Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer Gelehrter oder großer Gelehrten?
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 32 - 33 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: |
Nominalphrase: Grundform und Flexion deadjektivischer und departizipialer Substantive |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Gegenwärtig, Alt, Neu, Schriftsprache, Literatursprache |
Text |
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Adjektiva und Partizipia, die substantiviert wurden, nahmen in der ältesten Zeit stets die schwache Form an, auch hinter dem unbestimmten Artikel. Reste davon sind Junge (ein Junge), eigentlich ein Junger, das in der Form Jünger noch daneben steht, und Untertan(e), eigentlich ein Untertaner. Später ist auch bei solchen substantivierten Adjektiven und Partizipien überall hinter ein die starke Form eingetreten: ein Heiliger, ein Kranker, ein Fremder, ein Gelehrter, ein Verwandter, ein Junges (von Hund oder Katze), ein Ganzes, und stark wird auch überall der alleinstehende artikellose Plural jetzt dekliniert: Heilige, Verwandte, Geistliche, Gelehrte, Junge (der Hund hat Junge bekommen). Werden aber diese substantivierten Adjektiva und Partizipia mit einem Adjektiv versehen, so erhält sich ihre schwache Form: ein schönes Ganze (noch genau so wie ein guter Junge), mein ganzes Innere, von auffälligem Äußern, mit zerstörtem Innern, und namentlich im Genitiv der Mehrzahl: eine Anzahl wunderlicher Heiligen, eine Versammlung evangelischer Geistlichen, ein Kreis lieber Verwandten, die Stellung höherer Beamten, die Arbeiten großer Gelehrten, ein Kreis geladner Sach- $Seite 33$ verständigen, große Züge französischer Kriegsgefangnen, die Lehren griechischer Weisen usw. Neuerdings versucht man, auch hier überall krampfhaft die starke Form durchzudrücken und lehrt, weil es heiße ein Ganzes, so müsse es auch heißen: ein schönes Ganzes, mein ganzes Inneres, ein ungewöhnliches Äußeres, mit zerrüttetem Innerm, und im Genitiv der Mehrzahl: die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, der Verband sächsischer Industrieller, zum Besten armer Augenkranker, zur Unterstützung verschämter Armer, die Anstellung pensionierter Geistlicher, Mißgriffe preußischer Polizeibeamter, die Behandlung betrunkner Untergebener, Geldbeiträge reicher Privater, der Streit zweier berühmter deutscher 'elehrter, die Zustimmung vieler amerikanischer, spanischer und französischer Gelehrter, die Einbildung etlicher wunderlicher Heiliger usw. Daß die gehäuften er in den Endungen nicht gerade schön klingen, würde nichts zu sagen haben; das ließe sich auch gegen jede andre Endung einwenden. Aber da die schwache Form in diesem Falle das ältere ist, so verdient sie unbedingt den Vorzug. Unsre guten Schriftsteller haben nie anders geschrieben als: zur Unterstützung verschämter Armen, inmitten eifersüchtiger Fremden. Ein schönes Ganzes und nach dem Urteil deutscher Gelehrter sind unnatürliche, gewaltsame Erzeugnisse der Halbwisserei. Menschen von feinerem Sprachgefühl werden hier immer das fehlende Hauptwort vermissen: ein schönes ganzes (was denn?). Eine Liederlichkeit ist es, substantivierte weibliche Adjektivformen, wie die Rechte, die Linke, die Weiße (eine Berliner Weiße), wie Substantiva zu behandeln und zu schreiben: die Einführung der Berliner Weiße; richtig ist nur: der Berliner Weißen, wie in seiner Rechten, auf der äußersten Linken. Auch die Herbstzeitlose gehört hierher. Nur die Feste (nämlich eigentlich Burg oder Stadt) ist ganz zum Substantiv geworden: die Grundmauern der zerstörten Feste, auf hoher Feste. |
Zweifelsfall |
Nominalphrase: Grundform und Flexion deadjektivischer und departizipialer Substantive |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | alt, Schreiber guten Stils, gegenwärtig, neu, Schriftsprache, Literatursprache |
Bewertung |
nicht gerade schön, unnatürliche, gewaltsame Erzeugnisse der Halbwisserei, Liederlichkeit |
Intertextueller Bezug |