Engel(1922) Das Beiwort 3: Unterschied zwischen den Versionen
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|KapitelText=Wie weit man mit der Anwendung des Beiwortes zum Aus-druck von Eigenschaften gehen darf, die sich in Tätigkeiten kundtun, ist eine Frage des schriftstellerischen Geschmackes. Der Alltagschreiber sei darin eher zu vorsichtig als zu kühn. Sobald er zu zweifeln beginnt, lasse er die Hand davon. Dem Berufschriftsteller sind keine Vorschriften zu machen; er handelt auf eigne Gefahr, aus der er je nachdem als neuschöpferischer Sieger hervorgeht, oder ausgelacht wired. Was ist nicht alle gewagt worden und verunglückt! Lächelnde Hände, tränenvoll Bewegungen, schluchzende Verbeugungen. Lessing hat gewagt: ,ein hoher Springer', unb so viel Gescheites auch die Gescheit-heit dagegen einzuwenden hat, wir haben das Gefühl: dies und ähnliches muß erlaubt sein, wenn man der Sprache und den selbständigen Schreibern nicht jeden stolzbewußten (?) Flügelschlag lähmen will. Nicht der Springer als Menschen-körper ist hoch, sondern sein Sprung: das wissen wir — so gut wie Lessing selbst es gewußt hat —, und dennoch ge-fallen uns Bild und Ausdruck. Lessing stellt dem hohen Springer den ebenen Tänzer gegenüber, und da wir einmal $Seite 128$ im Bilde sind, lassen wir auch den zu. Es kann nur zur dichterischen Belebung der nüchternen Prosa dienen, wenn das Beiwort so flüssig bleibt, daß es ins Zeitwort hineinschillert, und bei aller Berechtigung fester Sprachzucht darf die Frei-heit des guten Schriftstellers nicht über Gebühr beengt wer-den. Kritteleien der Sprachvernünftler an Ausdrücken wie: ein scharfer Denker, ein feiner Beurteiler sind lächerlich und schäd-lich zugleich, um so schädlicher, aus je berufnerem Munde (ist dies erlaubt?) sie kommen, denn sie wirken lähmend. Oder Sie wirken noch schlimmer: sie machen die ganze Schreiber-welt jeder vernünftigen Unterweisung abgeneigt. Ohne die weit über alles Maß hinausschweifende Sprachschulmeisterei müßten wir heute, nach einem vollen Jahrhundert eifriger deutscher Sprachforschung und -belehrung, schon viel weiter sein im guten Deutsch. | |||
Deutsche Sprachforschung — ist das erlaubt? Gemeint ist doch nicht die Forschung von Deutschen, sondern im Deutschen. Das habe ich mir beim Schreiben auch gesagt, habe aber diesen knappen Ausdruck vorgezogen der breiten Erforschung der deutschen Sprache, weil ich die Gemeinschaft des richtigen Verständnisses zwischen mir und dem Leser fühlte. Auf diese stete ergänzende, berichtigende Mitarbeit des Lesers unmittel-bar beim ersten Lesen wird von den meisten Sprachmeistern gar kein Gewicht gelegt; darum sei bei jeder schicklichen Ge-legenheit nachdrücklich auf sie hingewiesen, selbst auf die Ge-fahr des Abschweifens. | |||
,Gelehrte Laufbahn, philosophische Doktorwürde, die äußeren und inneren Kranken (vgl. S. 22), die herbstlichen Truppen-übungen, eine herrschaftliche Köchin, ein klassischer Philologe, ein neuer (statt neusprachlicher oder Neu-) Philologe, Griechische Frühlingstage, ein semitischer Philologe (für die semitischen Sprachen), Liebigs Chemische Briefe, Römische Schlendertage von Allmers' — dem Leser darf überlassen werden, was er für erlaubtes und gutes, was dagegen für schlechtes Deutsch halten soll. Das geübte und gesunde Sprachgefühl eines Deutschen wird kaum je in die Irre gehen, es sei denn, daß er zu den Berufskrittlern gehört. | |||
Die Forderung eines von dieser Gattung, man müsse überall da, wo ein zusammengesetztes Hauptwort besteht, den Gebrauch eines Beiworts und Hauptworts vermeiden, weil der aufge-löste Ausdruck ,beängstigend' und das Beiwort ,abgeschmackt' $Seite 129$ sei, muß zurückgewiesen werden. Weil es Schöpferkraft gibt, ist schöpferische Kraft nicht abgeschmackt, und man darf in ebenso gutem Deutsch von einem musikalischen oder künstlerischen Genuß sprechen wie von einem Musik- oder Kunstgenuß. Wohin sollte es führen, wenn Ausdrücke wie kriegerische Ereignisse, junkerliches Regiment, körperliche Be-wegung, winterliche Landschaft, regnerische Tage, gärtnerische Anlagen, elterliches Haus nicht mehr geschrieben werden dürften, sondern auf Geheiß eines Zuchtmeisters einzig die Hauptwortgebilde? Die Sprache unterscheidet sehr fein und sehr notwendig zwischen beiwörtlichen und hauptwörtlichen Bildungen: kriegerische Ereignisse und Kriegsereignisse, junker-liches Regiment und Junkerregiment, körperliche Bewegungen und Körperbewegungen, erziehliche Wirkungen und Erziehungs-wirkungen usw. sind keineswegs gleichzusetzen. Z. B. kann ein junkerliches Regiment auch geführt werden von Nicht-junkern, dagegen ein Junkerregiment nur von geborenen Junkern, und so fort. Man denke nur an den Unterschied zwischen Beiwort- und Hauptwortform bei Schillersche Ge-dichte und Schillers Gedichte: das erste wäre als Buch-titel unmöglich. | |||
Lange Gattin statt langjährige Gattin (vgl. S. 120) ist Unsinn; wie aber steht es mit einem kurzen Prediger? Im Reichstag wird ständig zwischen langen und kurzen Red-nern unterschieden, und man fragt sich, wie dies anders und doch ebenso kurz und gut ausgedrückt werden könnte. | |||
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Selbst Doppelsinnigkeiten sind im einzelnen Falle (oder muß ich durchaus sagen: Einzelfalle?) nicht so gefährlich, wie man zuerst meinen möchte. Wir sprechen ja nicht in ein-zelnen Wörtern (oder Einzelwörtern?), sondern in zusammen-hängenden sinnvollen Sätzen, und der Zusammenhang schiebt zurecht, erläutert und berichtigt, wo die Sprache einmal hat bequem sein wollen. Was weiblicher Unterricht allein-stehend bedeutet, ist mit Sicherheit nicht zu sagen; der Satz: ,Der weibliche Unterricht bedarf des Griechischen nicht' ist unmißverständlich, gleichwie der Satz: ,Der weibliche Unter-richt in Knabenschulen ist nicht zu empfehlen' keinem Miß-verständnis ausgesetzt ist. ,Der kränkliche Eindruck' ist nicht falsch, ,der konservative Antrag' ist richtig, ,das lebensläng-liche Zuchthaus' ist kein Unsinn — all dergleichen wird von jedem unbefangenen Hörer und Leser sofort richtig und nur $Seite 130$ auf eine Art verstanden. Ja selbst eine so kühne Über-tragung von einer Person auf die andre: ,Er machte mir einen gehässigen Eindruck' (den Eindruck eines Gehässigen) ist für die Redesprache noch zulässig, mag man sie auch in der hohen Schriftsprache nicht wagen. | |||
Bemängelt wurden oder werden Beiwörter auf . . er statt auf . . isch, also nicht Berliner Zeitung, sondern nur berlinische . .; nicht Holländer Austern, sondern nur holländische; nicht Kölner Wasser, sondern einzig Köl-nisches ..; nicht Schweizer Schulen, sondern ausschließ-lich schweizerische . . Wie aber, wenn man in Köln selbst fast nur Kölner Wasser sagt? Muß dann die gesprochene Sprache von Hunderttausenden sich modeln auf das Gebot eines Einzelnen, der nach angeblichen Gesetzen auf dem Papier verfügt? Und für den Schweizerkäse oder selbst Schweizer Käse muß doch selbst er eine Ausnahme oder mildernde Umstände zulassen. Sogleich aber entsteht die bange Frage, ob man fürder noch Tilsiter Käse statt tilsitischer sagen dürfe. Indessen weil es nicht unrichtig Berliner Zeitung, Kölner Wasser, Schweizer Käse heißt, ist nun auch etwa richtig: Amerikaner Äpfel, Österreicher Botschafter? Es ist lästig, immer wieder solche erlaubte und verbotene Ausdrucksformen nebeneinander zu halten; die Betrachtungsweise der herrschen-den Sprachmeisterei zwingt dazu, denn sie kennen keine andre Beweisführung als die: Wenn dies erlaubt sein soll, dann soll wohl auch jede dem allgemeinen Gebrauch widersprechende Wendung erlaubt sein? In der Einleitung steht das Nötige über den Mißbrauch der ,Analogie' (vgl. S. 23), über den Vergleich des Ungleichen und des Gleichen. | |||
