ig, lich, isch. Adelig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 77 - 81 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Sprache des Buchhandels, 17. Jahrhundert, Gegenwärtig, Ursprünglich, Alt, Neu, Sprachverlauf, Schriftsprache, Zeitungssprache, Geschäftssprache |
Text |
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Eigenschaftswörter können im Deutschen von Hauptwörtern auf sehr verschiedne Arten gebildet werden: mit $Seite 78$ ig, lich, isch, sam, bar, haft usw. Zwischen allen diesen Bildungen waren ursprünglich fühlbare Bedeutungsunterschiede, die heute vielfach verwischt sind. Doch sind sie auch manchmal noch deutlich zu erkennen, selbst bei den am häufigsten verwendeten und deshalb am meisten verblaßten Endungen ig, lich und isch; man denke nur an weiblich und weibisch, kindlich und kindisch, herrlich und herrisch, launig und launisch, traulich und mißtrauisch, göttlich und abgöttisch, väterlich und altväterisch, gläubig und abergläubisch u. a. Das von Adel gebildete Adjektiv soll nach der „neuen Orthographie" nun endgültig adlig geschrieben werden. Es schadet aber vielleicht nichts, wenn man sich darüber klar bleibt, daß das eigentlich falsch ist. Adlich ist entstanden aus adellich, es gehört zu königlich, fürstlich, ritterlich, männlich, weiblich, geistlich, weltlich, fleischlich, aber nicht zu heilig, geistig, lustig, fleißig, steinig, ölig, fettig, schmutzig. Dieselbe Verwirrung des Sprachgefühls wie bei adlig findet sich auch noch bei billig (das noch bis in das siebzehnte Jahrhundert richtig billich geschrieben wurde) und bei unzählig und untadlig, die eigentlich unzählich und untadlich geschrieben werden müßten. Nur bei allmählich, das eine Zeit lang allgemein falsch allmählig geschrieben wurde (es ist aus allgemächlich entstanden), ist das richtige in neuerer Zeit wiederhergestellt worden, wohl deshalb, weil hier das l doch gar zu offenbar nicht zum Stamme gehören kann. Wenn aus einem Substantiv mit vorhergehendem Eigenschaftswort oder Zahlwort ein Adjektiv gebildet wird, so geschieht es immer mit der Endung ig. Bei kurzweilig, langstielig, großmäulig, dickfellig, gleichschenklig, rechtwinklig, vierzeilig könnte man ja meinen, sie wären deshalb auf ig gebildet worden, weil der Stamm auf l endigt; es heißt aber auch: fremdartig, treuherzig, gutmütig, schöngeistig, freisinnig, hartnäckig, vollblütig, breitschultrig, schmalspurig, freihändig, buntscheckig, eintönig, vierprozentig usw. $Seite 79$ Da hat man nun neuerdings fremdsprachlich und neusprachlich gebildet — ist denn das richtig? Leider Gottes! muß man sagen. Diese Adjektiva sind nicht etwa entstanden zu denken aus fremd und Sprache, neu und Sprache (so wie fremdartig aus fremd und Art), sondern es sollen Adjektivbildungen zu Fremdsprache und Neusprache sein. Diese beiden herrlichen Wörter hat man nämlich geschaffen, um nicht mehr von fremden und neuen Sprachen reden zu müssen; nur die Altsprachen fehlen noch, aber stillschweigend vorausgesetzt werden sie auch, denn neben neusprachlich steht natürlich altsprachlich. Und wie man nun nicht mehr von Sprachunterricht, sondern nur noch von sprachlichem Unterricht redet, so nun auch von fremdsprachlichem, altsprachlichem und neusprachlichem. Neben diesen „richtigen" und doch widerwärtigen Bildungen gibt es aber auch fremdsprachig, das nun wirklich aus fremd und Sprache gebildet ist. Während mit fremdsprachlich bezeichnet wird, was sich auf eine fremde Sprache bezieht, bezeichnet fremdsprachig eine wirkliche Eigenschaft. Man redet oder kann wenigstens reden von