Matthias(1929) Verstöße gegen das Hauptgesetz der indirekten Rede: Unterschied zwischen den Versionen
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|KapitelText=Geradezu einen Rückschritt stellt es dar, wenn die in § 375 gerügte Unart ganz allgemein in die Wiedergabe des von jemand Gesagten oder Gedachten eindringt und einem für die Gegenwart gültigen abhängigen Gedanken der Modus, einem in der Vergangenheit ausgesprochenen gar Modus und Zeit belassen werden, wie sie ihnen nur vom Standpunkte der wörtlichen Rede zukämen. Denn damit wird die abhängige Rede oder überhaupt die Ausdrucksweise für alle abhängigen Aussagen, die auch in der lateinischen Sprache nicht seiner und folgerichtiger durchgeführt ist als in der deutschen, geradezu auf einen früheren Standpunkt (Behaghel a. a. O. S. 137) zurückgeschraubt, auf dem ihr gänzlich und später oft noch teilweise dasjenige vorenthalten war, was heute neben der Personenverschiebung ihr deutlichstes Kennzeichen ist, deutlicher und häufiger sichtbar als die Personenverschiebung//1 Für den an solche Ausdrücke weniger Gewöhnten seien sie durch je ein Beispiel erläutert: ''Der Erzürnte schrie: Ich könnte dich gleich aus dem Hause jagen'', heißt abhängig, ohne daß von der Verschiebung des Modus etwas zu merken wäre, wohl aber von der ersten und zweiten Person in die dritte; ''er schrie, er könnte ihn gleich aus dem Hause jagen''. An dem Satze: ''Ich habe es ihm erklärt: Ich kann nicht anders'', kann man dagegen nur die Modusverschiebung in der Weise beobachten: ''Ich habe es ihm erklärt, ich könne nicht anders''.//: das ist die Modusverschiebung. Der volkstümlichen und mundartlichen Erzählung, vor allem aber Rede mag man gestatten, einmal auf jener Stufe stehn zu bleiben oder darauf zurückzutreten. In die verstandesmäßige Prosa und die gewählte Erzählung, selbst in die Erzählung, der mehr oder weniger mundartlich gefärbte Reden eingeflochten sind, gehört solche Satzfügung nicht. Leider droht sie aber gerade wieder von dorther um sich zu greifen, so gut in Roseggers wie in — Auerbachs Gleisen. Man höre nur einige Sätze aus Auerbachs „Nännchen von Mainz": ''Er nahm sich vor, wenn Nännchen von den Preußen nicht läßt'' (statt: ''lasse''), ''sie künftig zu begleiten, wohin sie will'' (statt: ''wolle''). ''N. betrachtete staunend den Vater, wie er so hartherzig sein kann'' (statt: ''könne''). ''Eines Tages, als ein'' $Seite 383$ ''Brief aus der Havelstadt ankam, worin es hieß, daß W. sich wohlbefand'' (statt: ''befinde''), ''sagte N. Denn erstens merkten die Kameraden nicht, wohin es geht'' (statt: ''gehe oder ginge''). Andrerseits schreibt Rosegger z. B. in „Als ich jung war": ''Immer wieder mußte ich an daheim denken, wo sie ja jetzt auf mich warten werden mit dem Abendessen und mutmaßen, warum er denn nicht heimkommt''. Zu solchen Entgleisungen aus Meistern rein kunstmäßigen Stiles seien die Sätze Stifters beigesteuert: ''Gustav konnte seiner Freude kein Ende machen, daß alles sei, wie es ist'' (statt: ''war'',) ''und Gustav, der wohl anfangs seine Freude ausgesprochen hatte, daß alles sei, wie es ist'' (statt: ''war''), ''sprach nun von dem Gegenstand nicht mehr''. In der Tgl. R. stand: ''Ein Beamter erzählte, daß er, vom Goldfieber ergriffen, nach Betschuanaland ging'' (statt. ''gegangen sei''); ''es glückte ihm auf einer Farm'' usw. Das nennt man aber eine indirekte Rede kaum anzufangen, geschweige fortzusetzen verstehn. | |KapitelText=Geradezu einen Rückschritt stellt es dar, wenn die in § 375 gerügte Unart ganz allgemein in die Wiedergabe des von jemand Gesagten oder Gedachten eindringt und einem für die Gegenwart gültigen abhängigen Gedanken der Modus, einem in der Vergangenheit ausgesprochenen gar Modus und Zeit belassen werden, wie sie ihnen nur vom Standpunkte der wörtlichen Rede zukämen. Denn damit wird die abhängige Rede oder überhaupt die Ausdrucksweise für alle abhängigen Aussagen, die auch in der lateinischen Sprache nicht seiner und folgerichtiger durchgeführt ist als in der deutschen, geradezu auf einen früheren Standpunkt (Behaghel a. a. O. S. 137) zurückgeschraubt, auf dem ihr gänzlich und später oft noch teilweise dasjenige vorenthalten war, was heute neben der Personenverschiebung ihr deutlichstes Kennzeichen ist, deutlicher und häufiger sichtbar als die Personenverschiebung//1 Für den an solche Ausdrücke weniger Gewöhnten seien sie durch je ein Beispiel erläutert: ''Der Erzürnte schrie: Ich könnte dich gleich aus dem Hause jagen'', heißt abhängig, ohne daß von der Verschiebung des Modus etwas zu merken wäre, wohl aber von der ersten und zweiten Person in die dritte; ''er schrie, er könnte ihn gleich aus dem Hause jagen''. An dem Satze: ''Ich habe es ihm erklärt: Ich kann nicht anders'', kann man dagegen nur die Modusverschiebung in der Weise beobachten: ''Ich habe es ihm erklärt, ich könne nicht anders''.//: das ist die Modusverschiebung. Der volkstümlichen und mundartlichen Erzählung, vor allem aber Rede mag man gestatten, einmal auf jener Stufe stehn zu bleiben oder darauf zurückzutreten. In die verstandesmäßige Prosa und die gewählte Erzählung, selbst in die Erzählung, der mehr oder weniger mundartlich gefärbte Reden eingeflochten sind, gehört solche Satzfügung nicht. Leider droht sie aber gerade wieder von dorther um sich zu greifen, so gut in Roseggers wie in — Auerbachs Gleisen. Man höre nur einige Sätze aus Auerbachs „Nännchen von Mainz": ''Er nahm sich vor, wenn Nännchen von den Preußen nicht läßt'' (statt: ''lasse''), ''sie künftig zu begleiten, wohin sie will'' (statt: ''wolle''). ''N. betrachtete staunend den Vater, wie er so hartherzig sein kann'' (statt: ''könne''). ''Eines Tages, als ein'' $Seite 383$ ''Brief aus der Havelstadt ankam, worin es hieß, daß W. sich wohlbefand'' (statt: ''befinde''), ''sagte N. Denn erstens merkten die Kameraden nicht, wohin es geht'' (statt: ''gehe oder ginge''). Andrerseits schreibt Rosegger z. B. in „Als ich jung war": ''Immer wieder mußte ich an daheim denken, wo sie ja jetzt auf mich warten werden mit dem Abendessen und mutmaßen, warum er denn nicht heimkommt''. Zu solchen Entgleisungen aus Meistern rein kunstmäßigen Stiles seien die Sätze Stifters beigesteuert: ''Gustav konnte seiner Freude kein Ende machen, daß alles sei, wie es ist'' (statt: ''war'',) ''und Gustav, der wohl anfangs seine Freude ausgesprochen hatte, daß alles sei, wie es ist'' (statt: ''war''), ''sprach nun von dem Gegenstand nicht mehr''. In der Tgl. R. stand: ''Ein Beamter erzählte, daß er, vom Goldfieber ergriffen, nach Betschuanaland ging'' (statt. ''gegangen sei''); ''es glückte ihm auf einer Farm'' usw. Das nennt man aber eine indirekte Rede kaum anzufangen, geschweige fortzusetzen verstehn. | ||
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Aktuelle Version vom 15. November 2017, 14:17 Uhr
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 382 - 383 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Rosegger - Peter, Stifter - Adalbert, Auerbach - Berthold, Gesprochene Sprache, Zeitungssprache, Behaghel - Otto |