Die unaufhaltsame Neigung der deutschen Volksprache und in ihrem Gefolge der Schriftsprache zur Erweiterung der Umstandswörter in Beiwörter wurde an teilweise hervorgehoben (vgl. S. 13 und 158). Mag man bei diesem Wort noch so bedenklich sein, weil es sich um eine wörter-reiche Gruppe handelt, der man nicht durchweg das Recht auf die beiwörtliche Verwendung zusprechen will, — grund-sätzlich ablehnend oder allzu streng darf man sich gegen einen solchen Sprachtrieb nicht verhalten. Man hat eidesstattlich bemängelt, weil statt ein Vorwort sei und Vorwörter nicht beiwörtlich gebraucht werden dürfen. Das trifft nicht zu, denn statt ist hier kein reines Vorwort, sondern Hauptwort: $Seite 131$ an Eides Statt, wie ja auch: ,Gutes Wort findet eine gute Statt', und das Beiwort eidesstattlich von Eidesstatt ist untadlig. | |||
Nichts ist mehr einzuwenden gegen die Beiwörter aus Um-standswörtern: ferner (fernere Gründe), weiter (weitere Folgen), sofortig, heutig, dortig, hiesig (aber nicht dasig, trotz gelegentlichem Vorkommen bei Lessing und Herder, denn es besteht keinerlei Sprachbedürfnis neben dortig), morgig (neben morgendlich von Morgen, also in andrer Bedeu-tung), demnächstig, etwaig (etwanig ist nicht falsch). Allfallsig und allenfallsig (beide schon bei Goethe), des-fallsig haben sich durchgesetzt und sind um so weniger zu bekämpfen, als man jedes deutsche Mittel zur Ausmerzung des widerlichen Wucherschwammwortes eventuell dankbar an-nehmen sollte. Ein zuwiderer Mensch ist gutes Deutsch. Gewagt wurden: gleichfallsig (von Heine), schlechthinnig (von Schleiermacher), vorhinnig, vielleichtig, sodannig — alle ohne Erfolg. Durchgedrungen sind vorherig, nach-herig, obig; aber nicht nebig (aus neben, z. B. die nebige [beiliegende] Probe). Nicht mehr zu beanstanden ist öfter (der öftere Gebrauch); dagegen ist Lessings ,ofte Wieder-holung' vereinzelt geblieben. Wenn sich eine Fachsprache ein bequemes Beiwort aus einer Vorwortwendung auf dem Wege über ein Hauptwort bildet: die nachbörslichen Kurse aus ,Nachbörse' (die nach der Börsenzeit festgestellten), so ist sie wegen dieser Bildsamkeit eher zu beglückwünschen als zu tadeln. | |||
Wie stark der Hang zur beiwörtlichen (ist dies falsch?) Be-lebung der Umstandswörter ist, zeigt sogar mehr als ein fremdes Umstandswort: aus à part ist in Frankreich kein Beiwort geworden, wohl aber in Welschdeutschland: ,ein sehr apartes Kleid' gilt sogar für ausnehmend fein, und selbst ,apartig' bekommt man zu hören (vgl. hierzu für durch und zu S. 158). Auch die volkstümliche, der Schriftsprache natür-lich versagte Ausdrucksweise: ,ein rechter böser Kerl, schöne warme Hände' gehört hierher. | |||
Schlechtes Deutsch ist zurzeit noch erhältlich; aber wer weiß, ob es sich nicht durchsetzt, denn es scheint einem starken Bedürfnis zu entsprechen. Ich empfinde keins, aber Hundert-tausende empfinden es, — soll ich Einzelner die Hundert-tausende bevormunden? Dasselbe gilt für erstklassig, das $Seite 132$ an sich nicht falsch gebildet ist, vielen unentbehrlich erscheint, aber als mißbrauchtes Modewort dem guten Geschmack ver-leidet wird. | |||
Tunlich wird von einem Zuchtmeister ganz verworfen, von einem andern nur in der Form tulich zugelassen, — wie soll man sich dazu verhalten? Wie immer: dem guten Sprachgebrauch soll man folgen, und der bedient sich des bequemen Wortes, das keineswegs dasselbe ist wie möglich. Und in der Form, die alle Welt beim Sprechen gebraucht: tunlich, soll man es schreiben wie sprechen, gleichviel was uns in irgendwelcher amtlichen Rechtschreibung anbefohlen wird, denn die Schreibung hat sich nach der gebildeten Sprache zu richten, nicht umgekehrt. | |||
