden, mit jedem Wort von jedem Leser, wird der deutsche Schreiber nur mit den Ausdrücken seiner Muttersprache. Die geringste Trübung des Verständnisses — und fast jedes Fremdwort ist trüber als das deutsche — trübt den Stil, so wie trübe Farben das bestgemalte Bild verderben. Dazu kommt die wissenschaftlich festbegründete, von keinem, auch von keinem Welscher bestrittene schnelle Vergänglichkeit der allermeisten Welschwörter. Unzählige Stellen in Goethes wissenschaftlicher Prosa sind heute ihrer welschen Bestandteile wegen nur noch mit übersetzenden Anmerkungen verständlich, ohne diese selbst vielen Hochgebildeten unverständlich. Es gibt eine Volksausgabe von Goethes Werken mit einem beigefügten Fremdwörterbuch! In meiner Volksausgabe seiner Werke war ich gezwungen, viele Hunderte von Welschwörtern durch Anmerkungen zu erhellen, weil sonst ganze wichtige Sätze Tausenden von Lesern unverständlich geblieben wären. Welch ein gefährlicher Zustand unsers wertvollsten Schrifttums! Jedes Buch in welscher Sprache, hinter dem nicht ein weltberühmter Name schützend steht, versinkt innerhalb eines Menschenalters, weil es unverständlich wird. Dazu kommt ein Zwang zu reinem Deutsch, der erst jetzt entscheidende Kraft gewinnt. Die Bewegung von verschmutzter welscher Sprache weg zu reinem Deutsch wächst zusehends an Breite, Stärke und Tiefe. Jeder Welscher kann oder sollte heute damit rechnen, daß ein zunehmender Teil der Leser, an die er sich wendet, sein schmutziges Welschdeutsch lächerlich oder verächtlich oder ekelhaft findet. Alle Verteidigungen der Welscher: dieses und jenes und die tausend andern undeutschen Wörter enthalten ,Nüankßen', die es im Deutschen nicht gibt, mit denen sich kein deutsches Wort ,deckt', wirken auf den deutschgerichteten deutschen Leser nicht mehr, denn dieser entgegnet den Welschern ruhig, aber bestimmt: Das Deutsche enthält alle Farben und Töne, du beherrschest es nur nicht $Seite 331$ genügend, — ich mag deine Buntflickensprache nicht! Was nützen dem Welscher seine herrlichsten Fremdbrocken, wenn ein neues, sprachlich saubrer fühlendes Lesergeschlecht sie verschmäht? Die deutsche Sprachfrage wird allmählich eine Massen-, also eine Machtfrage. Die Masse des Volkes siegt über die welschende Minderzahl; das Volk macht seine Verführer unschädlich, indem es sie verwirft. Diese Entwicklung vielleicht gefördert zu haben, wäre mir eine der stolzesten Lebensfreuden. Die gehässigen Angriffe meiner erbosten welschenden Gegner in einigen heimparisischen Blättern sind mir eine hohe Ehre. Dem Alltagschreiber ist nachdrücklich zu sagen: der Vorgesetzte, die Behörde, der gebildete Handelsherr, die Käufer, die Zeitungsleser, an die und für die du schreibst, haben aufgehört, das Welschdeutsche für ein Zeichen der Bildung zu halten; sie finden es gemein, rückständig, geschmacklos, eitel, dumm, und wenn du dich damit spreizest, so giltst du denen, auf die du Rücksicht zu nehmen hast, für das was du bist: für einen sprachlich schlechterzogenen Menschen oder für einen Gecken. Niemals aber wirst du bei irgendeinem Leser, nicht einmal bei einem Verteidiger des Welsch, Anstoß erregen, wenn du reines gutes Deutsch schreibst: dies nämlich versteht jeder Deutsche, selbst wer es selber nicht schreibt. Die Zeit zieht herauf, wo verschmutztes Deutsch im Schriftleben wirken wird wie unsaubres Äußere im persönlichen Menschenverkehr. Je früher du deinen schriftlichen Ausdruck auf diese neue, saubre, deutsche Zeit einstellst, desto besser für