Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 14 - 16

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Komplexe Eigennamen: Flexion

Genannte Bezugsinstanzen: 15. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, Grimm - Jacob, Gegenwärtig, Behördensprache, Gesprochene Sprache, Österreich
Text

Verlegenheit bereitet vielen auch die Deklination adliger Namen oder solcher Namen, die adligen nachgebildet sind. Soll man sagen: die Dichtungen Wolframs von Eschenbach oder Wolfram von Eschenbachs? Richtig ist — selbstverständlich — nur das erste, denn Eschenbach ist, wie alle echten Adelsnamen, ein Orts- $Seite 15$ name, der die Herkunft bezeichnet; den kann man doch hier nicht in den Genitiv setzen wollen.//* Obwohl sich schon im fünfzehnten Jahrhundert in Urkunden findet: das Haus, das Peter von Dubins (Peters von Düben) oder das Nickel von Pirnes (Nickels von Pirne) gewest, als das Gefühl für den Ortsnamen noch viel lebendiger war als bei unsern heutigen Abelsnamen.// So muß es denn auch heißen: die Heimat Walthers von der Vogelweide, die Burg Götzens von Berlichingen, die Lebensbeschreibung Wiprechts von Groitzsch, die Gedichte Hoffmanns von Fallersleben, auch die Werke Leonardos da Vinci, die Schriften Abrahams a Sancta Clara.

Wie steht es aber mit den Namen, die nicht jedermann sofort als Ortsnamen empfindet, wie Hutten? Wer kann alle deutschen Ortsnamen kennen? Soll man sagen: Ulrichs von Hutten oder Ulrich von Huttens deutsche Schriften? Und nun vollends die zahllosen unechten Adelsnamen, über die sich schon Jakob Grimm lustig gemacht hat: diese von Richter und von Schulz, von Schmidt und von Weber, von Bär und von Wolf, wie stehts mit denen? Soll man sagen: Heinrichs von Weber Lehrbuch der Physik, Leopolds von Ranke Weltgeschichte? Streng genommen müßte es ja so heißen; warum behandelt man Namen, die alles andre, nur keinen Ort bezeichnen, als Ortsnamen, indem man ihnen das sinnlose von vorsetzt! Im achtzehnten Jahrhundert war das Gefühl für die eigentliche Bedeutung der adligen Namen noch lebendig; da adelte man einen Peter Hohmann nicht zum Peter von Hohmann, sondern zum Peter von Hohenthal, einen Ernst Kregel nicht zum Ernst von Kregel, sondern zum Ernst Kregel von Sternbach, indem man einen (wirklichen oder erdichteten) Ortsnamen zum Familiennamen setzte; in Österreich verfährt man zum Teil noch heute so. Da aber nun einmal die unechten Adelsnamen vorhanden sind, wie soll man sich helfen? Es bleibt nichts weiter übrig, als das von hier so zu behandeln, als ob es gar nicht da wäre, also zu sagen: Leopold von Rankes sämtliche Werke, besonders dann, wenn der $Seite 16$ Genitiv vor dem Worte steht, von dem er abhängig ist; steht er dahinter, so empfiehlt es sich schon eher, den Vornamen zu flektieren: die Werke Leopolds von Ranke, denn man möchte natürlich den Genitiv immer so dicht wie möglich an das Wort bringen, zu dem er gehört. Und so verfährt man oft auch bei echten Adelsnamen, selbst wenn man weiß, oder wenn kein Zweifel ist, daß sie eigentlich Ortsnamen sind. Es ist das ein Notbehelf, aber schließlich erscheint er doch von zwei Übeln als das kleinere.


Zweifelsfall

Komplexe Eigennamen: Flexion

Beispiel
Bezugsinstanz Gesprochene Sprache, 15. Jahrhundert, Grimm - Jacob, 18. Jahrhundert, gegenwärtig, Österreich, Behördensprache
Bewertung

Notbehelf, kleinere von zwei Übeln

Intertextueller Bezug