Eine der ganz erfolglosen Vogelscheuchen der Gartenpolizei deutscher Sprache steht aufgerichtet gegen betreffend in jeder Anwendung, als Umstandswort wie als Beiwort. Es kommt von dem brauchbaren Zeitwort betreffen her und ist selbst gut brauchbar. ,Ein Unglück betrifft mich, hat mich betroffen' wird nicht bemängelt, mit Recht aber ,das mich betroffene Unglück' (vgl. S. 231). Ebensogut kann man natürlich sagen: ,das mich soeben betreffende Unglück', und hiervon rührt die ein-wandfreie Wendung her: ,der Betreffende' oder: ,der betreffende Vorfall', mit Auslassung von: ,uns' oder ,den Gegenstand'. Der bloße Umstanb, daß der Kanzleistil den ,Betreffenden' als Haupt- wie als Beiwort besonders liebt, kann uns noch nicht hindern, es im guten Schriftdeutsch zu gebrauchen: die Kanzlei hat ein wohlberechtigtes Bedürfnis nach solchen Aus-drücken. Also getrost: ,Der Betreffende ist nicht erschienen, Er hat den betreffenden Band des Werkes nicht mitgebracht.' Der Einwand, es sei ja nicht der Betreffende, sondern der Betroffene, ist nicht stichhaltig, denn es ist sowohl der (uns, die Sache) Betreffende wie der (von der Sache) Betroffene. Übrigens beweist das Beispiel des Bedienten, der in Wahr-heit ein Bedienender ist (S. 21), daß die Sprache die Kraft besitzt, selbst solchen Widersinn in allgemeingültigen Sinn zu verwandeln. | |||
Erst recht nichts ist zu sagen gegen bezüglich als Beiwort; es ist die beste Rettung vor dem unerträglichen respektive. Allerdings ist bezüglich als Vorwort sehr übel, denn wir haben das durchaus gleichwertige — zu Unrecht bemängelte — betreffs und dürfen auch nach guten Mustern die $Seite 133$ unabhängige Mittelform betreffend (diesen Umstand be-treffend) gebrauchen. | |||
Anders steht es mit einer sehr gefährlichen beiwörtlichen Anwendung der zweiten Mittelwortform. ,Lessing versuchte sich in den von Adolf Stahr beliebten Rettungen.' Hier tritt durch das mittelwörtliche Beiwort eine zeitliche Vorwegnahme ein, die oft zu höchst lächerlichen Wirkungen führen kann: ,Er wollte noch einmal den keinen Erfolg versprechenden, gänzlich verunglückten Versuch machen, seine Freunde umzu-stimmen.' Die tiefere Ursache solches unfreiwilligen Wider-sinns ist der deutsche Hang zur Satzstopferei: anstatt die Zeitfolge durch die Ordnung Hauptsatz — Nebensatz oder zweiter Hauptsatz auszudrücken, wird das Ergebnis vorweg-nehmend schon in den Versuch hineingestopft. ,Kleist ar-beitete damals noch an seinem von Tieck herausgegebenen Prinzen von Homburg.' Zur Zeit der Arbeit Kleists war der Prinz von Homburg noch nicht herausgegeben; aber die Schreiber solcher Sätze — es sind sehr gelehrte darunter — können ihr reiches Wissen nicht zurückhalten und es wohl-geordnet nach der Zeit- und Vernunftfolge von sich geben, sondern übersprudeln sich und uns auf einmal. Dieser Unsinn kommt auch bei gewöhnlichen Beiwörtern vor, die dem Sinne nach eine Zeitfolge besagen: erfolglos, ergebnis-los, erfolgreich, vergeblich. — Weitere Beispiele stehen auf S. 228. | |||
Zur Steigerung der Beiwörter kommt zuerst in Frage: einfacher oder umlautender Selbstlaut. Eine durchgreifende Regel gibt es nicht, wir sind nur auf den Sprachgebrauch angewiesen, und dieser ist bis auf etliche Schwankungen jetzt leidlich fest: der Umlaut herrscht vor bis auf die mehrsilbigen Beiwörter, die fast durchweg den einfachen Selbstlaut in den Steigerungsformen behalten. Gesund bildet eine Ausnahme: früher wurde zur Aufrechterhaltung der schönen, strengen Regel gesünder getadelt; heute ist gesunder verdrängt. | |||
Von den einsilbigen Beiwörtern schwanken mehre, doch wird dem Leser die Entscheidung nach dem Sprachgebrauch und dem durch ihn geleiteten Sprachgefühl in keinem Falle schwer sein. | |||
