Engel(1922) Wortschatz und Wortform: Unterschied zwischen den Versionen
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|KapitelText=Gutes Deutsch mit undeutschem Wortschatz ist ein innerer Widerspruch, ein Unding, eine Unmöglichkeit. Wo ein Schreiber die einfachsten Begriffe nicht mit den Mitteln seiner Muttersprache bezeichnen kann oder will, sondern entstellte, verderbte, fremdsprachige Brocken einmischt, und zwar nicht vereinzelt, sondern gehäuft, regelmäßig, bis zu einem Welschwort oder mehr auf die Druckzeile, da haben wir's vielleicht mit schönem Welsch, aber nicht mit gutem Deutsch zu tun. Wer da schreibt: ''Ich bemerkte, daß ich zu sehr auf die momentan metrischen Dissonanzen der sentimentellen Affekte geachtet und so die lyrischperpetuelle Rhythmik der sentimentellen Motive überhört hatte'', der schreibt schlechtes Deutsch, und die Zeit ist nahe, wo es heißen wird: der schreibt überhaupt nicht Deutsch, schreibt in keiner Menschensprache. | |KapitelText=Gutes Deutsch mit undeutschem Wortschatz ist ein innerer Widerspruch, ein Unding, eine Unmöglichkeit. Wo ein Schreiber die einfachsten Begriffe nicht mit den Mitteln seiner Muttersprache bezeichnen kann oder will, sondern entstellte, verderbte, fremdsprachige Brocken einmischt, und zwar nicht vereinzelt, sondern gehäuft, regelmäßig, bis zu einem Welschwort oder mehr auf die Druckzeile, da haben wir's vielleicht mit schönem Welsch, aber nicht mit gutem Deutsch zu tun. Wer da schreibt: ''Ich bemerkte, daß ich zu sehr auf die momentan metrischen Dissonanzen der sentimentellen Affekte geachtet und so die lyrischperpetuelle Rhythmik der sentimentellen Motive überhört hatte'', der schreibt schlechtes Deutsch, und die Zeit ist nahe, wo es heißen wird: der schreibt überhaupt nicht Deutsch, schreibt in keiner Menschensprache. | ||
Über die Sprachwidrigkeit, Geschmacklosigkeit, Albernheit, Unwürdigkeit, daß ein Deutscher durchaus nicht Deutsch schreiben will, habe ich alles Nötige in meinen Büchern Deutsche Stilkunst, Sprich Deutsch!, Entwelschung gesagt; ich beziehe mich darauf, wiederhole es nicht. Nur füge ich noch ein tiefes Wort Schopenhauers hinzu: ,Nachahmung fremder Eigenschaften und Eigentümlichkeiten ist viel schimpflicher als das Tragen fremder Kleider; denn es ist das Urteil der eignen Wertlosigkeit von sich selbst ausgesprochen'. Allerdings versteckt der Welscher dieses Werturteil immer hinter dem Gedanken oder gar dem Satz: ,Die deutsche Sprache hat kein Wort dafür'; aber der einsichtige Lefer ist nicht mehr so leicht wie ehedem darüber zu täuschen: Dieser Schreiber ist so unwissend und unfähig, daß er kein deutsches Wort dafür kennt. Für sich allein, etwa in einem Tagebuch, mag jeder Deutsche, der sich dessen nicht schämt, schreiben wie er will, und wer's vor seinem Ehrgefühl verantworten kann, mag da welschen. Wer aber zu Deutschen spricht, hat Deutsch zu schreiben, ohne $Seite 52$ Widerrede Deutsch, und wär's nur darum, weil er mit keiner andern Sprache ganz sicher ist von jedem Deutschen genau verstanden zu werden. Dessen aber sollte jeder sich bewußt werden: alles Streben nach gutem Deutsch ist für den Fremdwörtler ein Wasserschöpfen ins hohle Sieb, ein Spannen der Pferde vor und zugleich hinter den Wagen. Sprachgefühl läßt sich nur pflegen und schärfen durch strenges Abweisen jeder störenden Trübung; feine Wortwahl nur üben durch Suchen und Sichten und Wägen aus einem Wortschatz des Echten und Saubern, nicht durch tapsiges Zugreifen unterm Gerümpel und Müll fremder Sprachen. | Über die Sprachwidrigkeit, Geschmacklosigkeit, Albernheit, Unwürdigkeit, daß ein Deutscher durchaus nicht Deutsch schreiben will, habe ich alles Nötige in meinen Büchern Deutsche