dich und für dein Vaterland. Daß reines Deutsch der echtere, wahrere, körnigere, wirksamere Ausdruck deiner Gedanken ist, davon wirst du dich beim Durchlesen des Geschriebenen selbst überzeugen, und das werden deine Leser in allen Lebensstellungen sogleich erkennen. Reines Deutsch allein wirkt sprachlich ganz wahr, denn der Deutsche empfindet noch jetzt, trotz jahrhundertelanger Sprachverbildung, nur die deutschen Wörter — und allenfalls ein paar Dutzend eingebürgerte Halblehnwörter — nach ihrem vollen Inhaltswert. Du brauchst dich nicht zu scheuen, Natur, Religion, Minister, Musik, Konzert, Literatur, Drama, Politik, General zu schreiben; aber ein gebildeter Deutscher amüsiert sich nicht mehr, enthusiasmiert sich nicht, orientiert sich nicht, auch nicht ,neu'; und wie bald wird er sich schämen, Interesse für etwas zu haben, sich für etwas zu interessieren, $Seite 332$ etwas interessant zu finden und unter den Interessenten zu figurieren. Streng wahrhaftige Sprache mit welschem Wortschatz gibt es nicht, und Wahrheit ist die oberste der unerläßlichen Eigenschaften des guten Stils. Kein schöner Stil ohne Wahrheit. Schönheit des Stils ist die innere Einheit zwischen Inhalt und Form; nur wenn die Form wahr ist, d. h. nicht mehr besagen will als der Inhalt, bekommt der Leser das wohltuende Gefühl der Sicherheit, ohne die es keinen schönen Stil gibt.
Du schärfer nichts als Lüge, Die Wahrheit sei ihr Hort! (Uhland).
Keine Mätzchen, um dich selbst ins Licht zu setzen und wichtig zu machen. Der Leser will die Sache, nicht dich. Gib ihm die Sache, so voll, so deutlich, zugleich so bequem, daß er sie wohlig eindringen fühlt, so wird er den guten Schreiber ohne dessen Aufdringlichkeit durch die Sache hindurch erkennen, schätzen, liebgewinnen. Dazu gehört natürlich, daß der Schreiber seinen Stoff bis in die schreibenden Fingerspitzen zueigen hat; denn nur aus der vollkommnen Herrschaft über die Sache erwächst die vollkommne Form, die guter Stil heißt. Darum: mache dir vor dem Schreiben klar, ob du etwas zu sagen hast, was des Aufschreibens wert ist; werde dir bewußt, was du sagen willst; durchdenke es mehrmals, um es in lichter Klarheit vor deiner Seele stehen zu sehen, und dann schreib's nieder — so schlicht wie nur möglich, so schlicht, wie alle unverbrämte Wahrheit ist. $333$ Viele Schreiber ahnen nichts von dem hohen sachlichen und künstlerischen Wert der schlichten Einfachheit; reden sich ein, man müsse das Geschriebene irgendwie verschönen, ausputzen. Man lese alle erhabensten Stellen der paar ewigen Schriften der Menschheit und überzeuge sich, mit wie einfachen Mitteln die größten Wirkungen hervorgebracht werden. Es gibt keinen gewaltigeren Satz in allem Schrifttum der Völker als: ,Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht.' Wo ist da nur die Spur eines sprachlichen Schmuckes? wo nur ein Wort, eine Silbe zu viel? In der Ursprache stehen nur sechs Worte! ,Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge', lautet der tiefste Satz von Schopenhauer über das letzte Geheimnis des guten Stils. ,Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!' schrieb Goethe: lauter ganz gewöhnliche Wörter, nicht eins, das besonders dichterisch, erhaben, ungewöhnlich klänge; und doch wie trifft dieser Anfang eines Gedichtes, für das Goethe sogar auf den Schmuck des Reims und eines stark ins Ohr fallenden Versmaßes verzichtete, unser Herz; wie unauslöschlich haftet es seit bald anderthalb Jahrhunderten in der Seele des deutschen