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Version vom 4. Oktober 2016, 17:53 Uhr
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 127 - 133 |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Wie weit man mit der Anwendung des Beiwortes zum Aus-druck von Eigenschaften gehen darf, die sich in Tätigkeiten kundtun, ist eine Frage des schriftstellerischen Geschmackes. Der Alltagschreiber sei darin eher zu vorsichtig als zu kühn. Sobald er zu zweifeln beginnt, lasse er die Hand davon. Dem Berufschriftsteller sind keine Vorschriften zu machen; er handelt auf eigne Gefahr, aus der er je nachdem als neuschöpferischer Sieger hervorgeht, oder ausgelacht wired. Was ist nicht alle gewagt worden und verunglückt! Lächelnde Hände, tränenvoll Bewegungen, schluchzende Verbeugungen. Lessing hat gewagt: ,ein hoher Springer', unb so viel Gescheites auch die Gescheit-heit dagegen einzuwenden hat, wir haben das Gefühl: dies und ähnliches muß erlaubt sein, wenn man der Sprache und den selbständigen Schreibern nicht jeden stolzbewußten (?) Flügelschlag lähmen will. Nicht der Springer als Menschen-körper ist hoch, sondern sein Sprung: das wissen wir — so gut wie Lessing selbst es gewußt hat —, und dennoch ge-fallen uns Bild und Ausdruck. Lessing stellt dem hohen Springer den ebenen Tänzer gegenüber, und da wir einmal $Seite 128$ im Bilde sind, lassen wir auch den zu. Es kann nur zur dichterischen Belebung der nüchternen Prosa dienen, wenn das Beiwort so flüssig bleibt, daß es ins Zeitwort hineinschillert, und bei aller Berechtigung fester Sprachzucht darf die Frei-heit des guten Schriftstellers nicht über Gebühr beengt wer-den. Kritteleien der Sprachvernünftler an Ausdrücken wie: ein scharfer Denker, ein feiner Beurteiler sind lächerlich und schäd-lich zugleich, um so schädlicher, aus je berufnerem Munde (ist dies erlaubt?) sie kommen, denn sie wirken lähmend. Oder Sie wirken noch schlimmer: sie machen die ganze Schreiber-welt jeder vernünftigen Unterweisung abgeneigt. Ohne die weit über alles Maß hinausschweifende Sprachschulmeisterei müßten wir heute, nach einem vollen Jahrhundert eifriger deutscher Sprachforschung und -belehrung, schon viel weiter sein im guten Deutsch. Deutsche Sprachforschung — ist das erlaubt? Gemeint ist doch nicht die Forschung von Deutschen, sondern im Deutschen. Das habe ich mir beim Schreiben auch gesagt, habe aber diesen knappen Ausdruck vorgezogen der breiten Erforschung der deutschen Sprache, weil ich die Gemeinschaft des richtigen Verständnisses zwischen mir und dem Leser fühlte. Auf diese stete ergänzende, berichtigende Mitarbeit des Lesers unmittel-bar beim ersten Lesen wird von den meisten Sprachmeistern gar kein Gewicht gelegt; darum sei bei jeder schicklichen Ge-legenheit nachdrücklich auf sie hingewiesen, selbst auf die Ge-fahr des Abschweifens. ,Gelehrte Laufbahn, philosophische Doktorwürde, die äußeren und inneren Kranken (vgl. S. 22), die herbstlichen Truppen-übungen, eine herrschaftliche Köchin, ein klassischer Philologe, ein neuer (statt neusprachlicher oder Neu-) Philologe, Griechische Frühlingstage, ein semitischer Philologe (für die semitischen Sprachen), Liebigs Chemische Briefe, Römische Schlendertage von Allmers' — dem Leser darf überlassen werden, was er für erlaubtes und gutes, was dagegen für schlechtes Deutsch halten soll. Das geübte und gesunde Sprachgefühl eines Deutschen wird kaum je in die Irre gehen, es sei denn, daß er zu den Berufskrittlern gehört. Die Forderung eines von dieser Gattung, man müsse überall da, wo ein zusammengesetztes Hauptwort besteht, den Gebrauch eines Beiworts und Hauptworts vermeiden, weil der aufge-löste Ausdruck ,beängstigend' und das Beiwort ,abgeschmackt' $Seite 129$ sei, muß