Stilkunst, Sprich Deutsch!, Entwelschung gesagt; ich beziehe mich darauf, wiederhole es nicht. Nur füge ich noch ein tiefes Wort Schopenhauers hinzu: ,Nachahmung fremder Eigenschaften und Eigentümlichkeiten ist viel schimpflicher als das Tragen fremder Kleider; denn es ist das Urteil der eignen Wertlosigkeit von sich selbst ausgesprochen'. Allerdings versteckt der Welscher dieses Werturteil immer hinter dem Gedanken oder gar dem Satz: ,Die deutsche Sprache hat kein Wort dafür'; aber der einsichtige Lefer ist nicht mehr so leicht wie ehedem darüber zu täuschen: Dieser Schreiber ist so unwissend und unfähig, daß er kein deutsches Wort dafür kennt. | ||
Für sich allein, etwa in einem Tagebuch, mag jeder Deutsche, der sich dessen nicht schämt, schreiben wie er will, und wer's vor seinem Ehrgefühl verantworten kann, mag da welschen. Wer aber zu Deutschen spricht, hat Deutsch zu schreiben, ohne $Seite 52$ Widerrede Deutsch, und wär's nur darum, weil er mit keiner andern Sprache ganz sicher ist von jedem Deutschen genau verstanden zu werden. Dessen aber sollte jeder sich bewußt werden: alles Streben nach gutem Deutsch ist für den Fremdwörtler ein Wasserschöpfen ins hohle Sieb, ein Spannen der Pferde vor und zugleich hinter den Wagen. Sprachgefühl läßt sich nur pflegen und schärfen durch strenges Abweisen jeder störenden Trübung; feine Wortwahl nur üben durch Suchen und Sichten und Wägen aus einem Wortschatz des Echten und Saubern, nicht durch tapsiges Zugreifen unterm Gerümpel und Müll fremder Sprachen. | |||
Dem nach gutem Deutsch strebenden Schreiber mit dem festen Willen zum Deutschen brauche ich hier kaum zu sagen, was ich schon sonst ausgesprochen habe: Die Volks- und Sprachgeschichte Deutschlands entschuldigt eine gewisse Anzahl fremder Wörter, die durch vieljährige Duldung oder gar durch die adelnde Dichtung Gastbürgerrecht inmitten der deutschen Rede gewonnen haben. In meinem ,Sprich Deutsch!' (auf Seite 237—246) steht, was über diesen geringen zulässigen Fremdeinschlag unsrer Sprache zu sagen ist; in meiner ,Entwelschung' stehen die mit ''L'' und ''Hl'' gekennzeichneten ''Lehn-'' und ''Halblehnwörter'' neuerer Zeit, deren gelegentlicher, spärlicher Gebrauch selbst in gutem Deutsch gestattet ist. Doch sei dem Leser der wohlüberlegte, aus eigner Erfahrung geschöpfte Rat gegeben: Lieber zu streng als zu läßlich gegenüber jedem nicht deutschgewordenen Wort! Nicht aus schrullenhafter Peinlichkeit, sondern weil es keine fruchtbarere Selbstzucht gibt, als sich zur Beschränkung auf den schrankenlos reichen deutschen Wortschatz zu zwingen: was man an oberflächlicher Bequemlichkeit dadurch geopfert, wird doppelt und vielfach belohnt durch immer sichrere Herrschaft über Fülle und Feinheiten des körnigen deutschen Ausdrucks. Der bloße Wille, reines Deutsch zu schreiben, kommt einem meisterlichen Unterricht im Ausdruck und Stile gleich. Man scheue sich nicht vor dem lächerlichen Vorwurf, ein ,Purist' zu sein, denn der bedeutet in Wahrheit nur: Dieser Deutsche schreibt Deutsch. Wohl aber erwäge man den Vorteil reiner Sprache vom Standpunkt greifbarer Nützlichkeit: es gibt heute, dank den Bestrebungen zu reinem Deutsch, schon sehr viele gebildete Behörden, Kaufleute, Zeitungsleser, Arbeitgeber aller Art, die einen unbekannten Brief- und Zeitungschreiber oder Bittsteller, der sich $Seite 53$ in überflüssigen Fremdwörtern ergeht, für einen ungebildeten Gecken halten. Niemals aber wird ein vernünftiges Schreiben in reinem Deutsch auf den Leser anders wirken denn als der ehrliche Ausdruck eines ehrlichen Gedankens, und jeder Nutzen, den man sich von gutem Deutsch verspricht, wird gesteigert zuteil dem reinen guten Deutsch. | Dem nach gutem Deutsch