Volkes. ,Es trägt Verstand und rechter Sinn Mit wenig Kunst sich selber vor', heißt einer der gehaltreichsten Aussprüche Goethes über Stil. Wozu liest und bewundert man solche Kleinode der Weisheit, wenn man aus ihnen nicht auch für die eigne Ausdrucksform etwas Grundlegendes gewinnen will? Erster und letzter Zweck alles Schreibens ist: unsre Gedanken auf den Leser zu übertragen, ihn, wie Schopenhauer das ausdrückte, zu nötigen, genau ebenso zu denken wie ich. Dies ist unmöglich, wenn das Geschriebene nicht durchsichtig klar im Ganzen und im Einzelnen ist; wenn nicht jeder Satz, jedes Glied, jedes Wort verständlich ist, nur auf eine Art verstanden wird. Ein berühmter römischer Stillehrer, Quintilian, kein Meisterer, sondern ein Meister und ein Meisterlehrer, forderte mit der Übertreibung der äußersten Strenge: ,Selbst nachlässig Zuhörenden muß ein Vortrag klar sein', und ein andermal: ,Nicht bloß verstanden, sondern unter keinen Umständen mißverstanden soll man werden.' Der letzten Forderung entspricht mancher Rat in diesem Buche. Gleichviel, ob das Verstehen, und zwar das schnelle, das unzweideutige, das vollständige, durch die ungenaue Wortwahl oder die $seite 334$ undeutliche Fügung oder den undurchsichtigen Satzbau gestört wird, — einen guten Stil hat kein Schreiber, der nicht von allen Lesern verstanden wird, an die er sich wendet. Auch hierbei muß gesagt werden, daß Wörter aus fremden Sprachen für die Mehrzahl der Leser weniger verständlich sind als die der Muttersprache; daß also ein welschender Schreiber gegen eine Grundforderung des guten Stiles verstößt, nicht jedes sprachliche Mittel zur vollen Verständlichkeit angewandt zu haben. Der Ausdruck sei der Sprache genau angemessen. Es gibt für jeden Gedanken einen allerbesten Ausdruck: nach diesem suche der sorgsame Schreiber, denn mit ihm bringt er die Sache zur stärksten Geltung und überträgt er seinen Gedanken am genauesten auf den Leser. Für den deutschen Leser ist der allerbeste Ausdruck das deutsche Wort, denn dieses fühlt der Schreiber und der Leser am innigsten, über dieses bestehen weniger Zweifel als über das einer fremden Sprache. Der Schreiber beruhige sich nicht mit dem erstbesten ihm einfallenden bequemen Wort, — denn das tut der Welscher, der Interesse, Element, Moment, Apparat, System, Individualität, subjektiv hinschmiert, lauter Schwammwörter, allgemeine Redensarten, statt für die bestimmte Sache das eine scharfbestimmte Wort zu suchen, das nur ein deutsches sein kann. Das erste Wort ist nicht immer das beste. In meinem Verdeutschungswörterbuch „Entwelschung" stehen bis über 80 deutsche Wörter für ein welsches Schwammwort: ein Beweis für den unendlichen Reichtum des Deutschen, für die verblasene Armseligkeit des Welsch. Keine Abgedroschenheiten und Plattheiten, sondern möglichst das eine Wort, das trotz seiner Allbekanntheit an dieser Stelle als das einzig treffende und darum mit dem Reiz der Neuheit angetane wirkt. Die Wörter der täglichen Umgangs- und Bildungsprache werden trotz ihrer immerwährenden Benutzung nicht abgedroschen; das geschieht nur den Modewörtern, die bei jeder, auch nicht passender, Gelegenheit wie aus unwiderstehlichem Zwange hingeplappert werden, weil man zu bequem ist, das angemessene Wort zu suchen. Tadellos, schneidig, ausgeschlossen, voll und ganz, selbstredend, aus der Bildfläche erscheinen, eine Fahne hochhalten, vor allem aber die mit besonderm Nachdruck eingeflickten Welschwörter: Imponderabilien, Neuorientierung, Synthese, impressionistisch, sub $Seite 335$ jektiv, individuell sind jedem Leser und Hörer von Geschmack ein Greuel. Beim ersten Gebrauch, wohl gar aus dem Munde eines großen Mannes, wie die Imponderabilien Bismarcks, mochten sie Wirkung tun; sinnlos von jedem und immerfort nachgeredet, werden sie zu leeren Wortstrohhülsen und wirken vernichtend auf Inhalt und Form. Der Leser soll vom Schreiber gefesselt werden, sonst ist alles Schreiben verfehlt: der Leser läßt das langweilige Blatt sinken oder vergißt dessen Inhalt bald nach dem Lesen. ,Eine langweilige Schrift ist allemal auch sonst wertlos' (Schopenhauer). Es bedarf keiner weither gesuchten Reizmittel der Sprache und des Stiles zum Festhalten des Hörers und Lesers: Stoffbeherrschung, strenge Sachlichkeit, lebendige Sprache, belebter Satzbau, Klarheit genügen. So schnell wie tunlich mitten in den Kern der Sache hinein: der Leser wartet ungeduldig darauf. Ist die Sache verwickelt, so darf eine vorbereitende Einleitung ihn zur richtigen Aufnahme des Folgenden stimmen; aber keine Umschweife, die mit der Sache nur von fern zusammenhängen. Lebendig ist eine Sprache, die dem Leser mehr sinnenhaftes Leben als übersinnliches Denken vermittelt. Jede Sprache hat zwei Hauptgattungen von Begriffswörtern: Ding- und Denkwörter (im Gelehrtenwelsch: Konkreta und Abstrakta). Die Abstrakta sind die von den Dingen ,abgezogenen' Denkwörter für Begriffe: man ziehe so wenig wie möglich ab, gebe lieber die anziehenden Dinge selbst. Bei den Dingwörtern sieht der Leser, bei den Denkwörtern sieht er nichts; Sehen ist lebendiger als Denken, also lasse man den Leser recht viel sehen. Die meisten bloßen Denkwörter endigen im Deutschen auf ung, igung, tum, heit, keit, igkeit, schaft: man versuche, ob man sie nicht oft durch mehr dingliche Wörter ersetzen kann. Schon das ewige Wiederholen (Wiederholung) der Ungen und Heiten wirkt auf das Ohr ermüdend; man kann sie zuweilen, wie in diesem Satz und häufig sonst geschehen, durch eine Zeitwortforrn ersetzen, die immerhin lebendiger wirkt. In diesem Buch hatte ich fast nur mit unsichtigen Begriffen zu tun, mußte also nach einem andern Mittel des Belebens trachten: der kurze, nicht schleppende Satz und das engste Annähern an die gebildete Redesprache mußten mir dienen. Man prüfe diesen Satz eines einst sehr $Seite 336$ berühmten Schreibers über Schillers Freund Körner: ,Er war es noch mehr durch die unbedingte Zuverlässigkeit und Bravheit, durch die Gleichmäßigkeit, Ruhe und Überlegtheit seines Wesens, durch die Nüchternheit seines Verstandes, durch die Anspruchslosigkeit und Uneigennützigkeit, mit der er bei aller Sicherheit seines Selbstgefühls . .' usw. mit lauter Heiten und Keiten, bei denen wir nicht das Mindeste zu sehen, zu fühlen bekommen. Werden gar verblasene, schwammige, vieldeutige Welschwörter, wie Element, Faktor, Material, Moment, organisieren, interessieren, individualisieren, typisieren eingestreut, so hört man nur noch Worte, vielmehr Wörter, und aus der lebendigen menschlichen Rede wird hohles Geräusch. Schülermaterial, Offiziermaterial, Laienelement, politische Faktoren statt Schüler, Offiziere, Laien, Kräfte im Staatsleben wirken wie verschmutzte Fensterscheiben oder dicke Schleier zwischen Augen und Dingen. Man sage, was man zu sagen hat, ganz (nicht: voll und ganz!), sage es genau, deutlich, wirksam, aber man tue nicht mehr, nichts Überflüssiges. Man treibe den angemessenen Ausdruck auf die Höhe seiner Kraft, aber man übertreibe nichts. Man schreibe