Undeutsche Future und Plusquamperfekte

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 360 - 360

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Verb: konkurrierende Tempora

Genannte Bezugsinstanzen: Bauer - Erwin Heinrich, Spangenberg - Pauline, Goethe - Johann Wolfgang, Literatursprache, Zeitungssprache
Text

Zu der Peinlichkeit, die selbst innerhalb bestimmter Grenzen die Verwendung des Imperfekts für die beziehungslose Vergangenheit nicht zugestehn möchte und die wohl zumeist auf — lateinischem Sprachgefühl beruht, gesellt sich eine andre, noch deutlicher aus der Lateinschule stammende, die sich nicht genug darin tun kann, die Zeitverhältnisse aufs genauste durch deckende Zeitformen zu bezeichnen. Die deutsche Sprache begnügt sich aber oft, die Zukunft durch ein Adverb (vg1. § 123) oder auch nur durch die Beziehung anzudeuten, dies letztere immer, wenn im Hauptsatze schon ein Futur steht. Statt der latinisierenden Form: Das ist sicher, daß Seine Majestät die Umsturzbewegung bekämpfen und ihre Anhänger verfolgen wird, bis sie völlig ausgerottet sein werden, heißt es deutscher: bis sie ... ausgerottet sind. Ebenso ist es deutsche Art, wenn es auf die genaue Unterscheidung der Zeitstufen nicht besonders ankommt, das Imperfekt auch für vorhergegangene Ereignisse zu verwenden, namentlich nach den zeitlichen Bindewörtern da, als, ehe, bevor. Geradezu falsch schreibt der Romanschriftsteller E. Bauer in der Tgl. R.: Als er Anna M. kennen gelernt (hatte), hatte sie ihm auf den ersten Blick gefallen; denn nur bei der Entwicklung des Kennenlernens konnte er sie auf den ersten Blick liebgewinnen, nicht nachher erst. Überhaupt wird dem schwerfälligen Plusquamperfekt eine unerklärliche Vorliebe entgegengebracht, nicht nur in der Tgl. R. mit dem Satze: So unterbricht auch jetzt die Erörterung über den heiligen Rock die Andacht der nach Trier Wallfahrenden ebensowenig, wie dies vor 47 Jahren der Fall gewesen war (statt: Fall war), wo die wissenschaftliche Kritik leidenschaftlich wurde ... , oder mit dem bei Kingsley-Spangenberg: Da war er gesehen worden, wie er nacheinander erst eine Swedenborgkapelle, dann den Garrickklub und eine magnetische Soirée besucht hatte (statt: besuchte); denn die Gleichzeitigkeit in der Vergangenheit wird durchweg durch das Imperfekt ausgedrückt (§ 353 und gleich unten), auch neben dem Perfekt und Plusquamperfekt. Wenn trotzdem Perfekt neben Perfekt vorkommt wie in dem Satze Goethes: Die Individualität eines Menschen ist ein wunderlich Ding: die meine habe ich jetzt recht kennen lernen, da ich dieses Jahr bloß von mir selbst abgehangen habe, so erklärt sich dies wie andre ähnliche Parallelen daraus, daß in solchen Sätzen nicht die Gleichzeitigkeit betont wird, vielmehr jeder eine selbständige Mitteilung einer jetzt abgeschlossen bezeichnten Tatsache enthält.

Scan
Matthias(1929) 360-360.pdf


Zweifelsfall

Verb: konkurrierende Tempora

Beispiel
Bezugsinstanz Goethe - Johann Wolfgang, Spangenberg - Pauline, Literatursprache, Bauer - Erwin Heinrich, Zeitungssprache
Bewertung

deutsche Art, deutscher, Geradezu falsch, noch deutlicher aus der Lateinschule stammende, Peinlichkeit, schwerfälligen, statt, Undeutsche, unerklärliche Vorliebe entgegengebracht, zumeist auf - lateinischem Sprachgefühl beruht

Intertextueller Bezug