Konjunktiv der Vergangenheit
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 95 - 96 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gebildete, Schmitz - Oscar A.H., Sanders - Daniel, Gegenwärtig, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Klopstock - Friedrich Gottlieb, Bayern, Literatursprache, Volk, Boyen - Hermann von |
Text |
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Der Konjunktiv der Vergangenheit, der bei schwachen Zeitwörtern dem Indikativ ganz gleich ist, wird bei starken bekanntlich durch Umlaut, wo dieser möglich ist, aus dem Indikativ gebildet: ich bot, ich böte; ich war, ich wäre. Nur wissen die meisten nicht, daß bei den Verben, welche im Präsensstamm i + nn oder mm und welche e und in der 2. und 3. Person damit abwechselnd i vor l + Mitlaut oder r + Mitlaut haben //2 Das trifft auch für be- und empfehlen zu, da sie für -felhen, ursprünglich -filhan, gesprochen: filchan stehn.// , dem Umlaute nicht die jetzige Vergangenheit mit a (begann; warf) zugrunde gelegt wird, sondern eine ältere, tiefere Pluralstufe, die teils o, teils u hatte. Es sind einmal befehlen, empfehlen, bersten, gelten, schelten, beginnen, gewinnen, rinnen, schwimmen, spinnen, deren Konjunktiv nicht auf ä, sondern ö gebildet wird: ich börste, gewönne; sodann helfen, sterben, verderben, werben, werden, werfen, bei denen er auf ü gebildet wird: ich hülfe, ich stürbe, sowie auch zu schand: schünde //3 Die Sprache hat hier wieder deutlich und feinfühlig eine ältere Stufe festge-$Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$halten, um Konjunktiv der Vergangenheit und Gegenwart oder auch sonst verwandte und ähnlich klingende Wörter deutlich zu scheiden, und zwar nicht bloß für das Auge, für das auch gälte von gelte verschieden wäre, sondern auch für das für die Sprache wichtigere Ohr: Vgl. Paul, Prinzip. (S. 174). Schünde, das seinem Stammauslaute nach von den andern Verben mit ü im Konjunktiv absteht, hat z. B. dadurch von schänden, ich schände abgerückt werden können; umgekehrt ist allein ich bärge, verbärge von (ver)bergen herrschend geworden (gegenüber verbürge noch bei Klopstock), so daß das Wort besser geschieden ist von bürgen, verbürgen = Bürge sein. Von bersten steht z. B. bei Schiller richtig: börste, Endlich sollte man hierzu auch fest rechnen schwöre = eidlich bekräftigen: ich schwur, ich schwüre; dann wäre eine feste Unterscheidung von schwäre (es schwiert besser als schwärt), es schwor, es schwöre gegeben. Die Trennung entspräche wieder der mhd., wo jenes gehn konnte: ich swuor, geswarn und dieses ging: ich swor, gesworn; denn nur beider a sind gleichmäßig unter dem Einflusse bei trübenden w zu o geworden. Auch der Gebrauch entspricht dieser Trennung noch überwiegend: vom zweiten kann man es freilich hauptsächlich nur im Volksmunde beobachten, von schwören = bekräftigen aber bietet allein Sanders gr. Wörterbuch für schwur, das auch bei Goethe häufiger ist als schwor, 14, für dies nur einzelne Belege, und als Konjunktiv fünfmal allein schwüre. Von beschwören, das keine andersdeutige Form neben sich hat, herrscht allein: er beschwor, von verschwären anderseits bildet Heer Wieber mit verschwärtem Rücken zur Ausweichung gegenüber den Verschworenen.// und freilich nicht gleich notwendig und überwiegend $Seite 96$ zu stand: stünde, überhaupt läßt sich nicht leugnen, daß diese aus dem Lautsystem der Verben heraustretenden einzelnen abweichenden Formen immer seltener und meist durch Umschreibungen mit würde, möchte, wollte ersetzt oder von den Formen mit ä überwuchert werden. Eine in Bayern auch im Munde Hochgebildeter zu hörende Unform ist: wenn ich nicht bräuchte, aber unberechtigt ist auch der Umlaut im Konjunktiv der durchaus schwachen Formen brannte, kannte, nannte, rannte, der nur daß es brennte, er kennte, nennte, rennte, nicht brännte lauten darf. Dagegen ist es heute falsch, dieses e mit dem Volke und älteren Schriftstellern auch im zweiten Mittelworte beizubehalten und z. B. wie Boyen zu schreiben: Magdeburg war nur auf einer Seite von den Franzosen berennt (statt berannt) //1 Ebenso hieß ehemals das zweite Mittelwort von stellen: gestalt, und zwar auch in dem Sinne von gemacht, gestaltet, welche Form erst aus einer Weiterbildung von jenem gestalt, gestalten, gebildet ist. Die ältere, kürzere Form ist auch in den älteren jetzt adjektivisch angewandten Prägungen wohl-, un-, mißgestalt, auch in schöngestalt durchaus zu wahren und nicht zu dem jüngeren wohl-, ungestaltet zu verbreitern.// a. — Von senden und wenden heißt das Imperfekt sendete oder sandte, wendete oder wandte, der Konjunktiv dazu aber nur sendete, wendete. Die 2. Mittelwörter dazu heißen gesendet oder gesandt, gewendet oder gewandt, daher auch der Gesandte (aber der Versand, die Versandliste). — Er überwandt (statt: überwand) den Eifer seiner Landsleute (Osk. Schmitz) ist eine — auch nicht mehr seltene — Vermengung von winden und wenden! |
Zweifelsfall | |
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Beispiel |
bot, böte, war, wäre, begann, warf, börste, gewönne, ich hülfe, stürbe, schünde, stünde, bräuchte, brannte, kannte, nannte, rannte, es brennte, er kennte, nennte, rennte, brännte, berennt, berannt, sendete, sandte, wendete, wandte, gesendet, gesandt, gewendet, gewandt, Gesandte, Versand, Versandliste, überwandt, überwand, verbärge, verbürge, schwur, schwüre, es schwor, es schwöre, er beschwor, verschwärtem Rücken |
Bezugsinstanz | alt, Bayern, Boyen - Hermann von, Goethe - Johann Wolfgang, gegenwärtig, Gebildete, Klopstock - Friedrich Gottlieb, Sanders - Daniel, Schiller - Friedrich, Schmitz - Oscar A.H., Literatursprache, Volk, Volk |
Bewertung |
falsch, feinfühlig, Frequenz/häufiger, Frequenz/herrschend, Frequenz/immer seltener, Frequenz/nicht selten, nicht, nicht notwendig, richtig, statt, unberechtigt, Unform |
Intertextueller Bezug |