Matthias(1929) Ausfall ganzer Silben in der Ableitung: Unterschied zwischen den Versionen
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|KapitelText=Ganze Silben dagegen bei der Ableitung zu opfern, geht heute nicht mehr an. Freilich ''morgig'' z. B. (statt des nicht gebräuchlichen ''morgenig'') hat infolge vierhundertjährigen Alters gleiche Berechtigung wie das bei den Klassikern herrschende ''morgend'', das manche solche nur scheinbare Partizipialform neben sich hat. Ganz verwerflich dagegen ist ''nebig'' statt ''nebenstehend'', da es von keinem ''neb'' gebildet sein kann, wie ''obig'' tatsächlich von ''ob'' (''ob der Ens''). Dagegen rechtfertigt sich die Form ''Zauberin'', ''Wucherin'', ''Erneuerin'' statt ''Zaub(e)rerin'' usw. durch die Rücksicht auf den Wohlklang; und allein zulässig ist die Form ''Einzelheit, Einzelhaus'', da das ''n'' von ''einzeln'' nur das Dativzeichen der Mehrzahl, also nicht stammhaft ist. In weit überwiegender Zahl sind auch die Ortsnamen auf ''-en'' Wem-Fall der Mehrzahl, und in älterer Zeit sind daher auch von diesen Namen die ihrer Bewohner oft nur auf die einsilbige Endung ''-er'', nicht die zweisilbige ''-ener'' gebildet worden, wie ''Bremerhaven, Bingerloch, Embder Hafen, Eisleber Aktien, Erlanger Bier, Barmer Kattune'' oder Schillers Form: ''die Antwerper'' neben heutigem ''Antwerpener'' bezeugen. Jetzt werfen bei solchen Bildungen meist nur die Namen auf ''-ingen'' und ''hausen'' ihr ''-en'' ab: ''Eßlingen'' — ''Eßlinger Bote''; ''Babenhausen'' — ''Babenhauser'', ''Frankenhausen'' — ''Frankenhäuser'' gegenüber vereinzeltem ''Fischhausener''. Überhaupt war die kürzere Bildung um so unbedenklicher, je länger der Name war, und daher wohl ''Mühlhäuser Fabrikate'', aber nicht auch ''Hauser'', sondern nur ''Hausener Kirchturm'' angängig. Heute scheidet man gewissenhaft ''Fünfkirchener, Engkirchener'' von: ''Neukircher'', das von ''Neukirch'' abgeleitet ist, und bildet auch durchaus ''Ludwigshafener, Cuxhavener'', und vollends von zweisilbigen Namen wie ''Gießen, Verden, Baden'' durchaus: ''Gießener, Verdener, Badener'' (neben älterem ''Wiesbader''//1. Vgl. O. Behaghel i. d. Zeitschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins, 1904, Nr. 1, S. 8—10.// | |KapitelText=Ganze Silben dagegen bei der Ableitung zu opfern, geht heute nicht mehr an. Freilich ''morgig'' z. B. (statt des nicht gebräuchlichen ''morgenig'') hat infolge vierhundertjährigen Alters gleiche Berechtigung wie das bei den Klassikern herrschende ''morgend'', das manche solche nur scheinbare Partizipialform neben sich hat. Ganz verwerflich dagegen ist ''nebig'' statt ''nebenstehend'', da es von keinem ''neb'' gebildet sein kann, wie ''obig'' tatsächlich von ''ob'' (''ob der Ens''). Dagegen rechtfertigt sich die Form ''Zauberin'', ''Wucherin'', ''Erneuerin'' statt ''Zaub(e)rerin'' usw. durch die Rücksicht auf den Wohlklang; und allein zulässig ist die Form ''Einzelheit, Einzelhaus'', da das ''n'' von ''einzeln'' nur das Dativzeichen der Mehrzahl, also nicht stammhaft ist. In weit überwiegender Zahl sind auch die Ortsnamen auf ''-en'' Wem-Fall der Mehrzahl, und in älterer Zeit sind daher auch von diesen Namen die ihrer Bewohner oft nur auf die einsilbige Endung ''-er'', nicht die zweisilbige ''-ener'' gebildet worden, wie ''Bremerhaven, Bingerloch, Embder Hafen, Eisleber Aktien, Erlanger Bier, Barmer Kattune'' oder Schillers Form: ''die Antwerper'' neben heutigem ''Antwerpener'' bezeugen. Jetzt werfen bei solchen Bildungen meist nur die Namen auf ''-ingen'' und ''hausen'' ihr ''-en'' ab: ''Eßlingen'' — ''Eßlinger Bote''; ''Babenhausen'' — ''Babenhauser'', ''Frankenhausen'' — ''Frankenhäuser'' gegenüber vereinzeltem ''Fischhausener''. Überhaupt