zurückgewiesen werden. Weil es Schöpferkraft gibt, ist schöpferische Kraft nicht abgeschmackt, und man darf in ebenso gutem Deutsch von einem musikalischen oder künstlerischen Genuß sprechen wie von einem Musik- oder Kunstgenuß. Wohin sollte es führen, wenn Ausdrücke wie kriegerische Ereignisse, junkerliches Regiment, körperliche Be-wegung, winterliche Landschaft, regnerische Tage, gärtnerische Anlagen, elterliches Haus nicht mehr geschrieben werden dürften, sondern auf Geheiß eines Zuchtmeisters einzig die Hauptwortgebilde? Die Sprache unterscheidet sehr fein und sehr notwendig zwischen beiwörtlichen und hauptwörtlichen Bildungen: kriegerische Ereignisse und Kriegsereignisse, junker-liches Regiment und Junkerregiment, körperliche Bewegungen und Körperbewegungen, erziehliche Wirkungen und Erziehungs-wirkungen usw. sind keineswegs gleichzusetzen. Z. B. kann ein junkerliches Regiment auch geführt werden von Nicht-junkern, dagegen ein Junkerregiment nur von geborenen Junkern, und so fort. Man denke nur an den Unterschied zwischen Beiwort- und Hauptwortform bei Schillersche Ge-dichte und Schillers Gedichte: das erste wäre als Buch-titel unmöglich. Lange Gattin statt langjährige Gattin (vgl. S. 120) ist Unsinn; wie aber steht es mit einem kurzen Prediger? Im Reichstag wird ständig zwischen langen und kurzen Red-nern unterschieden, und man fragt sich, wie dies anders und doch ebenso kurz und gut ausgedrückt werden könnte. 9 Selbst Doppelsinnigkeiten sind im einzelnen Falle (oder muß ich durchaus sagen: Einzelfalle?) nicht so gefährlich, wie man zuerst meinen möchte. Wir sprechen ja nicht in ein-zelnen Wörtern (oder Einzelwörtern?), sondern in zusammen-hängenden sinnvollen Sätzen, und der Zusammenhang schiebt zurecht, erläutert und berichtigt, wo die Sprache einmal hat bequem sein wollen. Was weiblicher Unterricht allein-stehend bedeutet, ist mit Sicherheit nicht zu sagen; der Satz: ,Der weibliche Unterricht bedarf des Griechischen nicht' ist unmißverständlich, gleichwie der Satz: ,Der weibliche Unter-richt in Knabenschulen ist nicht zu empfehlen' keinem Miß-verständnis ausgesetzt ist. ,Der kränkliche Eindruck' ist nicht falsch, ,der konservative Antrag' ist richtig, ,das lebensläng-liche Zuchthaus' ist kein Unsinn — all dergleichen wird von jedem unbefangenen Hörer und Leser sofort richtig und nur $Seite 130$ auf eine Art verstanden. Ja selbst eine so kühne Über-tragung von einer Person auf die andre: ,Er machte mir einen gehässigen Eindruck' (den Eindruck eines Gehässigen) ist für die Redesprache noch zulässig, mag man sie auch in der hohen Schriftsprache nicht wagen. Bemängelt wurden oder werden Beiwörter auf . . er statt auf . . isch, also nicht Berliner Zeitung, sondern nur berlinische . .; nicht Holländer Austern, sondern nur holländische; nicht Kölner Wasser, sondern einzig Köl-nisches ..; nicht Schweizer Schulen, sondern ausschließ-lich schweizerische . . Wie aber, wenn man in Köln selbst fast nur Kölner Wasser sagt? Muß dann die gesprochene Sprache von Hunderttausenden sich modeln auf das Gebot eines Einzelnen, der nach angeblichen Gesetzen auf dem Papier verfügt? Und für den Schweizerkäse oder selbst Schweizer Käse muß doch selbst er eine Ausnahme oder mildernde Umstände zulassen. Sogleich aber entsteht die bange Frage, ob man fürder noch Tilsiter Käse statt tilsitischer sagen dürfe. Indessen weil es nicht unrichtig Berliner Zeitung, Kölner Wasser, Schweizer Käse heißt, ist nun auch etwa richtig: Amerikaner Äpfel, Österreicher Botschafter? Es ist lästig, immer wieder solche erlaubte und verbotene Ausdrucksformen nebeneinander zu halten; die Betrachtungsweise der herrschen-den Sprachmeisterei zwingt dazu, denn sie kennen keine andre Beweisführung als die: Wenn dies erlaubt sein soll, dann soll wohl