Satzgefüge und Satzbau 1. Haupt- und Geschlechtswort *1

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 242 - 245

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Unsicherheit
Text

Die Frage nach dem Geschlecht des Hauptworts, die rein sprachlich schon behandelt worden, hat Bedeutung auch für das Satzgefüge. Da das sprachliche Geschlecht dem natürlichen nicht immer gleich ist, und da viele Wörter, namentlich die Orts-, Länder-, Berge-, Flüssenamen, kein feststehendes Sprachgeschlecht haben, so entstehen Zweifel, wie man sie im Gefüge des Satzes, abgesehen vom Geschlechtswort, behandeln soll. In Fällen wie: ,Das Mädchen, das ich liebe' ist die Sache klar: .. ,die ich liebe' wäre hier unmöglich. Warum eigentlich? Ein Mädchen ist doch weiblich trotz dem sprachlichen das; dieses das ist ja im Grunde ganz unnatürlich, sinnlos, und man sollte froh sein, wenn der Verlauf des Satzes die Möglichkeit bietet, solche Unnatur aufzuheben. Die deutsche Sprache handelt hier, wie in vielen Fällen, freier und $Seite 243$ feiner als die meisten andern Sprachen, auch als das Griechische und Lateinische, geschweige die starren romanischen Sprachen, für die das zufällige Sprachgeschlecht maßgebend ist, mag auch im Verfolg eines langen Gefüges der Gegensatz zwischen Sprache und Wirklichkeit noch so breit klaffen. Im Deutschen widerfährt beiden Gerechtigkeit, wenn die Regel beobachtet wird: je nach dem Überwiegen des Sprachgefühls für das eine oder andre Geschlecht, oder für die Geschlechtslosigkeit, die wir ,sächlich' nennen, muß die Geschlechtsform aller auf das bestimmende Wort bezüglicher Wörter im Satze gewählt werden. ,Das liebe Weibchen, mit der ich mich vertrage' klingt uns etwas hart, obwohl es von Goethe herrührt; doch unerträglich wirkt es nicht, weil der Gedanke an das wirkliche Geschlecht den sprachlichen Widerspruch dämpft. — ,Das kleine Geschöpf, die mich in diesen Zustand gebracht hat.' Hier wird der Widerspruch lauter, da in Geschöpf die gemeinte Weiblichkeit nicht so unverkennbar hervortritt. Auch diese Fügung ist von Goethe, der sich in diesem Punkte mehr als irgendein deutscher Dichter an die Natur gehalten hat. — ,Jenes Mädchen ist's, das vertriebene, die du gewählt hast' (Hermann und Dorothea) — untadlig, denn daneben und dazwischen klingt für uns: ,Jenes Mädchen .., sie ist's, die du ..' Das wäre nicht falsch, nicht schlecht, aber nicht ganz so natürlich, also so gut und so dichterisch wie die. So erregt auch keinen Anstoß ,die treuste der Weiber' (Goethe).

Am anstößigsten wirkt ein bezügliches Fürwort, das mit abweichendem Geschlecht unmittelbar an das Hauptwort angeschlossen wird (,das Mädchen, die ich liebe' ), weil diese Fügung nur der Sprachlehre angehört, sich deren Formgesetzen aufs genaueste unterwerfen muß.

Ein edel Magedin .. si wart ein schoene wip (Nibelungenlied). Da ließ das Weib ihren Krug stehen (Luther) — beides ohne den geringsten Anstoß. ,Wenn das Fräulein jetzt schon weiß, was sie zu Mittag speisen soll' (Lessing). Hier wäre ,.. was es gradezu hart, weil gar zu sehr sprachrichtig, gar zu unnatürlich. ,Die häßlichste meiner Kammermädchen' (Wieland) — ohne Bedenken, denn man könnte ja auch ohne Anstoß sagen: ,Sie ist die häßlichste meiner ..'

Je weniger dichterisch, je nüchterner, je wissenschaftlicher eine Darstellung, desto größeres Recht darf die Sprachlehre $Seite 244$ beanspruchen: ,Das Weib hat ihrer Bestimmung gemäß zu leben' würde in einer gelehrten Abhandlung stören; in dem Verse: ,Dienen lerne beizeiten das Weib nach ihrer Bestimmung, Denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen, Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret' . Hätte Goethe nicht gleich mit ,ihrer' angeknüpft, so hätte er sich drei Verse hindurch des unnatürlichen es bedienen müssen.

Als Richtschnur bei der Wahl zwischen sprachlichem und natürlichem Geschlecht mag dienen: Je weiter von dem bestimmenden Hauptwort ein Fürwort oder ein andres abhängiges Wort steht, je weniger deutlich das Sprachgeschlecht im Gedächtnis nachwirkt, desto erträglicher, ja selbstverständlicher ist die Rückkehr zum natürlichen Geschlecht. Jeder Fall bedarf besondrer Prüfung, die dem gesunden und geübten Sprachgefühl überlassen werden kann.

Bei Ländernamen usw. kommt die Wahl des Geschlechtes fast nur für die dichterische Darstellung ernsthaft in Betracht, und dem Dichter brauchen hier keine Ratschläge erteilt zu werden; wir empfangen sie von ihm. Ägypten ist sprachlich ein geschlechtsloser Begriff, also sächlich; aber ein Dichter, der sich das Land im Bilde eines geheimnisvollen königlichen Weibes vorstellt, wird es mit ,Königin' und sie anreden dürfen.

Werden statt der Fürwörter Hauptwörter zur näheren Bezeichnung eines vom natürlichen Geschlecht sprachlich abweichenden Hauptwortes oder eines an sich geschlechtslosen Begriffswortes für Gedankenbilder gebraucht, so muß jeder Schreiber ein wenig Dichter sein und je nach seiner Vorstellung wählen. Ob er sich die Sprache nur im Bilde einer Frau oder auch, dem Sprachgeschlecht entgegen, eines Mannes denken kann und will, ist Sache seiner Phantasie im Augenblick des Schreibens und unter dem Einfluß des Aussagewortes. ,Die Sprache ist nicht die alleinige Gesetzgeberin in dieser Frage' ist gut; aber ,.. der alleinige Gesetzgeber' ist mindestens ebenso gut oder besser, denn bisher wurden alle Gesetze von Männern gegeben, und es ließe sich eher Anstoß an Gesetzgeberin nehmen. Noch dringender wird das männliche Geschlecht gewünscht werden in dem Satze: ,Die Not ist ein unbarmherziger Gesetzgeber' — aus Gründen, die der Leser selbst fühlt. Ob die Frau ein guter Kunde oder $Seite 245$ eine gute Kundin heißen soll, entscheidet das in beiden Fällen richtige Gefühl; keine Sprachregel widerspricht der Kundin (vgl. S. 97). Gegen Herders Fügung: ,Die Sprache ist der Verkündiger ..' ist nicht viel einzuwenden, doch erscheint uns heute die Verkündigerin als das Natürlichere. ,Das Gesetz ist ein unparteiischer Richter' verdient den Vorzug vor Richterin, weil das sächliche Gesetz dem weiblichen Geschlecht noch ferner steht als dem männlichen: im Zweifelfalle gebührt dem männlichen als dem von jeher herrschenden der Vorrang. Darum auch: ,In diesem Hause ist die Frau der Herr' , zumal da es hier auf den Gegensatz zwischen Stellung und Geschlecht ankommt; Herrin wäre weniger sinnentsprechend. Ebenso: ,Die Schönheit war immer der Gott der Welt' (Schiller), denn nur an einen Gott, nicht eine Göttin der Welt wurde von je gedacht. Dagegen erregt in ,Die Geschichte soll keine Lobrednerin sein' (Schiller) die Lobrednerin keinen Anstoß. ,England will die Zwingherrin der Meere sein' , oder: der Zwingherr ..? Nach allem, was wir von England erlebt haben, verdienen Bild und Wort des Zwingherrn den Vorzug vor jeder weiblichen Färbung. Ebenso schrieb Schiller nicht nur des Verses wegen, sondern mit feinstem Bedacht am Schluß der großen Streitrede seiner Maria Stuart:

Regierte Recht, so läget Ihr vor mir

Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König.

Gar nichts mit der Frage des sprachlichen und natürlichen Geschlechts hat die feste Redewendung seinerzeit zu tun: ,Sie war seinerzeit das schönste Mädchen ihrer Stadt ist einwandfrei, denn seiner bezeichnet unabhängig vom Geschlecht der Person die Zeit des Zustandes. Man darf auch richtig sagen: ,Wir waren seinerzeit nicht unbekannt' ; seinerzeit steht allgemein für einst, dazumal.


Zweifelsfall

Kongruenz: Genus

Beispiel
Bezugsinstanz Griechisch, Latein, romanische Sprachen, Goethe - Johann Wolfgang, Luther - Martin, Lessing - Gotthold Ephraim, Wieland - Christoph Martin, Herder - Johann Gottfried, Schiller - Friedrich, Redewendung/Sprichwort
Bewertung

unmöglich, unnatürlich, sinnlos, Unnatur, freier und feiner, starr, etwas hart, nicht unerträglich, untadlig, nicht falsch, nicht schlecht, aber nicht ganz so natürlich, also so gut und so dichterisch, erregt auch keinen Anstoß, am anstößigsten, gradezu hart, gar zu unnatürlich, nüchtern, weniger dichterisch, wissenschaftlich, unnatürlich, erträglicher, selbstverständlicher, ebenso gut oder besser, verdient den Vorzug

Intertextueller Bezug