Die Stellung der persönlichen Fürwörter
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 301 - 307 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Wustmann - Gustav, Gellert - Christian Fürchtegott, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Literatursprache |
Text |
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Der zweite Verstoß betrifft die Stellung der persönlichen Fürwörter. Es handelt sich da wieder um eine Spracherscheinung, die unsäglich häßlich ist und doch allgemein für eine Schönheit gehalten wird. Um die Sache deutlich zu machen, soll zunächst der häufigste und auffälligste Fall besprochen werden. Wenn das Zeitwort eines Satzes ein Reflexivum ist, gleichviel ob das reflexive Verhältnis den Dativ oder den Akkusativ hat (sich entschließen, sich einbilden), so erscheint in der lebendigen Sprache das reflexive Fürwort sich stets so zeitig wie möglich im Satze. In Nebensätzen wird es stets unmittelbar hinter das erste Wort gestellt, hinter das Relativ, hinter das Fügewort usw. (der sich, wo sich, wobei sich, da sich, obgleich sich, als sich, daß sich, wenn sich, als ob sich, je mehr sich usw.); erst dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selbst ein persönliches Fürwort ist, geht dieses dem sich voran (da es sich, wenn sie sich, die er sich). In Hauptsätzen steht das sich stets unmittelbar hinter dem Verbum (hat sich, $Seite 302$ zeigt sich, wird sich finden); in Infinitivsätzen steht es ganz an der Spitze, mag das Verbum noch so reich mit Objekten, adverbiellen Bestimmungen u. dergl. bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie reden, man wird höchst selten einer Abweichung von diesem Gesetze begegnen. Nun vergleiche man damit, wie geschrieben wird, ganz allgemein geschrieben wird, und sehe, wo da das sich hingesetzt wird; die Stelle, wo es hingehört, soll jedesmal durch Klammern bezeichnet werden. Da heißt es in Hauptsätzen: selten hat [] eine Darstellung so rasch in der Literatur sich eingebürgert — durch die neue Ordnung glaubte [] namentlich die Universität sich verletzt — diese hielten [] ohne Erlaubnis der Regierung in diesen Gegenden sich auf — der heftige Seelenschmerz löste [] in ein krampfhaftes Schluchzen sich auf — eventuell (!) behält [] der Verkäufer das Rückkaufsrecht sich vor — als Porträtmaler schließt [] Hausmann unmittelbar an Hoyer sich an. Beim Infinitiv: die Photographie scheint [] in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst sich zu erheben — bald begannen [] Menschen in dem Walde sich anzusammeln — der Name dürfte [] auf den ganzen Gebirgszug sich beziehen — man mußte [] in entsetzlichen Postkarren, von Ungeziefer halb verzehrt, unter Hunger und Durst, in jene allerschönsten Gegenden sich durcharbeiten — es ist leicht, [] diese Kenntnis sich anzueignen — das Recht, [] an der friedlichen Kulturarbeit frei sich zu beteiligen. In Nebensätzen endlich: die Verdienste, welche [] Eure Durchlaucht um das deutsche Vaterland sich erworben haben — es ist das eine der schwierigsten Aufgaben, die [] der menschliche Geist sich stellen kann — aus dieser Lage der Dinge, die [] binnen wenigen Monaten zu einer ganz unerträglichen sich ausbildete — der geistige Zustand, in dem [] die deutsche Jugend in der Zeit der französischen Invasion sich befand — der Modegeschmack der $Seite 303$ erschließt — ein Mann, der [] bei allem Eifer für die katholische Sache doch einen warmen Patriotismus sich bewahrt hatte — im Militärwaisenhaus, das [] nach dem Willen des Königs zu einer möglichst großartigen Anlage sich gestalten soll — die Schlagwörter, mit denen [] die sozialdemokratischen Lehren sich zu schmücken lieben — in Fällen, wo [] das Bedürfnis dazu sich herausstellt — der erste Akt versetzt uns in die Welt des Waldes, wo [] Roseggers Phantasie am meisten sich heimisch fühlt — in Bonn, wo [] die ganze Rheinstraße mit ihren Denkmälern zu Exkursionen sich anbietet — die Verbrecher treiben allerlei Ulk, wobei [] ihre wahre Natur sich äußert — die Schicksale, aus deren Zusammenwirken [] erst die eigenartige Entwicklung von Hoffmanns Persönlichkeit sich erklären läßt — unter der Bedingung, daß er [] auf eine bestimmte Probezeit des Wilderns sich enthalte — die Gegenwart beweist, daß [] der kleine Betrieb dem Großkapital gegenüber sich nicht halten kann — der einzelne darf nicht verkennen, daß er [] unter solchen Umständen zu Nutz und Frommen seiner Mitmenschen eine Selbstbeschränkung sich auferlegen muß — als [] fast sämtliche Klöster wieder mit den geistichen Orden sich gefüllt hatten — es wird noch geraume Zeit vergehen, ehe [] ihr Ideal vollständig sich verwirklichen kann — seitdem [] das große, für die Kultur so folgenreiche Weltereignis