auch jede dem allgemeinen Gebrauch widersprechende Wendung erlaubt sein? In der Einleitung steht das Nötige über den Mißbrauch der ,Analogie' (vgl. S. 23), über den Vergleich des Ungleichen und des Gleichen. Die unaufhaltsame Neigung der deutschen Volksprache und in ihrem Gefolge der Schriftsprache zur Erweiterung der Umstandswörter in Beiwörter wurde an teilweise hervorgehoben (vgl. S. 13 und 158). Mag man bei diesem Wort noch so bedenklich sein, weil es sich um eine wörter-reiche Gruppe handelt, der man nicht durchweg das Recht auf die beiwörtliche Verwendung zusprechen will, — grund-sätzlich ablehnend oder allzu streng darf man sich gegen einen solchen Sprachtrieb nicht verhalten. Man hat eidesstattlich bemängelt, weil statt ein Vorwort sei und Vorwörter nicht beiwörtlich gebraucht werden dürfen. Das trifft nicht zu, denn statt ist hier kein reines Vorwort, sondern Hauptwort: $Seite 131$ an Eides Statt, wie ja auch: ,Gutes Wort findet eine gute Statt', und das Beiwort eidesstattlich von Eidesstatt ist untadlig. Nichts ist mehr einzuwenden gegen die Beiwörter aus Um-standswörtern: ferner (fernere Gründe), weiter (weitere Folgen), sofortig, heutig, dortig, hiesig (aber nicht dasig, trotz gelegentlichem Vorkommen bei Lessing und Herder, denn es besteht keinerlei Sprachbedürfnis neben dortig), morgig (neben morgendlich von Morgen, also in andrer Bedeu-tung), demnächstig, etwaig (etwanig ist nicht falsch). Allfallsig und allenfallsig (beide schon bei Goethe), des-fallsig haben sich durchgesetzt und sind um so weniger zu bekämpfen, als man jedes deutsche Mittel zur Ausmerzung des widerlichen Wucherschwammwortes eventuell dankbar an-nehmen sollte. Ein zuwiderer Mensch ist gutes Deutsch. Gewagt wurden: gleichfallsig (von Heine), schlechthinnig (von Schleiermacher), vorhinnig, vielleichtig, sodannig — alle ohne Erfolg. Durchgedrungen sind vorherig, nach-herig, obig; aber nicht nebig (aus neben, z. B. die nebige [beiliegende] Probe). Nicht mehr zu beanstanden ist öfter (der öftere Gebrauch); dagegen ist Lessings ,ofte Wieder-holung' vereinzelt geblieben. Wenn sich eine Fachsprache ein bequemes Beiwort aus einer Vorwortwendung auf dem Wege über ein Hauptwort bildet: die nachbörslichen Kurse aus ,Nachbörse' (die nach der Börsenzeit festgestellten), so ist sie wegen dieser Bildsamkeit eher zu beglückwünschen als zu tadeln. Wie stark der Hang zur beiwörtlichen (ist dies falsch?) Be-lebung der Umstandswörter ist, zeigt sogar mehr als ein fremdes Umstandswort: aus à part ist in Frankreich kein Beiwort geworden, wohl aber in Welschdeutschland: ,ein sehr apartes Kleid' gilt sogar für ausnehmend fein, und selbst ,apartig' bekommt man zu hören (vgl. hierzu für durch und zu S. 158). Auch die volkstümliche, der Schriftsprache natür-lich versagte Ausdrucksweise: ,ein rechter böser Kerl, schöne warme Hände' gehört hierher. Schlechtes Deutsch ist zurzeit noch erhältlich; aber wer weiß, ob es sich nicht durchsetzt, denn es scheint einem starken Bedürfnis zu entsprechen. Ich empfinde keins, aber Hundert-tausende empfinden es, — soll ich Einzelner die Hundert-tausende bevormunden? Dasselbe gilt für erstklassig, das $Seite 132$ an sich nicht falsch gebildet ist, vielen unentbehrlich erscheint, aber als mißbrauchtes Modewort dem guten Geschmack ver-leidet wird. Tunlich wird von einem Zuchtmeister ganz verworfen, von einem andern nur in der Form tulich zugelassen, — wie soll man sich dazu verhalten? Wie immer: dem guten Sprachgebrauch soll man folgen, und der bedient sich des bequemen Wortes, das keineswegs dasselbe ist wie möglich. Und in der Form, die alle Welt beim Sprechen gebraucht: tunlich, soll man es schreiben wie sprechen, gleichviel was uns in irgendwelcher amtlichen Rechtschreibung anbefohlen wird, denn die