Wustmann(1903) Besondere Fehler Der Schwund des Artikels: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 15. September 2016, 20:02 Uhr

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 268 - 270

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Unsicherheit
Text

Im Niederdeutschen ist es gebräuchlich, bei Ver- wandtschaftsbezeichnungen den Artikel wegzulassen wie bei Personennamen und zu sagen: Vater hats erlaubt, Mutter ist verreist, Tante ist dagewesen. Wenn das neuerdings auch in Mitteldeutschland viele nachschwatzen, weils aus Berlin kommt, so ist das Geschmackssache; schön ist es nicht, nicht einmal traulich. Eine wider- wärtige Unsitte aber ist es, diese niederdeutsche Gewohnheit auszudehnen auf Wörter wie: der Verfasser, der Be- richterstatter, der Referent, der Rezensent, der Angeklagte, der Kläger, der Redner, der Vor- redner (!), der Vorsitzende usw. Es ist nur eine alberne Mode, wenn jetzt geschrieben wird: in dieser Schrift bietet Verfasser eine Anthologie aus den Haupt- werken der Klassiker der Staatswissenschaft — die Ver- öffentlichung dieses Buchs hat für Referenten ein be- sondres Interesse gehabt (also für alle Referenten?) — Berichterstatter bekennt gern, daß er eine solche Be- merkung nie zu hören bekommen hat — Schreiber dieser Zeilen hat das selbst beobachtet. Einen zweiten Fall, wo der Artikel jetzt unberechtigter- weise weggelassen wird, vergegenwärtigen Ausdrücke wie: Denkmale deutscher Tonkunst, die erste Blütezeit französischer Plastik, Fragen auswärtiger Po- litik, die Freude an heimischer Vergangenheit, eine Tat evangelischen Bekenntnisses. Sind denn die französische Plastik und die deutsche Tonkunst früherer Zeiten Dinge, wie französischer Rotwein und deutscher Käse, die unaufhörlich vertilgt und neu fabriziert werden? Es sind doch ganz bestimmt umgrenzte Mengen dauern- der Erzeugnisse der menschlichen Geistestätigkeit. Welcher Unsinn, da den bestimmten Artikel wegzulassen! Man denke sich, daß Overbeck seine Geschichte der griechischen Plastik Geschichte griechischer Plastik genannt hätte! Ein dritter Fall endlich — ungefähr von derselben Art — ist die Geschmacklosigkeit, den bestimmten Artikel in Überschriften von Aussätzen und in Buchtiteln wegzu- lassen. Aber auch das ist jetzt sehr beliebt. Man nimmt $Seite 269$ eine Monatsschrift zur Hand und findet im Inhalts- verzeichnis: Ballade. Von X. Ei der tausend! denkt man, ist dein guter Freund X unter die Balladendichter gegangen? und schlägt begierig auf. Was findet man? Einen Aufsatz über die Geschichte der Ballade! Der kann aber doch vernünftigerweise nur überschrieben werden: Die Ballade.//* Obwohl schon der alte Goethe einen Aufsatz Ballade über- schrieben hat!// Ein bekannter Kunstsammler hat über seine Schätze ein Prachtwerk veröffentlicht unter dem Titel: Sammlung Schubart. Ja, so kann er ins Treppenhaus über die Tür seines Museums schreiben, aber der Buchtitel kann nur lauten: Die Sammlung Schubart (wenn durchaus französelt sein muß!). Na-mentlich Romane, Schauspiele und Zeitschriften werden jetzt gern mit solchen artikellosen Titeln versehen (Heimat, Jugend, Sonntagskind u. ähnl.), aber auch andre Werke, wie: Stammbaum Becker-Glauch (das soll heißen: der Stammbaum der Familien Becker und Glauch!). Ein bekanntes Werk von Guhl und Koner hat fünf Auflagen lang das Leben der Griechen und Römer geheißen; der neue Herausgeber der sechsten Auflage hat es wahrhaftig verschönert zu: Leben der Griechen und Römer!//** In der Schiffersprache geht man in See, an Land, an Bord, auf Deck, und der Soldat zieht auf Wache. Neuerdings ist es aber auch fein geworden, nicht mehr auf die Jagd zu gehen, sondern auf Jagd (oder vielmehr auf Jacht, natürlich nachdem man vorher ein Stück „mitm Zuch jefahren is"), und der junge Leutnant wird auf Festung kommandiert oder geht auf Kriegsschule. Schließlich geht man vielleicht auch noch auf Universität, setzt sich auf Stuhl und klettert auf Baum.// Es gibt aber auch Fälle, wo der Artikel gesetzt wird, obwohl er nicht hingehört. Gleich unausstehlich sind zwei Anwendungen des Artikels — das einemal des unbestimmten, das andremal des bestimmten — bei Personennamen. Für Leute von Geschmack bedarf es wohl nur folgender Beispiele, um ihren ganzen Abscheu zu erregen: Heyse hat nie die ruhige Größe eines Goethe erreicht — welcher unsrer großen Schriftsteller, selbst ein Lessing und ein Goethe, wäre von Fehlern $Seite 270$ freizusprechen! — und: von den Franzosen kamen die Dumas Sohn und Genossen herüber — die Neigung und Schätzung der Haupt, Jahn und Mommsen — die tiefeindringende Ästhetik der Hebbel und Ludwig. Der zweite Fall ist ja ein ganz gemeiner Latinismus; den ersten aber sollte man dem Untersekundaner über- lassen, der feinen ersten deutschen Aufsatz über ein literar- geschichtliches Thema schreibt, ja nicht einmal dem, denn wie soll er sonst seinen Ungeschmack loswerden?

Scan
Wustmann(1903) 268-270.pdf


Zweifelsfall

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Beispiel
Bezugsinstanz Berlin, Sprache des Buchhandels, Literatursprache, Goethe - Johann Wolfgang, Guhl - Ernst, Sprache des Buchhandels, gegenwärtig, Koner - Wilhelm, Sprache der Kunst, mitteldeutsch, Literatursprache, neu, niederdeutsch, Overbeck - Johannes, Literatursprache, Fachsprache (Schifffahrt), Fachsprache (Militärwesen), Wissenschaftssprache, Zeitungssprache
Bewertung

Abscheu zu erregen, alberne Mode, fein geworden, französelt, Frequenz/sehr beliebt, Geschmackssache, nicht einmal traulich, schön ist es nicht, sollte man dem Untersekundaner überlassen, unausstehlich, unberechtigterweise, vernünftigerweise nur, widerwärtige Unsitte

Intertextueller Bezug