strebenden Schreiber mit dem festen Willen zum Deutschen brauche ich hier kaum zu sagen, was ich schon sonst ausgesprochen habe: Die Volks- und Sprachgeschichte Deutschlands entschuldigt eine gewisse Anzahl fremder Wörter, die durch vieljährige Duldung oder gar durch die adelnde Dichtung Gastbürgerrecht inmitten der deutschen Rede gewonnen haben. In meinem ,Sprich Deutsch!' (auf Seite 237—246) steht, was über diesen geringen zulässigen Fremdeinschlag unsrer Sprache zu sagen ist; in meiner ,Entwelschung' stehen die mit ''L'' und ''Hl'' gekennzeichneten ''Lehn-'' und ''Halblehnwörter'' neuerer Zeit, deren gelegentlicher, spärlicher Gebrauch selbst in gutem Deutsch gestattet ist. Doch sei dem Leser der wohlüberlegte, aus eigner Erfahrung geschöpfte Rat gegeben: Lieber zu streng als zu läßlich gegenüber jedem nicht deutschgewordenen Wort! Nicht aus schrullenhafter Peinlichkeit, sondern weil es keine fruchtbarere Selbstzucht gibt, als sich zur Beschränkung auf den schrankenlos reichen deutschen Wortschatz zu zwingen: was man an oberflächlicher Bequemlichkeit dadurch geopfert, wird doppelt und vielfach belohnt durch immer sichrere Herrschaft über Fülle und Feinheiten des körnigen deutschen Ausdrucks. Der bloße Wille, reines Deutsch zu schreiben, kommt einem meisterlichen Unterricht im Ausdruck und Stile gleich. Man scheue sich nicht vor dem lächerlichen Vorwurf, ein ,Purist' zu sein, denn der bedeutet in Wahrheit nur: Dieser Deutsche schreibt Deutsch. Wohl aber erwäge man den Vorteil reiner Sprache vom Standpunkt greifbarer Nützlichkeit: es gibt heute, dank den Bestrebungen zu reinem Deutsch, schon sehr viele gebildete Behörden, Kaufleute, Zeitungsleser, Arbeitgeber aller Art, die einen unbekannten Brief- und Zeitungschreiber oder Bittsteller, der sich $Seite 53$ in überflüssigen Fremdwörtern ergeht, für einen ungebildeten Gecken halten. Niemals aber wird ein vernünftiges Schreiben in reinem Deutsch auf den Leser anders wirken denn als der ehrliche Ausdruck eines ehrlichen Gedankens, und jeder Nutzen, den man sich von gutem Deutsch verspricht, wird gesteigert zuteil dem reinen guten Deutsch. |
Aktuelle Version vom 13. September 2017, 12:04 Uhr
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 51 - 53 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Gutes Deutsch mit undeutschem Wortschatz ist ein innerer Widerspruch, ein Unding, eine Unmöglichkeit. Wo ein Schreiber die einfachsten Begriffe nicht mit den Mitteln seiner Muttersprache bezeichnen kann oder will, sondern entstellte, verderbte, fremdsprachige Brocken einmischt, und zwar nicht vereinzelt, sondern gehäuft, regelmäßig, bis zu einem Welschwort oder mehr auf die Druckzeile, da haben wir's vielleicht mit schönem Welsch, aber nicht mit gutem Deutsch zu tun. Wer da schreibt: Ich bemerkte, daß ich zu sehr auf die momentan metrischen Dissonanzen der sentimentellen Affekte geachtet und so die lyrischperpetuelle Rhythmik der sentimentellen Motive überhört hatte, der schreibt schlechtes Deutsch, und die Zeit ist nahe, wo es heißen wird: der schreibt überhaupt nicht Deutsch, schreibt in keiner Menschensprache. Über die Sprachwidrigkeit, Geschmacklosigkeit, Albernheit, Unwürdigkeit, daß ein Deutscher durchaus nicht Deutsch schreiben will, habe ich alles Nötige in meinen Büchern Deutsche Stilkunst, Sprich Deutsch!, Entwelschung gesagt; ich beziehe mich darauf, wiederhole es nicht. Nur füge ich noch ein tiefes Wort Schopenhauers hinzu: ,Nachahmung fremder Eigenschaften und Eigentümlichkeiten ist viel schimpflicher als das Tragen fremder Kleider; denn es ist das Urteil der eignen Wertlosigkeit von sich selbst ausgesprochen'. Allerdings versteckt der Welscher dieses Werturteil immer hinter