oder spreche, aber man schreie nicht. Schreistil in lauter Höchstgraden der Beiwörtersteigerung, mit oft eingeschobenem außerordentlich, furchtbar, riesig, ungeheuer, unvergleichlich wird von einem feinen Ohr schon im Gespräch als — außerordentlich? furchtbar? riesig? — nein, ,als unangenehm empfunden' genügt. Das abscheulichste, wirklich allerabscheulichste Schreiwort des schlechten deutschen Sprechstils ist, natürlich, ein Welschwort: das uns von unsern Feinden höhnisch aufgemutzte Kolllossssaaal!!! Es sollte für jeden gebildeten Deutschen zum unverbrüchlichen Anstandsgesetz werden, dieses gemeine Wort nie wieder über die Lippen zu bringen. Die allzu häufige Höchststeigerung, gleich dem zu häufigen Unterstreichen, wirkt nicht mehr steigernd und belebend, sondern schwächend und abstumpfend, und obendrein — ,Jeder Superlativ (Höchstgrad, Übertreibung) reizt zum Widerspruch' (Bismarck). Der Sprecher wird gehört, der Schreier überschreit sich und wird überhört. Die Schreierei des Ausdrucks hat es in Deutschland soweit gebracht, daß Widersinn wie riesig klein und kolossal wenig kaum noch auffällt. Kein notwendiges Wort zu wenig, aber ebensowenig ein $Seite 337$ überflüssiges Wort bloß um der Fülle, d. h. der Wortmacherei willen. Unsre Sprache liebt in manchen Redensarten eine gewisse behagliche Breite: Saft und Kraft, Mann und Maus, Kind und Kegel, gäng und gäbe, Art und Weise, Grund und Boden, frank und frei, los und ledig, klipp und klar, hoch und heilig, steif und fest, gut und gern, Schutz und Schirm, Hohn und Spott, Sack und Pack. Meist sind es Fügungen mit Anlautreim, womit das Deutsche von jeher gern gespielt hat. Anders steht es mit der reinen Überflüssigkeit, der Doppelsagerei (Pleonasmus, Tautologie). ,Zuerst anfangen, zuletzt beendigen, er soll angeblich . ., noch einmal wiederholen' sind in der Schriftsprache vom Übel. Nach Zeitwörtern, die schon eine Farbe der Tätigkeit enthalten, braucht nicht doppelt gefärbt zu werden: ,gewöhnlich pflegen; befehlen, tun zu sollen; gestatten, tun zu dürfen; imstande sein, tun zu können' sind doppelgedrehte, überdrehte Stricke, die schlechter halten als einfache. ,Er war außerstande, ihm dabei helfen zu können; Ich hatte die Erlaubnis, ins Theater gehen zu dürfen; Du hast keinen rechten Mut, dies anfangen zu wollen; Sie besaß eine besondere Gabe, ihn verstehen zu können; Es ist mir zu meinem Bedauern leider nicht möglich, Ihnen das Buch schon morgen bringen zu können; Er war genötigt, schon heute abreisen zu müssen' — so schreiben die Wortmacher. Nichts als geschwollene Wichtigtuerei und Markschreierei sind Ankündigungen wie: ,Aufführung des Rappelkopfs, unter persönlicher Leitung des Komponisten.' Gibt es auch eine unpersönliche? In keiner andern Sprache kommt dieser lächerliche Mißbrauch vor, obwohl die Marktschreierei in andern Ländern nicht geringer ist; aber die Achtung vor der Sprache ist anderswo größer. Dagegen sind gar wohl Sprechweisen erlaubt, die nicht als Wiederholung, sondern als Verstärkung beabsichtigt sind und wirken. ,Das kleine Gärtchen' steigert den Eindruck der Kleinheit, ,das winzige Kindchen' erst recht, und ebenso steht es mit dem ,kleinen (dünnen) Büchlein, dem ungeheuren Riesen' . Die Sprache ist kein Professor der Mathematik und der Logik. Daß im ältern Deutsch zwei Verneinungen verstärkend, nicht aufhebend wirkten (vgl. S. 168), sei hierbei in Erinnerung gebracht. Ginge es nach den Wortklaubern der Sprachlehre, so wären ,grobe Fehler, Gedankenlosigkeit, $Seite 