fremdsprachigen Völkern, fremdsprachigen Büchern, einer fremdsprachigen Literatur (wie von einer dreisprachigen Inschrift und einer gemischtsprachigen Bevölkerung). Sogar ein Unterricht kann zugleich fremdsprachlich und fremdsprachig sein, wenn z. B. der Lehrer die Schüler im Französischen unterrichtet und dabei zugleich französisch spricht. Fremdsprachig steht also neben fremdsprachlich wie gleichaltrig (gebildet aus gleich und Alter) neben mittelalterlich (gebildet von Mittelalter). Streng zu scheiden ist zwischen den Bildungen auf ig und denen auf lich bei den Adjektiven, die von Jahr, Monat, Tag und Stunde gebildet werden. Auch hier bezeichnen die auf ig eine Eigenschaft, nämlich die Dauer: zweijährig, eintägig, vierstündig. Bis vor kurzem konnte man zwar noch oft von einem dreimonatlichen Urlaub oder einer vierwöchentlichen Reise lesen; jetzt wird erfreulicherweise fast überall nur noch von $Seite 80$ einem dreimonatigen Urlaub und einer vierwöchigen Reise gesprochen. Dagegen bezeichnen einstündlich, dreimonatlich so gut wie jährlich, halbjährlich, vierteljährlich, monatlich, wöchentlich, täglich und stündlich den Zeitabstand von wiederkehrenden Handlungen. Da heißt es: in dreimonatlichen Raten zu zahlen, einstündlich einen Eßlöffel voll zu nehmen, ebenso wie: nach vierteljährlicher Kündigung. Unsinn also ist es, von halbjährigen öffentlichen Prüfungen zu reden; es gibt nur halbjährliche, das sind solche, die aller halben Jahre stattfinden, und halbstündige, das sind solche, die eine halbe Stunde dauern. Falsch ist es auch, von einem unförmlichen Fleischklumpen zu reden. Unförmlich könnte nur als Verneinung von förmlich verstanden werden. Das Betragen eines Menschen kann unförmlich sein (ohne Förmlichkeit, formlos), ein Fleischklumpen aber nur unförmig (gebildet von Unform; vgl. unsinnig und unsinnlich). Genau zu unterscheiden ist endlich auch noch zwischen abschlägig (eine abschlägige Antwort) und abschläglich (eine abschlägliche Zahlung). Abschlägig ist unmittelbar aus dem Verbalstamm gebildet, eine abschlägige Antwort ist eine abschlagende; abschläglich dagegen ist von Abschlag gebildet, eine abschlägliche Zahlung ist eine Abschlagszahlung. (Vgl. geschäftig und geschäftlich.) Wenn Kaufleute oder Buchhändler neuerdings davon reden, daß Waren oder Bücher wegen ihres niedrigen Preises den weitesten Kreisen zugängig seien, oder eine Zeitung schreibt: die Kinder müssen so viel Deutsch lernen, daß ihnen die deutsche Kultur zugängig ist, oder das „Tuberkulosemerkblatt" des Kaiserlichen Gesundheitsamtes als Hauptmittel gegen die Ansteckung eine dem Zutritte (!) von Luft und Licht zugängige Wohnung bezeichnet, so ist das dieselbe Verwechslung. Die Wohnung soll der Luft zugänglich sein, d. h. sie soll der Luft Zugang bieten. Zugängig könnte höchstens (aktiv!) etwas bedeuten, was jedermann zugeht, z. B. die Probenummer einer Zeitung, $Seite 81$ wie das neumodische angängig (für möglich) doch das bedeuten soll, was angeht. (Vgl. auch verständlich und verständig!) Wenn also amtlich bekannt gemacht wird, daß die sächsischen Sterbetater der Allgemeinheit unmittelbar zugängig gemacht werden sollen, so könnte ich mit Recht sagen: Schön, wann wird mir der meinige zugeschickt? |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | alt, Sprachverlauf, 17. Jahrhundert, Sprache des Buchhandels, gegenwärtig, Schriftsprache, neu, Geschäftssprache, ursprünglich, Zeitungssprache |
Bewertung |
eigentlich falsch, richtig, herrlich, richtige und doch widerwärtige Bildungen, Unsinn, Verwechslung |
Intertextueller Bezug |