dem Gedanken oder gar dem Satz: ,Die deutsche Sprache hat kein Wort dafür'; aber der einsichtige Lefer ist nicht mehr so leicht wie ehedem darüber zu täuschen: Dieser Schreiber ist so unwissend und unfähig, daß er kein deutsches Wort dafür kennt. Für sich allein, etwa in einem Tagebuch, mag jeder Deutsche, der sich dessen nicht schämt, schreiben wie er will, und wer's vor seinem Ehrgefühl verantworten kann, mag da welschen. Wer aber zu Deutschen spricht, hat Deutsch zu schreiben, ohne $Seite 52$ Widerrede Deutsch, und wär's nur darum, weil er mit keiner andern Sprache ganz sicher ist von jedem Deutschen genau verstanden zu werden. Dessen aber sollte jeder sich bewußt werden: alles Streben nach gutem Deutsch ist für den Fremdwörtler ein Wasserschöpfen ins hohle Sieb, ein Spannen der Pferde vor und zugleich hinter den Wagen. Sprachgefühl läßt sich nur pflegen und schärfen durch strenges Abweisen jeder störenden Trübung; feine Wortwahl nur üben durch Suchen und Sichten und Wägen aus einem Wortschatz des Echten und Saubern, nicht durch tapsiges Zugreifen unterm Gerümpel und Müll fremder Sprachen. Dem nach gutem Deutsch strebenden Schreiber mit dem festen Willen zum Deutschen brauche ich hier kaum zu sagen, was ich schon sonst ausgesprochen habe: Die Volks- und Sprachgeschichte Deutschlands entschuldigt eine gewisse Anzahl fremder Wörter, die durch vieljährige Duldung oder gar durch die adelnde Dichtung Gastbürgerrecht inmitten der deutschen Rede gewonnen haben. In meinem ,Sprich Deutsch!' (auf Seite 237—246) steht, was über diesen geringen zulässigen Fremdeinschlag unsrer Sprache zu sagen ist; in meiner ,Entwelschung' stehen die mit L und Hl gekennzeichneten Lehn- und Halblehnwörter neuerer Zeit, deren gelegentlicher, spärlicher Gebrauch selbst in gutem Deutsch gestattet ist. Doch sei dem Leser der wohlüberlegte, aus eigner Erfahrung geschöpfte Rat gegeben: Lieber zu streng als zu läßlich gegenüber jedem nicht deutschgewordenen Wort! Nicht aus schrullenhafter Peinlichkeit, sondern weil es keine fruchtbarere Selbstzucht gibt, als sich zur Beschränkung auf den schrankenlos reichen deutschen Wortschatz zu zwingen: was man an oberflächlicher Bequemlichkeit dadurch geopfert, wird doppelt und vielfach belohnt durch immer sichrere Herrschaft über Fülle und Feinheiten des körnigen deutschen Ausdrucks. Der bloße Wille, reines Deutsch zu schreiben, kommt einem meisterlichen Unterricht im Ausdruck und Stile gleich. Man scheue sich nicht vor dem lächerlichen Vorwurf, ein ,Purist' zu sein, denn der bedeutet in Wahrheit nur: Dieser Deutsche schreibt Deutsch. Wohl aber erwäge man den Vorteil reiner Sprache vom Standpunkt greifbarer Nützlichkeit: es gibt heute, dank den Bestrebungen zu reinem Deutsch, schon sehr viele gebildete Behörden, Kaufleute, Zeitungsleser, Arbeitgeber aller Art, die einen unbekannten Brief- und Zeitungschreiber oder Bittsteller, der sich $Seite 53$ in überflüssigen Fremdwörtern ergeht, für einen ungebildeten Gecken halten. Niemals aber wird ein vernünftiges Schreiben in reinem Deutsch auf den Leser anders wirken denn als der ehrliche Ausdruck eines ehrlichen Gedankens, und jeder Nutzen, den man sich von gutem Deutsch verspricht, wird gesteigert zuteil dem reinen guten Deutsch. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, Schopenhauer - Arthur, Sprachverlauf, Behördensprache, Geschäftssprache, Zeitungssprache, Ungebildete |
Bewertung |
entstellte, verderbte, fremdsprachige Brocken, schlechtes Deutsch, Sprachwidrigkeit, Geschmacklosigkeit, Albernheit, Unwürdigkeit, unwissend und unfähig, ungebildeter Geck |
Intertextueller Bezug | Engel: Deutsche Stilkunst, Engel: Sprich Deutsch!, S. 237 - 246, Engel: Entwelschung |