338$ Schwulst, Unsinn, Roheit' harmlose feste Wendungen wie: ,loslösen, Ruhepause, Warnungszeichen, Abwehrmaßregel, unser deutsches Vaterland, die deutsche Muttersprache, unsre deutsche Jugend' . Das Benörgeln solcher Ausdrücke ist nichts als Mückenseiherei, und dieselben Mückenseiher verschlucken die garstigsten Kamele, wenn sie nur aus Welschland stammen. Der Satz soll gefügt und gebaut, aber nicht zusammengeflickt werden: bloße Flickwörter ohne allen Wert für Sinn und Klang des Satzes dürfen nicht geschrieben oder müssen sogleich weggestrichen werden. Alles, was den Satz nicht stärkt, schwächt ihn. Eine alte Stilregel lautet: keine Wiederholung eines Wortes in zu kleinem Abstande; dies gilt besonders für bedeutungsarme Wörter. Das Wiederholen eines gewichtigen Ausdrucks an der rechten Stelle kann sehr stark wirken: ,Erst jetzt zum ersten Male, im Jahre 1812, waren alle Deutschen ohne Ausnahme einem fremden Herrn dienstbar, mußten alle deutschen Staaten ohne Ausnahme einem fremden Herrn Truppen stellen und einem fremdem Befehl untergeben, um für eine fremde Sache zu kämpfen' (Moltke). Man scheue sich nicht vor dem Wiederholen eines gewichtigen Wortes, statt daß man ein schlechtes Fürwort anwende. ,Und setzet ihr nicht das Leben ein, Nie wird euch das Leben gewonnen sein' , schrieb Schiller. Der sich vor jeder Wiederholung fürchtende Kanzleischreiber würde sagen: ,. . nie wird euch dasselbe — oder das letztere — gewonnen sein.' Eine andre kleine Schulregel verbietet die Häufung von einsilbigen Wörtern. Im Gespräch achtet kein Mensch darauf, weil sich die einzelnen kurzen Wörter zu Gruppen zusammenfügen; in der Schrift fällt ein Haufe von Einsilbern vielleicht dem Auge auf, doch schadet er dem Satze nichts, wenn jedes Wort am rechten Orte steht. Wohl das merkwürdigste Beispiel eines nicht schlechtklingenden Satzes mit lauter Einsilbern, 20 hintereinander, sind diese Verse Goethes:
Und bin’s doch noch so gut, als wie ich's war. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, Schreiber schlechten Stils, Redewendung/Sprichwort, Moltke - Helmuth Karl Bernhard von, Schiller - Friedrich, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Behördensprache |
Bewertung |
eitel gewollt und gesucht, Ziererei, strengste, unnatürlich, nur gemacht, papierne Unnatur, Unechtheiten, ganze erquälte Erhabenheit oder Geistreichelei oder Scheinpoeterei, nicht so schlecht, unzweifelhaft grobe Fehler, abgeschmackt, unverständlich, verschmutzte welsche Sprache, schmutziges Welschdeutsch, lächerlich oder verächtlich oder ekelhaft, gemein, rückständig, geschmacklos, eitel, dumm, sprachlich schlechterzogene Menschen, echtere, wahrere, körnigere, wirksamere Ausdruck deiner Gedanken, ganz wahr, unwahrhaftig, Schwall, Schwulst, Geschwätz, nicht schöner Stil, ein Greuel, leeren Wortstrohhülsen, vernichtend, ermüdend, lebendiger, abscheulichste, wirklich allerabscheulichste Schreiwort, doppelgedrehte, überdrehte Stricke, geschwollene Wichtigtuerei und Markschreierei, lächerlicher Mißbrauch, merkwürdig |
Intertextueller Bezug | Schopenhauer, Goethe, Quintilian, Engel: Entwelschung, Bismarck |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schreiber schlechten Stils, Welsch, Goethe - Johann Wolfgang, Wissenschaftssprache, Prosa, Gebildete, Sprachverlauf, Literatursprache, Schriftsprache |
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Intertextueller Bezug |
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Intertextueller Bezug |