Satzgefüge und Satzbau 5. Fehler in der Aussageform

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 263 - 264

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit
Text

Der schlimmste Fehler ist die Reckerei, statt ist mit beugelosem Beiwort (Die Lage der Stadt ist gesund) das unbestimmte Geschlechtswort mit der Beugeform zu setzen (Die Lage der Stadt ist eine gesunde). Woher dieser Fehler stammt, ist schwer zu ergründen; nicht aus den klassischen Sprachen, auch nicht aus dem Französischen. Das Englische hat etwas Ähnliches; aber die meisten derer, die so schreiben, wissen nichts vom Englischen. Im ältern und guten spätern Deutsch kommt er nicht vor; erst im 19. Jahrhundert und zunehmend in neuster Zeit macht er sich breit. Daß er widerwärtig ist (nicht: ein widerwärtiger!) ist, braucht nicht bewiesen zu werden; der Hinweis ist genügend (nicht: ein genügender!, oder noch besser: genügt), daß man nicht zwei Wörter gebrauchen solle, wo man nur eines braucht (vgl. S. 221 über brauchen und gebrauchen!). Es ist eine geschwätzige Form, bloße Wortmacherei und gespreizte Wichtigtuerei, weshalb die Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie von mittelmäßigen Anwälten aufgebracht, dann in die Beredsamkeit der Volksvertretungen eingedrungen, von dort in die Presse und die gesamte öffentliche Schreibsprache übergegangen ist. Im Umgang gesprochen wird sie nie; nur geschrieben und von Rednerbühnen herunter sehen oder hören wir sie, und hier haben wir wirklich einen der seltnen Fälle, wo wir dem Sprachbüttel einige Grobheit verzeihen dürfen. Nur wollen wir nicht übersehen: die Verführer an den führenden Stellen des Sprachlebens tragen Verantwortung und Schuld, nicht die durch immerwährend schlechte Beispiele in den Glauben versetzte Schreibermenge, dies sei die deutsche Aussageform, wohl gar die gebildete. Es könnte mit der Zeit dahin kommen, daß das Beiwort mit ein alleinherrschend würde, wenn nicht ein unzerbrechlicher Schutzdamm gegen die immer höher schwellende Wörterflut in der einfachen Aussageform der Umgangs-, also der eigentlichen Lebensprache aufgerichtet wäre. Niemand sagt oder wird je sagen: ,Dieser Wein ist ein guter, Das heutige Wetter ist ein schönes, Das Mädchen ist ein häßliches.' Zu lesen aber bekommen wir fast in jedem Buch und sicher in jedem $Seite 264$ Zeitungsblatt: ,Die Erklärung des Ministers war eine günstige, Die Vorstellung war eine höchst gelungene, Die Geburtenzahl in Frankreich ist eine stets abnehmende (hierzu vergleiche S. 265), Der Eindruck war ein tiefer und nachhaltiger, Der Andrang war ein großer, Sein Aussehen war kein gutes' , was ebenso falsch ist wie ,ein nicht gutes' .

Vielleicht stammt der Fehler her von der gedankenlosen Verallgemeinerung des berechtigten Gebrauches dieser Aussageform. Überall da nämlich, wo nicht einfach über etwas geurteilt wird: so steht es hiermit, und nur eben hiermit, ohne Rücksicht auf etwas andres, verwandtes oder verschiedenes (Das Wetter ist gut, — ohne unter verschiedenen Wettern zu wählen); sondern wo unterscheidend geurteilt, gewählt, nach Klassen gesondert wird, da darf, ja muß unter Umständen das näher bestimmende Geschlechtswort stehen. ,Dieses Buch ist ein gebundenes, jenes ein nur geheftetes. — Von den drei Satzformen ist diese eine (die) schlechte. — Es gibt schwierige und leichtere Sprachen, die griechische ist eine schwierige (eine der schwierigen). — Von den zwei Hauptschwierigkeiten des Deutschen ist diese eine sprachliche, die zweite eine künstlerische.' Oder ohne Geschlechtswort, aber gebeugt: ,Diese Trauben sind spanische, jene italienische.'

Ebenso notwendig ist das Geschlechtswort mit gebeugtem Beiwort da, wo der Gegensatz zweier Eigenschaften an demselben Hauptwort hervorgehoben werden soll: ,Ein neuer Minister ist nicht immer ein guter (Minister). — Ein weiser Mann ist auch meist ein geduldiger. — Ist ein alter Eindruck auch ein verlorener?* (Lessing). Es gibt ein sichres Mittel, die Fälle der einfachen und der erweiterten Aussageform leicht zu scheiden: die Erweiterung durch ein ist überall da zulässig oder notwendig, wo auch das bestimmte Geschlechtswort möglich wäre. Etwa: ,Das Wetter ist das schöne? Die Vorstellung war die höchst gelungene' ? Gewiß nicht; dagegen sehr wohl: ,Diese Trauben sind die spanischen, jene die italienischen; Der neue Minister ist nicht immer der gute.'


Zweifelsfall

Adjektiv: prädikativer oder attributiver Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Fachsprache (Klassische Sprachen), Frankreich, England, Alt, Gegenwärtig, Sprachverlauf, Schreiber guten Stils, 19. Jahrhundert, Neu, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Schriftsprache, Zeitungssprache, Umgangssprache, Lessing - Gotthold Ephraim
Bewertung

der schlimmste Fehler, schwer zu ergründen, breit, geschwätzig, bloße Wortmacherei und gespreizte Wichtigtuerei, einige Grobheit verzeihen, immerwährend schlechte Beispiele, ebenso falsch, gedankenlose Verallgemeinerung

Intertextueller Bezug