war die kürzere Bildung um so unbedenklicher, je länger der Name war, und daher wohl ''Mühlhäuser Fabrikate'', aber nicht auch ''Hauser'', sondern nur ''Hausener Kirchturm'' angängig. Heute scheidet man gewissenhaft ''Fünfkirchener, Engkirchener'' von: ''Neukircher'', das von ''Neukirch'' abgeleitet ist, und bildet auch durchaus ''Ludwigshafener, Cuxhavener'', und vollends von zweisilbigen Namen wie ''Gießen, Verden, Baden'' durchaus: ''Gießener, Verdener, Badener'' (neben älterem ''Wiesbader''//1. Vgl. O. Behaghel i. d. Zeitschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins, 1904, Nr. 1, S. 8—10.// | ||
Einige Ableitungssilben, mit denen jetzt besonders häufig Mißbrauch getrieben wird, sind ''-ung, -heit'' und ''-keit, -isch, -ig, -lich'' und die halb fremden ''-ei, -ieren, -aner'' und ''-enser''. | Einige Ableitungssilben, mit denen jetzt besonders häufig Mißbrauch getrieben wird, sind ''-ung, -heit'' und ''-keit, -isch, -ig, -lich'' und die halb fremden ''-ei, -ieren, -aner'' und ''-enser''. | ||
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Aktuelle Version vom 20. Juni 2017, 16:34 Uhr
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 8 - 8 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gegenwärtig, Alt, Sprachverlauf, Schiller - Friedrich, Literatursprache, Behaghel - Otto |
Text |
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Ganze Silben dagegen bei der Ableitung zu opfern, geht heute nicht mehr an. Freilich morgig z. B. (statt des nicht gebräuchlichen morgenig) hat infolge vierhundertjährigen Alters gleiche Berechtigung wie das bei den Klassikern herrschende morgend, das manche solche nur scheinbare Partizipialform neben sich hat. Ganz verwerflich dagegen ist nebig statt nebenstehend, da es von keinem neb gebildet sein kann, wie obig tatsächlich von ob (ob der Ens). Dagegen rechtfertigt sich die Form Zauberin, Wucherin, Erneuerin statt Zaub(e)rerin usw. durch die Rücksicht auf den Wohlklang; und allein zulässig ist die Form Einzelheit, Einzelhaus, da das n von einzeln nur das Dativzeichen der Mehrzahl, also nicht stammhaft ist. In weit überwiegender Zahl sind auch die Ortsnamen auf -en Wem-Fall der Mehrzahl, und in älterer Zeit sind daher auch von diesen Namen die ihrer Bewohner oft nur auf die einsilbige Endung -er, nicht die zweisilbige -ener gebildet worden, wie Bremerhaven, Bingerloch, Embder Hafen, Eisleber Aktien, Erlanger Bier, Barmer Kattune oder Schillers Form: die Antwerper neben heutigem Antwerpener bezeugen. Jetzt werfen bei solchen Bildungen meist nur die Namen auf -ingen und hausen ihr -en ab: Eßlingen — Eßlinger Bote; Babenhausen — Babenhauser, Frankenhausen — Frankenhäuser gegenüber vereinzeltem Fischhausener. Überhaupt war die kürzere Bildung um so unbedenklicher, je länger der Name war, und daher wohl Mühlhäuser Fabrikate, aber nicht auch Hauser, sondern nur Hausener Kirchturm angängig. Heute scheidet man gewissenhaft Fünfkirchener, Engkirchener von: Neukircher, das von Neukirch abgeleitet ist, und bildet auch durchaus Ludwigshafener, Cuxhavener, und vollends von zweisilbigen Namen wie Gießen, Verden, Baden durchaus: Gießener, Verdener, Badener (neben älterem Wiesbader//1. Vgl. O. Behaghel i. d. Zeitschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins, 1904, Nr. 1, S. 8—10.// Einige Ableitungssilben, mit denen jetzt besonders häufig Mißbrauch getrieben wird, sind -ung, -heit und -keit, -isch, -ig, -lich und die halb fremden -ei, -ieren, -aner und -enser. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | alt, Behaghel - Otto, gegenwärtig, gegenwärtig, alt, Literatursprache, Schiller - Friedrich, Sprachverlauf |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |