Wustmann(1903) derjenige diejenige dasjenige: Unterschied zwischen den Versionen

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|KapitelText=Noch in anderm Sinne als derselbe ist das schöne Kanzleiwort derjenige ein Papierpronomen: es ist eigens für die Papiersprache erfunden worden. Der- jenige ist im sechzehnten Jahrhundert aus einem vorher- gegangnen der jene entstanden, wie derselbige, das jetzt zum Glück wieder verschwunden ist, aus der selbe. Es hat keinen andern Zweck und keine andre Aufgabe, als das betonte, lange der der lebendigen Sprache, das determinative Fürwort, das vor Relativsätzen und vor abhängigen Genitiven steht, auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die Länge kann man ja weder schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht üblich, der oder der zu schreiben//* Es ist auch nich nötig; spricht und betont doch jeder richtig der- artig, dermaßen, dergestalt usw.//; also hilft man sich, so gut man kann. Der eine läßt das der sperren (wie auch ein, wenn es so viel heißen soll wie ein einziger), ein andrer greift zu jener, wie es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber schreibt und druckt man derjenige. Wenn man spricht, sagt man zwar: als er endlich den Weg ein- schlug, der zum Ziele führen mußte; aber drucken läßt $Seite 232$ man: als er endlich denjenigen Weg einschlug, welcher zum Ziele führen mußte.
|KapitelText=Noch in anderm Sinne als ''derselbe'' ist das schöne Kanzleiwort ''derjenige'' ein Papierpronomen: es ist eigens für die Papiersprache erfunden worden. ''Derjenige'' ist im sechzehnten Jahrhundert aus einem vorhergegangnen ''der jene'' entstanden, wie ''derselbige'', das jetzt zum Glück wieder verschwunden ist, aus ''der selbe''. Es hat keinen andern Zweck und keine andre Aufgabe, als das betonte, lange der der lebendigen Sprache, das determinative Fürwort, das vor Relativsätzen und vor abhängigen Genitiven steht, auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die Länge kann man ja weder schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht üblich, ''der oder der zu schreiben//* Es ist auch nich nötig; spricht und betont doch jeder richtig ''derartig, dermaßen, dergestalt'' usw.//; also hilft man sich, so gut man kann. Der eine läßt das ''der'' sperren (wie auch ''ein'', wenn es so viel heißen soll wie ''ein einziger''), ein andrer greift zu ''jener'', wie es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber schreibt und druckt man ''derjenige''. Wenn man spricht, sagt man zwar: ''als er endlich den Weg einschlug, der zum Ziele führen mußte''; aber drucken läßt $Seite 232$ man: ''als er endlich denjenigen Weg einschlug, welcher zum Ziele führen mußte''.
Wenn aber nun derjenige allein steht, ohne Haupt- wort hinter sich, z. B.: selbst diejenigen, welche die Schaffung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten — kein Scharfsinn hätte eine bessere Lösung finden können, als diejenige, welche die Ver- hältnisse zuletzt aufzwangen — die größten Menschen sind diejenigen, welche die Kultur einer eben dahin- sinkenden Epoche noch einmal zusammenfassend ver-
 
