Drei Monate - durch drei Monate - während dreier Monate
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 256 - 258 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | 18. Jahrhundert, Frau, Ursprünglich, Neu, Sprachverlauf, Österreich, Literatursprache, Zeitungssprache |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gegenwärtig, Neu, Österreich, Zeitungssprache |
Text |
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Ein widerwärtiger Mißbrauch, der aber auch neuerdings für vornehm gilt — natürlich! es klingt ja französisch —, ist der Gebrauch, auf die Frage: wielange? mit während zu antworten: wir waren während dreier Monate in der Schweiz — dieses Geräusch blieb während einiger Minuten hörbar — man sprach während einiger Wochen von nichts anderm als von dieser Unternehmung — die Prüfungskommission, $Seite 257$ der Gottfried Kinkel während einer Reihe von Jahren angehört hat — die Lehren, die während achtzehn Jahrhunderten als die Grundlage rechtgläubigen Christentums angesehen worden sind — der Clavigo wurde während weniger Tage in einem Gusse geschaffen — die Naturaldienste wurden nur während weniger Tage im Jahre geleistet. Während kann nie auf die Frage: wielange? antworten, sondern immer nur auf die Frage: wann? Vielleicht ist es nicht allen Lesern in der Erinnerung, wie die Präposition während entstanden ist. Noch im achtzehnten Jahrhundert schrieb man währendes Frühlings, währendes Krieges. Allmählich wurde dieser absolute Genitiv mißverstanden, eine Zeit lang wußte man nicht recht, ob man währendes oder während des hörte, und schließlich sprang der Partizipialstamm von der Endung ab und wurde — tatsächlich also durch ein Mißverständnis, durch eine Sprachdummheit — zu einer Präposition. Trotzdem erhielt sich bei richtiger Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang zusammengestellt mit einem andern Vorgange, mit dem er entweder ganz oder teilweise zeitlich zusammenfällt: er lag während des Kriegs im Lazarett — während des Vortrags darf nicht geraucht werden — während des Gewitters waren wir unter Dach und Fach. Der Krieg, der Vortrag, das Gewitter sind Vorgänge, Ereignisse. Aber ein Tag, ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind bloße Zeitabschnitte oder Zeitmaße. Er lag während dreier Monate im Lazarett — ist völliger Unsinn, denn drei Monate sind kein Ereignis, womit das Liegen im Lazarett zeitlich verglichen würde, sondern sie bedeuten einfach die Zeitdauer: diese kann aber nur ausgedrückt werden durch den Akkusativ drei Monate oder drei Monate lang. Der Clavigo wurde nicht während weniger Tage, sondern in wenigen Tagen geschaffen. Aber kann man denn nicht sagen: während des Tags? Gewiß kann man das; aber dann ist Tag nicht als Zeitmaß gebraucht, sondern als Erscheinung der Nacht gegenübergestellt: während des Tags scheint die Sonne. Die Sonne $Seite 258$ hat nur während eines Tages geschienen — das ist Unsinn; die Sonne hat während meiner Ferien nur einen Tag geschienen — das hat Sinn. Aber alle Romanschreiber und besonders alle Romanschreiberinnen spreizen sich jetzt mit diesem albernen, dem französischen pendant nachgeäfften Mißbrauch. Durch fünfzehn Monate endlich, durch lange Zeit, durch fünf Minuten, wie die Zeitungen jetzt auch gern auf die Frage: wielange? schreiben (die heldenmütigen Frauen, die durch fünfzehn Monate mit ihren Kindern im Buschwalde umherirrten — dieses Gefühl war durch lange Zeit künstlich genährt worden — das Publikum lärmte und applaudierte durch wenigstens fünf Minuten), ist ganz undeutsch. Es ist ein gedankenlos dem Lateinischen nachgebildeter Austriazismus; aus österreichischen Zeitungen ist es dann in unsre Sprache geschleppt worden. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | neu, Österreich, Zeitungssprache, gegenwärtig |
Bewertung |
Unsinn, ganz undeutsch, gedankenlos |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | 18. Jahrhundert, neu, Österreich, Zeitungssprache, Literatursprache, Frau, Sprachverlauf, Ursprünglich |
Bewertung |
widerwärtiger Mißbrauch, Mißverständnis, Sprachdummheit, völliger Unsinn, Unsinn, albern, nachgeäffter Mißbrauch, ganz undeutsch, gedankenlos |
Intertextueller Bezug |