Den Verbalstamm darstellende Hauptwörter

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 3 - 4

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Unsicherheit
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Halt, Schick, Ruck, ohne Zuck und Muck; Pfiff, Schliff, Ruch, Ruf; Betrag, Begehr, (Ge)brauch, Vergleich, Bericht, Bauwich (Mindestabstand zwischen Häusern offener Bauweise), Um- und Ausspann sind alle solche Bildungen. Grabbes der Schlepp (statt: die Schleppe) hat einen alten volkstümlichen Vorgänger im Ochsenschlepp, wie die gleichlautenden Familennamen das Alter von Stritt (neben Streit) und Schied bezeugen. Herder bildete der Darleih, G. Keller schreibt im Begleit einer Dame und in Begleit der Nonnen, sein Schüler Federer läßt einen Schnauf und Schwatz tun, und der dritte Schweizer, Spitteler, beklagt den Hinscheid (statt das Hinscheiden), neben dem der Entscheid allgemein im Volksentscheid gang und gäbe geworden ist. Durch den Fürsten v. Bülow ist auf Gedeih und Verderb üblich geworden wie Verbund durch die Verbundgeschosse, -maschinen und -schaltung; und der Wasserverkehr zeitigt den Sog (das Kielwasser des Schiffes), den Schwell, Stau, Auf- und Verstau und den Wasserverdrang (H. Stegemann). Andere neuere Wörter sind im Verfolg der Sache, der Beipack, der Verzehr (Konsum); W. Flex' Braus des Sturmes, Hindenburgs Abruf der Truppen, der Erhalt des Briefes, die Fahrradeinstelle, der neue Grub auf Goldfeldern und dem Verbot entsprechend ein österreichisches Anbot, und überall freut man sich über den sichern Treff eines Bühnenleiters. Ersichtlich stellen alle diese Wörter Handlung oder Vorgang oder durch solche hervorgebrachte Zu- oder Gegenstände dar, und so bleibt, $Seite4$ von dem üblichen andern Sinn dieser Bildung zu schweigen, schon deshalb O. Lorenz' Ausdruck: die Prinzessin war der Verzug der Umgebung (wurde von ihr verzogen) bedenklich. Überhaupt gilt für diese wie alle andern Fälle, daß nicht alle Bildungen, die bei gleichen Bedingungen möglich sind, auch wirklich vorgenommen werden, da die nur dem Gebrauche abzulauschende „Heimlichkeit der Sprache“, wie es Grimm nennt, darüber entscheidet, welche möglichen Bildungen sie beliebt und welche verschmäht. Oft ist auch nicht schriftsprachlich geworden, was landschaftlich üblich ist, wie etwa G. Kellers Ausdruck: frisch und ohne Unterbruch von statten gehen. Gar ein Wortstummel ist der Entschäd.

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Matthias(1929) 003-004.pdf