der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus sich begab — die Aufhebung des Gesetzes können wir nicht beklagen, da es [] im Laufe der Jahre immer mehr als unbrauchbar sich erwiesen hat — da er [] gerade jetzt in der Lage sich befindet, Zahlung leisten zu können — weil er [] diese Eigenschaften bis in sein hohes Alter sich bewahrt hat — nachdem [] die ursprüngliche Bedeutung im Sprachbewußtsein sich verdunkelt hatte— nachdem [] die Wogen freundlicher und feindlicher Erregung, die das Buch hervorrief, sich gelegt haben — wenn er [] zuweilen zu religiösem Pathos sich erhob — wenn der Kurfürst abreist und [] auf einen seiner Landsitze sich begibt — ich würde untröstlich sein, wenn Sie [] durch $Seite 304$ mich in Ihrer alten Ordnung sich stören ließen — wenn [] neuerdings die Unternehmer und Arbeitgeber zur Wahrung ihrer gerechten Interessen sich zusammenschließen — die Namen der Künstler sind so bezeichnet, wie sie [] auf den Blättern sich finden — als ob er [] die größten Verdienste um das deutsche Vaterland sich erworben hätte — je mehr [] Frankreichs Stellung am Mittelmeere sich behauptet usw. Wir stehen da wieder vor einer Erscheinung, die recht eigentlich in das Kapitel vom papiernen Stil gehört. Der lebendigen Sprache gänzlich fremd, stellt sie sich immer nur da ein, wo jemand die Feder in die Hand nimmt, aber auch da nicht sofort, sondern erst dann, wenn er zu künsteln anfängt.//* Tausendmal habe ich bei der Durcharbeitung von Manuskripten das sich heraufgeholt an die richtige Stelle, und niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druckkorrektur bekamen, etwas davon gemerkt: alle haben darüber weggelesen, als ob sie selber so geschrieben hätten. Und hundertmal ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten Niederschrift das sich an die richtige Stelle gesetzt, es aber beim Wiederdurchlesen dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hineingeflickt hatte — niemals das umgekehrte! Damit ist schlagend bewiesen, daß die Voranstellung des sich das natürliche ist und das, was jedem, der unbefangen schreibt, aus der lebendigen Sprache zunächst in die Feder läuft; erst wenn das Feilen und Drechseln beginnt, entsteht die Unnatur.// Man könnte ja nun meinen, es sei doch unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das wesentliche ist ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen werden kann: die Verbindung mit dem voranstehenden andern Pronomen oder mit dem Fügewort (der sich, wenn sich). Diese Verbindung ist der lebendigen Sprache wichtiger, als die mit dem Verbum, denn durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen. Wenn ich das sich unmittelbar nach da, wo, wenn, seitdem bringe, so erfährt der Hörer schon, daß am Ende des Satzes ein reflexives Zeitwort folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich auf diese Weise $Seite 305$ der Satz fester zusammenschließt, als auf die andre, liegt auf der Hand. Wenn dagegen einer mit wenn oder das anfängt, und erst nachdem er zwanzig oder dreißig Worte dazwischengeschoben hat, endlich mit sich begab oder sich befindet schließt, so möchte man immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das Zeitwort zu besinnen? dich zu besinnen, daß du ein verbum reflexivum gebrauchen willst? Es ist ja aber keineswegs bloß das sich, das jetzt in dieser Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem rückbezüglichen Fürwort überhaupt. Man schreibt auch: darüber gedenke ich [] später einmal in diesen Blättern mich auszulassen — wenn wir [] auch mit voller Seele an der Jubelfeier uns beteiligen — daß wir [] in unsern nationalen Lebensformen ungehindert uns entwickeln können — wenn wir [] überhaupt von Gott eine Vorstellung uns machen wollen. Ja die Krankheit hat sich noch viel weiter verbreitet, sie hat auch das ganze persönliche Fürwort ergriffen. In der lebendigen Sprache wird das persönliche Fürwort genau so gestellt wie das reflexive. Wie aber wird geschrieben? Das war es bloß, wozu [] mein väterlicher Freund mich bewegen wollte — wie willst du den Widerspruch lösen, den [] eine verehrte Autorität dir aufdrängt? — man kann den Fortgang voraussehen, soweit [] nicht unberechenbare äußere Störungen ihn hemmen — die Mängel des Gedächtnisses kommen weniger zur Geltung, wenn [] das Nachdenken ihm Zeit läßt — der Bischof verzichtete auf den Segen, den [] sein Konfrater in Trier ihm anpries — können wir einen Dichter nennen, der [] an Mannigfaltigkeit, an beherrschender Sicherheit ihm gleich käme? — er würde [] gewiß auch diesmal nicht ohne Not sie warten lassen — die Menge geht dahin, wohin [] der Zar und die Kirche sie treibt — sie wissen viel zu gut, was [] das erreichte Ziel sie gekostet hat — die Arbeiter stehen schon so tief, daß [] ein weiterer Druck sie arbeitsunfähig machen würde — wenn [] die Zeit es erlaubt — wer [] in unsern Tagen noch es wagt — wie [] der Drang seines Herzens es gebot — eine unzulängliche Einrichtung, wie [] das Duell es $Seite 306$ ist — abgesehen davon hatten [] die Bewohner des Hauses es nicht schlecht — wenn [] die Gegner des Sozialistengesetzes es als einen Vorteil preisen — unter diesem Feldgeschrei hatte man [] in den katholisch-deutschen Ländern es dahin gebracht — es genügt uns nicht, [] bei dieser allgemeinen Schilderung seines Wesens es bewenden zu lassen — wir müssen tragen, was [] unser Geschick uns auferlegt — die praktische Aufgabe, die [] unsre religiöse Gefahr uns stellt — wir halten das für die einzig mögliche Erklärung, weil [] keine andre uns begreiflich ist — wenn [] sein Auge so ernst und mild uns anblickt — wäre er nicht das große Genie gewesen, so würde [] der Name Rembrandt uns unbekannt geblieben sein — am 19. Mai hat [] der Tod wieder einen der hervorragendsten Künstler uns entrissen — nun galt es, [] mit Rat und Tat ihnen beizustehen — sie warfen mit lateinischen Brocken um sich, sodaß [] kein andrer in der Gesellschaft ihnen zu folgen vermochte — er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie [] [] sein alter Schulkamerad sie ihm erzählt hatte — es ist das ein großes Stück Wehrkraft, worin [] [] die Nachbarn im Osten und Westen es uns nicht gleichtun können. Überall ein ängstliches, schulknabenhaftes Voranstellen der Subjekte vor die Objekte, überall das gequälte Aufsparen der Fürwörter bis unmittelbar vor das Zeitwort!//* Nur wo ein Mißverständnis, eine Verwechslung von Subjekt und Objekt möglich ist, hat es einen Sinn, das Subjekt in dieser ängstlichen Weise vor das Fürwort zu stellen, z. B. Vater und Mutter müssen sich darein finden, dass die Kinder sie verlassen. Aber ist etwa ein Mißverständnis möglich, wenn man sagt: Tatsachen machen sich geltend, gleichviel ob sie die Juristen definieren können oder nicht? Wird hier jemand die Juristen für das Objekt halten?// In einem Roman heißt es: während die Stämme ihre kahlen Äste uns entgegenstreckten, als wollten sie mit ihren Armen unserer(!) sich erwehren. Das soll heißen: während uns die Stämme ihre kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten sie sich unser mit ihren Armen erwehren. Am fürchterlichsten ist es, wenn das unbetonte es, vollends das proleptische, das nur einen Inhalts- oder einen $Seite 307$ Infinitivsatz vorbereitet, und das nur dann erträglich ist, wenn es sich so viel wie möglich versteckt, wenn es ganz flüchtig (am liebsten in der Form von ’s) durch den Satz huscht — wenn das mit solchem Elefantentritt an möglichst unpassender Stelle in den Satz hineintappt: trotz des Widerwillens des Vaters setzte [] der Knabe unter dem Beistande der guten Mutter es durch, daß er usw. Möglich ist ja eine solche Stellung der Fürwörter auch, falsch ist sie nicht, es fragt sich nur, ob sie schön sei. Wie müssen sich oft die Fürwörter und die Wörter überhaupt in Versen herumwerfen lassen! Wie die Kegel, wenn die Kugel dazwischenfährt. Da senkte sich aus der Höhe ein lichter Engel — nicht wahr, ganz gewöhnliche Prosa? Da senkte aus der Höhe Ein lichter Engel sich — auf einmal „Poesie"! Ich weiß nicht, was es bedeuten soll — Prosa. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten — herrliche Poesie! Das hat aber doch auch seine Grenzen. Poetischer als ein Vers wie der: Wie soll aus diesem Zwiespalt ich retten mich? klingt doch unzweifelhaft die schlichte „Prosa": wie soll ich mich aus diesem Zwiespalt retten? Von Gellerts Fabeln hat man geringschätzig gesagt, sie wären die reine Prosa. Von dem Ausdruck trifft das nun gar nicht zu, der ist dazu viel zu fein und gewählt. Wenn es sich aber darauf beziehen soll, daß ihre Wortstellung ganz so ist, wie sie in guter Prosa sein würde, so wäre das ja das höchste Lob! Es ist das, was Friedrich der Große mit den Worten rühmte: Er hat so etwas Kulantes in seinen Versen. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Gellert - Christian Fürchtegott, Schreiber guten Stils, Wustmann - Gustav, Literatursprache, gesprochene Sprache, Schriftsprache |
Bewertung |
ängstliches, auffälligste, das natürliche, erträglich, es fragt sich nur, ob sie schön sei, falsch ist sie nicht, fein, Frequenz/häufigste, Frequenz/höchst selten, Frequenz/hundertmal, für eine Schönheit gehalten, fürchterlichsten, gequälte, gewählt, hat es einen Sinn, Krankheit, mit solchem Elefantentritt an möglichst unpassender Stelle in den Satz hineintappt, Möglich, Poetischer, richtige, schlichte, schulknabenhaftes, Unnatur, unnatürlich, unsäglich häßlich, wenn er zu künsteln anfängt |
Intertextueller Bezug | Friedrich der Große |