Schlimme Folgen dieses Mißbrauches

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 213 - 214

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Unsicherheit
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Worin aber die Häßlichkeit dieser Ausdrucksweise besteht, das ist ein vierfaches. Ganz ungemein mehren sich durch den § 219 f. beleuchteten Satzbau die Sätze mit ist und war, was wenigstens auf die Feinde des Hattewar-Stils Eindruck machen sollte. Sodann — und nun mag für jeden Fall noch ein Beispiel folgen — wirkt die Häufung der schweren Formen des unbestimmten Geschlechts- und starken Eigenschaftswortes störend auf den Rhythmus, so wenn ein Verehrer und Übersetzer deutscher Heldengedichte schreibt: Überall ist der Eindruck des Gudrunliedes ein schöner und harmonischer, manchmal sogar, wie bei der Botschaft Wates an Hettel, ein großartiger, an die Gewalt des Nibelungenliedes gemahnender. Das gebeugte Aussagewort zieht ferner noch mehr kein statt der einfachen Verneinung nicht nach sich: Der Ertrag aus dem Kleinhandel eines Greislers ist kein//1 Der sorgfältige Hildebrand hat 1873 im Wb. V, 477 f. den Brauch noch gar nicht verzeichnet, sondern nur kein = ein nicht oder nicht ein vor Adj. + Subst.: es war kein feiner Spaß. Heute ist er so häufig, daß ein Reisender (Junker) in einem Bande schreibt: Der Strom ist kein perennierender. Die Aussichten waren keine guten. Mein Erstaunen war kein geringes. Das Verhältnis zur Nachbarbevölkerung war durchaus kein sehr freundliches. Das Trägergeschäft ist hier zu Lande kein erträgliches. Aber wenn auf der einen Seite zugegeben werden muß, daß dieses kein immer noch gefälliger klingt, als nicht ein in der Art des H. Hoffmannschen Satzes: Die Aufgabe, den Balkon zu schmücken, war nicht eine ganz leichte, so ist doch beiden Aussageformen gegenüber die einfachste, die mit adverbialer Aussageform, zugleich bequemer und gefälliger: der Ertrag war gering, die Aufgabe war nicht leicht.// geringer. Endlich ist mit der neuen $Seite 214$ Weise den ellenlangen Einschiebseln zwischen Geschlechts- und Eigenschafts- oder Mittelwort nun gar noch in der Satzaussage eine neue Stelle sich breitzumachen eröffnet; man höre nur: Die hohen Anforderungen stellende Verkörperung G. Adolfs durch den Vertreter dieser Rolle ist eine über das Maß dilettantischer Kraft sich weit erhebende.

Ja, noch etwas könnte man als einen besonderen fünften Übelstand aufzählen: selbst die eigentliche Verbalform, das zweite Mittelwort in der Leideform, wird von dieser häßlichen Verbreiterung betroffen: Jeans Stellung als Wissender im Sportfache war seit jener Zeit eine festbegründete (Chiavacci) statt war festbegründet; noch schlimmer, wo gar kein Übergang ins Zuständliche anerkannt werden kann: Dieser beim Gelegenheitsstotterer nur unter außerordentlichen Umständen eintretende Zustand ist beim wirklichen Stotterer ein dauernder und durch das quälende Bewußtsein seines Gebrechens ein erhöhter (statt und wird durch das Bewußtsein erhöht), und einige Zeilen weiter in demselben Aufsatze: Die Gleichmäßigkeit der Blutverteilung im Gehirn ist eine gestörte. Die Gleichmäßigkeit ist also eine, nämlich eine Gleichmäßigkeit, Herr Dr. med. X. Y.? und doch wollten Sie sagen, daß sie gestört, nicht mehr vorhanden ist! Ja zu solchem Widersinn kann man es bringen auch in der Sprache, wenn man eine steife Mode mitmacht, vollends so gewissenhaft wie der Verbrecher der beiden letzten Sätze, der ihr auf bloß zwei Spalten in „Über Land und Meer“ gerade ein halbes Dutzend Mal gehuldigt hat.


Zweifelsfall

Adjektiv: prädikativer oder attributiver Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Zeitungssprache, Chiavacci - Vinzenz, Fachsprache (Medizin), Hoffmann - Hans, gegenwärtig, Junker - Wilhelm, Literatursprache, Schriftsprache
Bewertung

bequemer, einfachste, Frequenz/so häufig, gefälliger, häßlichen Verbreiterung, Häßlichkeit, immer noch gefälliger klingt, Mißbrauches, noch schlimmer, steife Mode, wirkt störend auf den Rhythmus

Intertextueller Bezug Hildebrand: 1873 im Wb. V, 477 f.