Schreibung hat sich nach der gebildeten Sprache zu richten, nicht umgekehrt. Eine der ganz erfolglosen Vogelscheuchen der Gartenpolizei deutscher Sprache steht aufgerichtet gegen betreffend in jeder Anwendung, als Umstandswort wie als Beiwort. Es kommt von dem brauchbaren Zeitwort betreffen her und ist selbst gut brauchbar. ,Ein Unglück betrifft mich, hat mich betroffen' wird nicht bemängelt, mit Recht aber ,das mich betroffene Unglück' (vgl. S. 231). Ebensogut kann man natürlich sagen: ,das mich soeben betreffende Unglück', und hiervon rührt die ein-wandfreie Wendung her: ,der Betreffende' oder: ,der betreffende Vorfall', mit Auslassung von: ,uns' oder ,den Gegenstand'. Der bloße Umstanb, daß der Kanzleistil den ,Betreffenden' als Haupt- wie als Beiwort besonders liebt, kann uns noch nicht hindern, es im guten Schriftdeutsch zu gebrauchen: die Kanzlei hat ein wohlberechtigtes Bedürfnis nach solchen Aus-drücken. Also getrost: ,Der Betreffende ist nicht erschienen, Er hat den betreffenden Band des Werkes nicht mitgebracht.' Der Einwand, es sei ja nicht der Betreffende, sondern der Betroffene, ist nicht stichhaltig, denn es ist sowohl der (uns, die Sache) Betreffende wie der (von der Sache) Betroffene. Übrigens beweist das Beispiel des Bedienten, der in Wahr-heit ein Bedienender ist (S. 21), daß die Sprache die Kraft besitzt, selbst solchen Widersinn in allgemeingültigen Sinn zu verwandeln. Erst recht nichts ist zu sagen gegen bezüglich als Beiwort; es ist die beste Rettung vor dem unerträglichen respektive. Allerdings ist bezüglich als Vorwort sehr übel, denn wir haben das durchaus gleichwertige — zu Unrecht bemängelte — betreffs und dürfen auch nach guten Mustern die $Seite 133$ unabhängige Mittelform betreffend (diesen Umstand be-treffend) gebrauchen. Anders steht es mit einer sehr gefährlichen beiwörtlichen Anwendung der zweiten Mittelwortform. ,Lessing versuchte sich in den von Adolf Stahr beliebten Rettungen.' Hier tritt durch das mittelwörtliche Beiwort eine zeitliche Vorwegnahme ein, die oft zu höchst lächerlichen Wirkungen führen kann: ,Er wollte noch einmal den keinen Erfolg versprechenden, gänzlich verunglückten Versuch machen, seine Freunde umzu-stimmen.' Die tiefere Ursache solches unfreiwilligen Wider-sinns ist der deutsche Hang zur Satzstopferei: anstatt die Zeitfolge durch die Ordnung Hauptsatz — Nebensatz oder zweiter Hauptsatz auszudrücken, wird das Ergebnis vorweg-nehmend schon in den Versuch hineingestopft. ,Kleist ar-beitete damals noch an seinem von Tieck herausgegebenen Prinzen von Homburg.' Zur Zeit der Arbeit Kleists war der Prinz von Homburg noch nicht herausgegeben; aber die Schreiber solcher Sätze — es sind sehr gelehrte darunter — können ihr reiches Wissen nicht zurückhalten und es wohl-geordnet nach der Zeit- und Vernunftfolge von sich geben, sondern übersprudeln sich und uns auf einmal. Dieser Unsinn kommt auch bei gewöhnlichen Beiwörtern vor, die dem Sinne nach eine Zeitfolge besagen: erfolglos, ergebnis-los, erfolgreich, vergeblich. — Weitere Beispiele stehen auf S. 228. Zur Steigerung der Beiwörter kommt zuerst in Frage: einfacher oder umlautender Selbstlaut. Eine durchgreifende Regel gibt es nicht, wir sind nur auf den Sprachgebrauch angewiesen, und dieser ist bis auf etliche Schwankungen jetzt leidlich fest: der Umlaut herrscht vor bis auf die mehrsilbigen Beiwörter, die fast durchweg den einfachen Selbstlaut in den Steigerungsformen behalten. Gesund bildet eine Ausnahme: früher wurde zur Aufrechterhaltung der schönen, strengen Regel gesünder getadelt; heute ist gesunder verdrängt. Von den einsilbigen Beiwörtern schwanken mehre, doch wird dem Leser die Entscheidung nach dem Sprachgebrauch und dem durch ihn geleiteten Sprachgefühl in keinem Falle schwer sein. |