Eine schlimme Krankheit des papiernen Stils, die schon im 15. Jahrhundert und auch bei den Klassikern //1 Vgl. hierüber Merkes, Beiträge zur Lehre vom Gebrauche des Infinitivs im Nhd. 1891, S. 72 ff., der Sätze, in denen das Hilfsverb neben modalen Hilfszeitwörtern ausgelassen ist, geradezu Lessingsätze nennt.// noch umging, die Weglassung des Hilfsverbs im Nebensatze, hat heute wieder einen unglaublich hohen Grad erreicht. In einem Aufsatze von K. E. Franzos in der Neuen Freien Presse 10. 3. 82 war es nur — einmal gesetzt und — fünfunddreißigmal weggelassen, und zwar auch die Formen haben, hätte(n), wäre(n). Eine maßvolle Weglassung des eigentlichen verbalen Hilfszeitwortes mag man wohl dulden besonders in den Formen ist, sind, war(en), hat, hatte(n), solange keine Unklarheit entsteht und dadurch die Häufung solch gleicher Formen vermieden, also der Wohlklang erhöht wird. Der folgende Satz flösse dagegen mit dem eingeschalteten (war) gewiß glätter: Unter diesen Umständen übernahm mein Mitarbeiter, Schauspieler Schirmer, der inzwischen nach Berlin zurückgekehrt (war), eine Rolle in dem Stücke, um usw. (Z.). Vollends im Konjunktiv sollten die Formen nicht weggelassen werden, am allerwenigsten im Bedingungssatze, wo die Konjunktivform des Hilfszeitwortes die einzige Andeutung der Art des Bedingungsverhältnisses ist. Der Satz bei Goethe z. B.: Der Freund tat sich höchlich darauf zugute, daß alles so wohl gelungen und ein Tag zurückgelegt sei, dessen Eindrücke weder Poesie noch Prosa wiederherzustellen imstande, ist durchaus nicht anstößig, weil das des Wohlklangs wegen weggelassene sei aus dem vorangehenden sei, mit dem es denselben Dienst zu leisten hätte, Andeutung der indirekten Rede, leicht herausklingt, wie überhaupt Goethe im allgemeinen solche Konjunktive nur wegläßt, wenn eine gleichartige Form vorangegangen ist; ermöglicht doch solche Gleichheit der Form bei leichter Übersicht selbst die Weglassung eines anderen Zeitwortes zumal an erster Stelle: die Welt, die sich nach ihm, wie er nach ihr sich sehnt. Um so bedenklicher ist der Satz Goedekes: Goethe konnte sich innerlich nicht mit ihr befreunden, so wenig wie mit Elise von der Recke, die im Oktober 1789 in Weimar war — man muß nach dem Vorangehenden ergänzen: er sich hat befreunden können, und empfindet es unangenehm, daß einem vielmehr zugemutet wird, ohne Andeutung zu verstehn: sowenig er sich mit E. v. d. R. würde haben befreunden können; denn es geht weiter: falls er sie gesehen hätte. Sodann ist, was für ist und war als Hilfszeitwörter innerhalb bestimmter Grenzen zulässig ist, nicht auch für das Satzband ist (war) neben adjektivischen, adjektivisch-partizipialen und substantivischen Satzaussagen gültig, und vor allem nicht auch für den Hauptsatz, ausgenommen die Sprichwörter und einzelne Formeln, wie schade, daß (statt es ist schade, daß); kein-, was Wunder, daß; merkwürdig wie oder daß; möglich-, vielleicht -, kaum -, daß; glücklich, wer. Aber Sätze, wie die folgenden in der Tagesliteratur häufigen, sollten lieber nicht nachgeahmt werden: Ihr $Seite 102$ Berichterstatter empfing den Eindruck, daß diese noch junge Bewegung, so sehr ihr noch die Merkmale gärender Unruhe eigen (fehlt: seien), in hoffnungsvollen Anfängen steht. Daß Abgangsprüfungen nicht zu umgehen, das versteht sich von selbst. Selbst die Absicht, durch Weglassung eines solchen ist oder war am Schlusse eines Nebensatzes das Zusammentreffen mit der gleichen Form am Anfange des nächsten Satzes zu vermeiden, entschuldigt nicht. Der Satz der Bonner Zeitung z. B.: Was gewiß, ist soviel, daß jener seinerseits geflohen ist, war vielmehr anders zu formen: Gewiß ist soviel, daß.
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