Wechsel zwischen der und welcher

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 119 - 121

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Konkurrierende Relativpronomina

Genannte Bezugsinstanzen: Kindersprache, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Schulsprache
Text

Wenn zu einem Worte zwei (oder mehr) Relativsätze zu fügen sind, so halten es viele für eine besondre Schönheit, mit dem Relativpronomen abzuwechseln. Es ist das der einzige Fall, wo sie einmal mit Bewußtsein und Absicht zu dem Relativum der greifen, während sie sonst, wie die Schulknaben, immer welcher schreiben. Jeden Tag kann man Sätze lesen wie: das Allegro und das Scherzo fanden nicht das Maß von Beifall, welches wir erwartet hatten, und das sie verdienen — jedes Grundstück, welches mindestens zu einem Grundsteuerertrage von 200 Mark eingeschätzt ist, und das mindestens einen Taxwert von 1000 Mark hat — lehrreich ist die Niederschrift durch die Korrekturen, welche der Komponist selbst darin vorgenommen hat, und die sich nicht nur im Ändern einzelner Noten zeigen — es hat das tiefere Ursachen, um die sich das Publikum freilich nicht kümmert, welche aber die dramatischen Dichter beachten sollten — in eine weite Hausflur mündete die Treppe, welche in die obern Stockwerke führte, und die man gern als Wendeltreppe gestaltete — die ehrwürdigen Denkmäler der Druckkunst, welche uns der Meister selbst hinterlassen hat, und die man mit dem Namen Wiegendrucke bezeichnet — es geht nicht an, daß wir Schäden groß wachsen sehen, die uns als schwache Köpfe erscheinen lassen, und auf welche die Fremden mit Fingern weisen — es war ein Klang in seinen Worten, welcher alle Herzen ergriff, und dem sie gern weiter gelauscht hätten — Aufsätze, welche bereits in verschiednen Zeitschriften erschienen sind, und die durch ihre Beziehungen auf Schwaben zusammengehalten werden. Kein Zweifel: in allen diesen Fällen liegt ein absichtlicher Wechsel vor: alle, die so schreiben, glauben eine besondre Feinheit anzubringen.

Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Abgesehen davon, daß die Wiederholung des Relativpronomens bisweilen ganz überflüssig ist, weil das Satzgefüge dasselbe bleibt, ist es auch unbegreiflich, wie jemand in seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn man an ein $Seite 120$ Hauptwort zwei oder mehr Relativsätze anschließt, so stehn doch diese Sätze als Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zueinander, etwa so:

Hauptsatz

Erster Relativsatz

Zweiter Relativsatz.

Wie kann man da auf den Gedanken kommen, diese beiden parallelstehenden Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das natürliche ist es doch, parallellaufende Sätze auch gleichmäßig anzuknüpfen, ja es ist das geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn ich erst der lese und im nächsten Satze welcher, so suche ich unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden Hauptwort und sehe zu spät, daß ich genarrt bin. Mit der vermeintlichen Schönheitsregel ist es also nichts; auch sie ist nur ein Erzeugnis der abergläubischen Furcht, kurz hintereinander zweimal dasselbe Wort — geschrieben zu sehen. Die vernünftige Regel heißt: Parallele Relativsätze müssen mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle mit der, die, das. Es gibt viele Talente, die vielleicht nie selbständig etwas erfinden werden, die man daher auf der Akademie zwecklos mit Kompositionsaufgaben plagt, die aber beweglich genug sind, das in der Kopierschule erlernte frei umzubilden — das ist gutes Deutsch. Welcher, welche, welches ist auch hier entbehrlich.

Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, der sich an ein neues Hauptwort in dem ersten Retativsatz anschließt, etwa so:

Hauptsatz

Erster Relativsatz

Zweiter Relativsatz.

Da wechselt die Beziehung, und da hat es etwas für sich, auch das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann da sogar die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen, wie in folgenden Sätzen: Klaviere, die den Anforderungen entsprechen, welche in Tropengegenden an sie gestellt werden — Gesetze, die bestimmte Organisationen zum Gegen- $Seite 121$ stande haben, welche nur bei der katholischen Kirche vorkommen — die Bühnen, die mit einer ständigen Schar von Freunden rechnen können, welche mit liebevollem Interesse ihrer Entwicklung folgen — Verbesserungen, die der Dichter der dritten Ausgabe seiner Gedichte zu geben beabsichtigte, welche er leider nicht mehr erlebte — Amerika zerfällt in zwei Hälften, die nur durch eine verhältnismäßig schwache Brücke zusammenhängen, welche sich nicht zu einem Handelsweg eignet — in dem Pakt, den Faust mit dem Geiste der Verneinung schließt, welcher sich als der Zwillingsbruder des Todes bekennt — es fehlte bisher an einer Darstellung, die allen Anforderungen entsprochen hätte, welche an Kunstblätter von nationaler Bedeutung zu stellen sind — es gelang uns, in Beziehung zu den Stämmen zu treten, die eigentlich die Artikel produzieren, welche unsern Kaufleuten zugehen, und die zugleich ein weites Absatzgebiet für unsre Industrie bieten. Dabei empfiehlt sich übrigens (aus rhythmischen Gründen, der Steigerung wegen), der immer an die erste, welcher an die zweite Stelle zu bringen, nicht umgekehrt! Aber nötig ist der Wechsel auch hier nicht; was in der lebendigen Sprache nicht mißverstanden wird — und da fällt es keinem Menschen ein, zu wechseln —, wird wohl auch auf dem Papier zu verstehn sein.

Scan
Wustmann(1903) 119-121.pdf


Zweifelsfall

Konkurrierende Relativpronomina

Beispiel
Bezugsinstanz gesprochene Sprache, Schriftsprache, Kindersprache, Schulsprache
Bewertung

überflüssig, unbegreiflich, irre gehen, stört nur und führt irre, vermeintliche Schönheitsregel, abergläubische Furcht, entbehrlich

Intertextueller Bezug