Allmähliche Beschränkung des Genetivobjekts

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 192 - 193

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Unsicherheit
Text

Ursprünglich war das Genetivobjekt nicht, wie heute in der Hauptsache, aus diese Wechselbeziehung zum persönlichen Akkusativobjekte (§ 209) beschränkt. Vielmehr hat es so viel Gebiet erst allmählich verloren, zunächst an den Akkusativ, besonders von Verbindungen mit dem Neutrum es aus (es ihm gedenken, es Wort haben). Eigentlich ein Genetiv, wurde dieses es nämlich immer häufiger als Akkusativ, auch Nominativ des Neutrums aufgefaßt, und nach dem Muster dieses vermeintlichen pronominalen Akkusativs in diesen Verbindungen wurden dann auch substantivische eingefügt. Während der Fügung von benötigt sein noch dieselbe ist wie bei Lessing: Sollten Sie mehr als der beikommenden 25 Exemplare benötigt sein, ging z. B. die Fügung eines Dinges benötigen über in: ein Ding b.; und es ist ein Dichter, der singt: Wir lächeln seines grimmen Sichvermessens, und: daß mein Blut sich sein erbarme (Chr. Morgenstern), wie denn Nietzsche im „Zarathustra" viel solche Wesfälle hat. Ebenso geht es darauf zurück, daß das Bindewort daß, ursprünglich der vierte sächliche Fall des hinweisenden Fürwortes, ebenso zu Zeitwörtern mit Akkusativ- als zu denen mit Genetiv(und andern) Objekten trat: zugeben daß, erlauben daß; — sich erkühnen daß, vergessen daß//1 Schon aus dieser Entwicklung der daß-Sätze erhellt, wie unberechtigt die Forderung ängstlicher Sprachlehrer ist, daß man daß-Sätzen, wo sie nicht einem Akkusativobjekt entsprechen, möglichst ein das andre Verhältnis andeutendes Für- oder Umstandswort vorausschicken solle. Ich besinne mich nicht mehr (darauf), daß ich das gesagt hatte wäre ohne darauf auch verständlich. Ebenso ist möglich: Erzürnt sein, daß; entrüstet sein, daß ohne darüber; er zittert, er bangt, daß ohne davor, (sich) erinnern, gedenken, mahnen, daß ohne daran u. a.//. Vor allem aber beruht es auf diesem Irrtume des Sprachgefühls, daß, wie neben Eigenschaftswörtern (vgl. oben § 191), auch neben intransitiven Zeitwörtern und neben manchen in verbalen Wendungen $Seite 193$ gebundenen Hauptwörtern ein Akkusativ stehen kann. Vg1. etwas vergessen, einem etwas gedenken, (über) einen Herr werden, etwas Wort haben, und solche Wendungen: Er weiß dir die unzeitige Nachsicht später nicht einmal Dank. Was der Kaiser den Lehrenden Schuld gibt, ist zumeist Schuld der Verwaltung.

Ebenso erklärt es sich auch, wenn z. B. Boyen schreibt: Daß alles hier in einem hohen Grade von Schmutz liegt, dies kann man sich durch den ersten Augenblick überzeugen. Auch hier ist, wie neben den entsprechenden Eigenschaftswörtern z. T. der alte schöne Genetiv noch möglich, z. T. aber auch die zweite dem Genetivobjekt entgegenwirkende Fügungsweise, d. i. das Verhältnisobjekt. Sich eines erbarmen ist geworden zu: sich über einen erbarmen; jemandes gedenken zu: gedenken an jemand; eines Vergehens ledig oder frei zu: von einem Vergehen ledig oder frei sprechen. Aus Schillers: Ich ließ kaum des eigenen Gutes mich gelüsten ist allgemein geworden: gelüsten nach etwas, aus Goethes: sie harren der Schlag und der Schelten ebenso: harren und warten auf etwas usf. ohne Ende.

Scan
Matthias(1929) 192-193.pdf


Zweifelsfall

Verb: Valenz

Beispiel
Bezugsinstanz Sprachverlauf, alt, Boyen - Hermann von, Morgenstern - Christian, Literatursprache, Goethe - Johann Wolfgang, gegenwärtig, Lessing - Gotthold Ephraim, Nietzsche - Friedrich, Schiller - Friedrich, ursprünglich, Redewendung/Sprichwort
Bewertung

beruht es auf diesem Irrtume des Sprachgefühls, Frequenz/viele, möglich, schöne, wäre auch verständlich

Intertextueller Bezug