Musterhafter Wechsel zwischen zweiter und erster Vergangenheit

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 356 - 357

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Verb: konkurrierende Tempora

Genannte Bezugsinstanzen: Goethe - Johann Wolfgang, Gesprochene Sprache, Zeitungssprache, Umgangssprache, Geschäftssprache
Text

In der fortlaufenden Erzählung von „Wilhelm Meisters Lehrjahren" kommt kaum ein Perfekt vor; sobald aber eine Rede eingeflochten wird, erscheint es auch, so gut wie in Reden und Gesprächen, soweit sie keine Erzählung enthalten, in Anzeigen und Fragen des täglichen Lebens der Perfekte kein Ende wird, oft natürlich, dem Sinne entsprechend, in buntem Wechsel mit dem Imperfekt. Man mache sich einige solche Stellen des Meisterwerks klar: Daß ich dies mit einem Worte sage, mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht — hier steht das Imperfekt, weil sich Wilhelm mit einer gewissen Erregung jene alten Wünsche wieder gegenwärtig macht; auch ist durch die Worte: „von Jugend auf“, die Gleichzeitigkeit angedeutet. Wenn es aber weiter heißt: Ich habe mehr Welt gesehn, als du glaubst, und sie besser benutzt, als du denkst, so versenkt sich Wilhelm dabei nicht mehr in den damaligen Zusammenhang der Umstände, sondern stellt nur den für jetzt aus jenen erwachsenen Zustand dar. Ähnlich läßt in dem nächsten Satze das Perfekt die in ihm ausgedrückte Tatsache als jetzt vorüber erscheinen, während das Imperfekt die Aufgabe hat, den Hörer in die Dauer eines Zustandes zurückzuversetzen: Meister, wir sind einer großen Gefahr entronnen; denn Felix war am Tode. Besonders fein ist der Wechsel der beiden Zeiten auch in den folgenden Worten Aureliens zu Wilhelm: Vergeben Sie, rief sie ihm entgegen; das Zutrauen, das Sie mir einflößten, hat mich $Seite 357$ schwach gemacht; — mit dem Imperfekt einflößten will sie diesen Vorgang nicht als etwas in einem Zeitpunkte, jetzt etwa Abgetanes, sondern vielmehr das allmähliche Werden dieses Verhältnisses bezeichnen, während in dem Perfekt hat schwach gemacht nur die soeben hervorgetretene Folge dargelegt wird. Sich in die vergangenen Zustände versetzend und versenkend fährt sie dann wieder im Imperfekt fort: Bisher konnte ich mich mit meinen Schmerzen im stillen unterhalten, ja sie gaben mir Stärke und Trost, bis sie wieder das Perfekt gebraucht, um den in der Gegenwart abgeschlossenen Umschwung ihres Verhältnisses zu bezeichnen, dessen Verlauf sie sich nicht zu erklären vermag: Nun haben Sie, ich weiß nicht, wie es zugegangen ist, die Bande der Verschwiegenheit gelöst. Es ist klar, wenn sich durch den Wechsel der beiden Zeiten so feine und bedeutsame Unterschiede ausdrücken lassen, dann dürfen sie nicht in demselben Satze so willkürlich durcheinander gewürfelt werden wie in den § 352 gerügten Sätzen. Jedoch auch im Einzelsatze kann man die Beachtung des Unterschiedes beider Zeitformen nur rühmen, wo sie noch stattfindet, und sie denen angelegentlichst empfehlen, die sie in Geschäfts- und Zeitungsmitteilungen gern vernachlässigen.

Scan
Matthias(1929) 356-357.pdf


Zweifelsfall

Verb: konkurrierende Tempora

Beispiel
Bezugsinstanz Goethe - Johann Wolfgang, Umgangssprache, Zeitungssprache, Geschäftssprache, gesprochene Sprache
Bewertung

angelegentlichst empfehlen, Besonders fein, dürfen sie nicht so willkürlich durcheinander gewürfelt werden, gerügten, kann man nur rühmen, wo sie noch stattfindet

Intertextueller Bezug