Text |
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Geradezu einen Rückschritt stellt es dar, wenn die in § 375 gerügte Unart ganz allgemein in die Wiedergabe des von jemand Gesagten oder Gedachten eindringt und einem für die Gegenwart gültigen abhängigen Gedanken der Modus, einem in der Vergangenheit ausgesprochenen gar Modus und Zeit belassen werden, wie sie ihnen nur vom Standpunkte der wörtlichen Rede zukämen. Denn damit wird die abhängige Rede oder überhaupt die Ausdrucksweise für alle abhängigen Aussagen, die auch in der lateinischen Sprache nicht seiner und folgerichtiger durchgeführt ist als in der deutschen, geradezu auf einen früheren Standpunkt (Behaghel a. a. O. S. 137) zurückgeschraubt, auf dem ihr gänzlich und später oft noch teilweise dasjenige vorenthalten war, was heute neben der Personenverschiebung ihr deutlichstes Kennzeichen ist, deutlicher und häufiger sichtbar als die Personenverschiebung//1 Für den an solche Ausdrücke weniger Gewöhnten seien sie durch je ein Beispiel erläutert: Der Erzürnte schrie: Ich könnte dich gleich aus dem Hause jagen, heißt abhängig, ohne daß von der Verschiebung des Modus etwas zu merken wäre, wohl aber von der ersten und zweiten Person in die dritte; er schrie, er könnte ihn gleich aus dem Hause jagen. An dem Satze: Ich habe es ihm erklärt: Ich kann nicht anders, kann man dagegen nur die Modusverschiebung in der Weise beobachten: Ich habe es ihm erklärt, ich könne nicht anders.//: das ist die Modusverschiebung. Der volkstümlichen und mundartlichen Erzählung, vor allem aber Rede mag man gestatten, einmal auf jener Stufe stehn zu bleiben oder darauf zurückzutreten. In die verstandesmäßige Prosa und die gewählte Erzählung, selbst in die Erzählung, der mehr oder weniger mundartlich gefärbte Reden eingeflochten sind, gehört solche Satzfügung nicht. Leider droht sie aber gerade wieder von dorther um sich zu greifen, so gut in Roseggers wie in — Auerbachs Gleisen. Man höre nur einige Sätze aus Auerbachs „Nännchen von Mainz": Er nahm sich vor, wenn Nännchen von den Preußen nicht läßt (statt: lasse), sie künftig zu begleiten, wohin sie will (statt: wolle). N. betrachtete staunend den Vater, wie er so hartherzig sein kann (statt: könne). Eines Tages, als ein $Seite 383$ Brief aus der Havelstadt ankam, worin es hieß, daß W. sich wohlbefand (statt: befinde), sagte N. Denn erstens merkten die Kameraden nicht, wohin es geht (statt: gehe oder ginge). Andrerseits schreibt Rosegger z. B. in „Als ich jung war": Immer wieder mußte ich an daheim denken, wo sie ja jetzt auf mich warten werden mit dem Abendessen und mutmaßen, warum er denn nicht heimkommt. Zu solchen Entgleisungen aus Meistern rein kunstmäßigen Stiles seien die Sätze Stifters beigesteuert: Gustav konnte seiner Freude kein Ende machen, daß alles sei, wie es ist (statt: war,) und Gustav, der wohl anfangs seine Freude ausgesprochen hatte, daß alles sei, wie es ist (statt: war), sprach nun von dem Gegenstand nicht mehr. In der Tgl. R. stand: Ein Beamter erzählte, daß er, vom Goldfieber ergriffen, nach Betschuanaland ging (statt. gegangen sei); es glückte ihm auf einer Farm usw. Das nennt man aber eine indirekte Rede kaum anzufangen, geschweige fortzusetzen verstehn. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Auerbach - Berthold, Behaghel - Otto, Rosegger - Peter, Stifter - Adalbert, gesprochene Sprache, Zeitungssprache |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |