Unterdrückung des Subjekts

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 89 - 90

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Ellipse des Subjekts zum Ausdruck von Höflichkeit

Genannte Bezugsinstanzen: Gebildete, Frau, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Schriftsprache, Fachsprache (Medizin), Zeitungssprache, Umgangssprache, Geschäftssprache
Text

Die meisten Fehler gegen die grammatische Richtigkeit und den guten Geschmack werden natürlich auf dem schwierigsten Gebiete der Sprache, auf dem des Satzbaus begangen. Zunächst sollen Subjekt und Prädikat und dann die Tempora und die Modi des Zeitworts in Haupt- und Nebensätzen ins Auge gefaßt werden.

Nicht bloß in dem Geschäfts- und Briefstil der Kaufleute, sondern im Briefstil überhaupt halten es viele für ein besondres Zeichen von Höflichkeit, das Subjekt ich und wir zu unterdrücken. Kaufleute schreiben in ihren Geschäftsanzeigen: Kisten und Tonnen nehmen zum Selbstkostenpreise zurück, Zeitungen drucken über ihren Inseratenteil: Sämtliche Anzeigen halten der Beachtung unsrer Leser empfohlen, und Ärzte machen bekannt: Habe mich hier niedergelassen, oder: Meine Sprechstunden halte von heute ab von acht bis zehn Uhr. Aber auch gebildete Frauen und Mädchen, denen man etwas bessern Geschmack zutrauen sollte, schreiben: Vorige Woche habe mit Papa Besuch bei R.s gemacht.

Wenn man jemand seine Hochachtung unter anderm auch durch die Sprache bezeugen will, so ist das an sich gar nicht so übel. Aber vernünftigerweise kann das doch nur dadurch geschehen, daß man die Sprache so sorgfältig und sauber behandelt, als irgend möglich, aber nicht durch äußerliche Mittelchen, wie große Anfangsbuchstaben (Du, Dein), gesuchte Wortstellung, bei der man den Angeredeten möglichst weit vor, sich selbst aber möglichst weit hinter stellt (so bitte Euer Wohlgeboren infolge unsrer mündlichen Verabredung ich ganz ergebenst), oder gar dadurch, daß man den grammatischen $Seite 90$ Selbstmord begeht, wie es Jean Paul genannt hat, ich oder wir wegzulassen. Derartige Scherze schleppen sich aus alten Briefstellern fort — wer Gelegenheit hätte, in den Briefen des alten Goethe zu lesen, würde mit Erstaunen sehen, daß sich auch der nie anders ausgedrückt hat —, sie sollten aber doch endlich einmal überwunden werden.

Noch schlimmer freilich als die Unterdrückung von ich und wir ist die unglaubliche Albernheit, die jetzt in den Kreisen der „Gebildeten" grassiert, wenn man den andern nicht recht verstanden hat, zu fragen: Wie meinen? Hier mordet man grammatisch gar den Angeredeten! Ein solcher Blödsinn aus der Umgangssprache dringt ja nicht in die Schriftsprache, er soll aber doch hier festgenagelt werden, denn schon nach wenig Jahren wird man ihn nicht mehr für möglich halten.


Zweifelsfall

Ellipse des Subjekts zum Ausdruck von Höflichkeit

Beispiel
Bezugsinstanz Fachsprache (Medizin), Gebildete, Frau, Goethe - Johann Wolfgang, Geschäftssprache, Schriftsprache, Umgangssprache, Zeitungssprache, alt
Bewertung

gar nicht so übel, grammatischer Selbstmord, noch schlimmer, unglaubliche Albernheit, solcher Blödsinn, nicht mehr für möglich halten

Intertextueller Bezug Jean Paul