körpern — da ist es doch wohl ganz unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost: selbst
Wenn aber nun ''derjenige'' allein steht, ohne Hauptwort hinter sich, z. B.: ''selbst diejenigen, welche die Schaffung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten — kein Scharfsinn hätte eine bessere Lösung finden können, als diejenige, welche die Verhältnisse zuletzt aufzwangen — die größten Menschen sind diejenigen, welche die Kultur einer eben dahinsinkenden Epoche noch einmal zusammenfassend verkörpern'' — da ist es doch wohl ganz unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost: ''selbst die, die die Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz ablehnten — eine bessere Lösung, als die, die die Verhältnisse zuletzt aufzwangen''. Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des Papiermenschen: nicht zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe Wort! — Wirklich? dasselbe Wort? Dreimal hintereinander dieselben drei Buchstaben: ''d—i—e'': aber wer seine Ohren aufmacht, der hört doch drei verschiedne Wörter: ''dieh, die di'' — drei Wörter von ganz verschiedner Länge, und hinter dem ersten eine Pause. Das ist ja wie Musik, es hüpft und springt ja förmlich. Nun höre man dagegen dieses Schleppen und Schleichen und Schlurfen: ''diejenigen, welche die''!//* Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in Leipzig sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der gehobensten und feierlichsten Sprache: ''selbst die, die die wissenschaftliche Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten'' usw. Ich bin fest überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei ''die'' gehört hat, obwohl Hunderte von Menschen in der Kirche waren. Mir waren sie ein Labsal, weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind, weiß ich nicht.//
die, die die Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz ablehnten — eine bessere Lösung, als die, die die Ver- hältnisse zuletzt aufzwangen. Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des Papiermenschen: nicht zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe Wort! — Wirklich? das- selbe Wort? Dreimal hintereinander dieselben drei Buch- staben: d—i—e: aber wer seine Ohren aufmacht, der hört doch drei verschiedne Wörter: dieh, die di — drei Wörter von ganz verschiedner Länge, und hinter dem ersten eine Pause. Das ist ja wie Musik, es hüpft und springt ja förmlich. Nun höre man dagegen dieses Schleppen und Schleichen und Schlurfen: diejenigen, welche die!//* Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in Leipzig sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der gehobensten und feierlichsten Sprache: selbst die, die die wissenschaftliche Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten usw. Ich bin fest überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei die gehört hat, obwohl Hunderte von Menschen in der Kirche waren. Mir waren sie ein Labsal, weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind, weiß ich nicht.//
 
Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tau- send und aber tausend Fällen statt derjenige, welcher einfach wer gesagt wird — also drei Laute statt sechs Silben! —, das ist dem Papiermenschen völlig unbekannt. Er schreibt: diejenigen, welche die Absicht haben, Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter ein- schreiben. Ja er wäre imstande, das Sprichwort: wer Pech angreift, besudelt sich — oder den Kinderspruch: $Seite 233$ wer meine Gans gestohlen hat, der ist ein Dieb — oder den Goethischen Vers: nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide — zu verwandeln in: derjenige, welcher Pech angreift — derjenige, welcher meine Gans gestohlen hat - nur derjenige, welcher die Sehnsucht kennt usw.
Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tausend und aber tausend Fällen statt ''derjenige, welcher'' einfach ''wer'' gesagt wird — also drei Laute statt sechs Silben! —, das ist dem Papiermenschen völlig unbekannt. Er schreibt: ''diejenigen, welche die Absicht haben, Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter einschreiben''. Ja er wäre imstande, das Sprichwort: ''wer Pech angreift, besudelt sich'' — oder den Kinderspruch: $Seite 233$ ''wer meine Gans gestohlen hat, der ist ein Dieb'' — oder den Goethischen Vers: ''nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide'' — zu verwandeln in: ''derjenige, welcher Pech angreift — derjenige, welcher meine Gans gestohlen hat - nur derjenige, welcher die Sehnsucht kennt'' usw.
Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Er- scheinung der Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist, was gewiß selten geschieht. Akten- menschen und Gewohnheitsredner bringen es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde dreißig- mal derjenige, welcher zu sagen. Selbst in der Unterhaltung der „Gebildeten" kann mans hören; sie haben es eben gar zu oft in ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es nicht: wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam mit Gänsefüßchen. Also du bist derjenige, welcher? fragt er höhnisch — na warte, Bursche! Oder er sagt: fällt mir gar nicht ein; wenn ein Unglück passiert, dann bin ich derjenige, welcher (nämlich: blechen muß), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder die Polizeiverordnungen, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite gelesen hat.
 
Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Erscheinung der Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist, was gewiß selten geschieht. Aktenmenschen und Gewohnheitsredner bringen es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde dreißigmal ''derjenige, welcher'' zu sagen. Selbst in der Unterhaltung der „Gebildeten" kann mans hören; sie haben es eben gar zu oft in ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es nicht: wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam mit Gänsefüßchen. ''Also du bist derjenige, welcher''? fragt er höhnisch — na warte, Bursche! Oder er sagt: ''fällt mir gar nicht ein; wenn ein Unglück passiert, dann bin ich derjenige, welcher'' (nämlich: ''blechen muß''), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder die Polizeiverordnungen, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite gelesen hat.
|Buch=Wustmann(1903)
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Version vom 28. Oktober 2016, 15:33 Uhr

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 231 - 233

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Noch in anderm Sinne als derselbe ist das schöne Kanzleiwort derjenige ein Papierpronomen: es ist eigens für die Papiersprache erfunden worden. Derjenige ist im sechzehnten Jahrhundert aus einem vorhergegangnen der jene entstanden, wie derselbige, das jetzt zum Glück wieder verschwunden ist, aus der selbe. Es hat keinen andern Zweck und keine andre Aufgabe, als das betonte, lange der der lebendigen Sprache, das determinative Fürwort, das vor Relativsätzen und vor abhängigen Genitiven steht, auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die Länge kann man ja weder schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht üblich, der oder der zu schreiben//* Es ist auch nich nötig; spricht und betont doch jeder richtig derartig, dermaßen, dergestalt usw.//; also hilft man sich, so gut man kann. Der eine läßt das der sperren (wie auch ein, wenn es so viel heißen soll wie ein einziger), ein andrer greift zu jener, wie es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber schreibt und druckt man derjenige. Wenn man spricht, sagt man zwar: als er endlich den Weg einschlug, der zum Ziele führen mußte; aber drucken läßt $Seite 232$ man: als er endlich denjenigen Weg einschlug, welcher zum Ziele führen mußte.

Wenn aber nun derjenige allein steht, ohne Hauptwort hinter sich, z. B.: selbst diejenigen, welche die Schaffung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten — kein Scharfsinn hätte eine bessere Lösung finden können, als diejenige, welche die Verhältnisse zuletzt aufzwangen — die größten Menschen sind diejenigen, welche die Kultur einer eben dahinsinkenden Epoche noch einmal zusammenfassend verkörpern — da ist es doch wohl ganz unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost: selbst die, die die Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz ablehnten — eine bessere Lösung, als die, die die Verhältnisse zuletzt aufzwangen. Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des Papiermenschen: nicht zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe Wort! — Wirklich? dasselbe Wort? Dreimal hintereinander dieselben drei Buchstaben: d—i—e: aber wer seine Ohren aufmacht, der hört doch drei verschiedne Wörter: dieh, die di — drei Wörter von ganz verschiedner Länge, und hinter dem ersten eine Pause. Das ist ja wie Musik, es hüpft und springt ja förmlich. Nun höre man dagegen dieses Schleppen und Schleichen und Schlurfen: diejenigen, welche die!//* Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in Leipzig sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der gehobensten und feierlichsten Sprache: selbst die, die die wissenschaftliche Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten usw. Ich bin fest überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei die gehört hat, obwohl Hunderte von Menschen in der Kirche waren. Mir waren sie ein Labsal, weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind, weiß ich nicht.//

Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tausend und aber tausend Fällen statt derjenige, welcher einfach wer gesagt wird — also drei Laute statt sechs Silben! —, das ist dem Papiermenschen völlig unbekannt. Er schreibt: diejenigen, welche die Absicht haben, Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter einschreiben. Ja er wäre imstande, das Sprichwort: wer Pech angreift, besudelt sich — oder den Kinderspruch: $Seite 233$ wer meine Gans gestohlen hat, der ist ein Dieb — oder den Goethischen Vers: nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide — zu verwandeln in: derjenige, welcher Pech angreift — derjenige, welcher meine Gans gestohlen hat - nur derjenige, welcher die Sehnsucht kennt usw.

Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Erscheinung der Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist, was gewiß selten geschieht. Aktenmenschen und Gewohnheitsredner bringen es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde dreißigmal derjenige, welcher zu sagen. Selbst in der Unterhaltung der „Gebildeten" kann mans hören; sie haben es eben gar zu oft in ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es nicht: wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam mit Gänsefüßchen. Also du bist derjenige, welcher? fragt er höhnisch — na warte, Bursche! Oder er sagt: fällt mir gar nicht ein; wenn ein Unglück passiert, dann bin ich derjenige, welcher (nämlich: blechen muß), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder die Polizeiverordnungen, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite gelesen hat.

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Wustmann(1903) 231-233.pdf