Wie würde man wohl über jemand urteilen, der ein Fremdenbuch nicht von einem fremden Buch, einen kranken Wärter nicht von einem Krankenwärter, eine Gelehrtenfrau nicht von einer gelehrten Frau, Bekanntenkreise nicht von bekannten Kreisen, ein liebes Lied nicht von einem Liebeslied, eine Hofer-straße (nach Andreas Hofer genannt) nicht von einer Hofer Straße (nach der Stadt Hof in Bayern genannt) unterscheiden könnte? Genau dieselbe Dummheit ist es, wenn jemand Leipzigerstraße schreibt statt Leipziger Straße.
Die von Ortsnamen (Länder- und Städtenamen) ab-geleiteten Bildungen auf er sind unzweifelhaft Substan-tiva. Österreicher und Passauer bedeutet ursprüng-lich einen Mann aus Österreich oder aus Passau. Als Adjektiva hat die ältere Sprache Solche Bildungen nicht gebraucht, die Adjektiva bildete sie von Länder- und Städtenamen auf isch: meißnisch (meißnische Gulden), torgisch (von Torgau, torgisches Bier), lündisch (von London, lündisches Tuch), parisisch (parisische Schuhe schreibt noch der junge Goethe statt Pariser Fuß). Nun ist freilich zwischen diesen beiden Bildungen schon längst Verwirrung eingerissen: die Formen auf er sind schon frühzeitig auch im adjektivischen Sinne gebraucht worden. Lessing schrieb noch 1768 eine Hamburgische Drama-turgie, Goethe aber schon 1772 Rezensionen für die Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Natürlich sind die Bildungen auf er dadurch, daß sie adjektivisch ge-braucht werden, nicht etwa zu Adjektiven geworden (vgl. S. 37); sie können aber doch vor andern Substantiven wie Adjektiva gefühlt werden, wie am besten daraus hervor-geht, daß Abverbia dazu gesetzt werden können, wie echt Münchner Löwenbräu, statt echtes Münchner oder echt Münchnisches Löwenbräu.//*) In Leipzig empfiehlt man freilich auch echt Gose und echt Madeirahandarbeiten!// Dennoch haben sich $Seite 175$ im Laufe der Zeit zwischen den Bildungen auf er und denen auf isch auch wieder gewisse Grenzen festgesetzt. Von manchen Länder- und Städtenamen gebrauchen wir noch heute ausschließlich die echt adjektivische Form auf isch, von andern ebenso ausschließlich die Bildung auf er, wieder von andern beide friedlich nebeneinander. Niemand sagt: der Österreicher Finanzminister, der Römer Papft, aber auch niemand mehr das Leipzigische Theater, die Berlinischen Bauten. Dagegen sprechen alle Gebildeten noch von Kölnischem Wasser, holländischem Käse, italienischen Stroh-hüten, amerikanischen Äpfeln. Warum von dem einen Namen die Form auf isch, von dem andern die auf er bevorzugt wird, kann niemand sagen; der Sprach-gebrauch hat sich dafür entschieden, und dabei muß man sich beruhigen.//*) Drollig ist es, wie bisweilen beide Formen in ganz bestimmter Anwendung nebeneinander gebraucht werden. In Leipzig geht, wer mit der Thüringischen Bahn fahren will, auf den Thüringer Bahnhof; aber niemand geht auf den Thüringischen Bahnhof, um mit der Thüringer Bahn zu fahren.//
Nur in gewissen Kreisen, die von dem wirklichen Verhältnis der beiden Bildungen zueinander und von der Berechtigung des Sprachgebrauchs keine Ahnung haben, besteht die Neigung, das Gebiet der Bildungen auf er mehr und mehr zum Nachteil derer auf isch zu erweitern. So empfiehlt mancher Geschäftsmann beharr-lich seine Amerikaner Öfen, obwohl alle Gebildeten, die in seinen Laden kommen, seine amerikanischen Öfen zu sehen wünschen. An einer alten Leipziger Wein-handlung konnte man vor kurzem ein Schild am Schau-fenster liegen sehen: Italiener Weine! Aber auch Holländer Austern werden schon empfohlen, ja sogar Kölner Wasser, und der Kölnischen Zeitung hat man schon mehr als einmal zugemutet, sich in Kölner Zeitung umzutaufen — ein törichtes Ansinnen, dem sie mit Recht nicht nachgegeben hat und hoffentlich nie nach-geben wird. Auf den echten Adjektivbildungen auf isch liegt ein feiner Hauch des Altertümlichen und — des Vornehmen, manche sind wie Stücke schönen alten Haus- $Seite 176$ rats; die unechten auf er, namentlich die neugeprägten, sind so gemein wie Waren aus dem Fünfzigpfennigbasar. Unbegreiflich ist es, wie sich gebildete, namentlich wissen-schaftlich gebildete Leute solchen unnötigen Neuerungen, die gewöhnlich aus den Kreisen der Geschäftsleute kommen, gedankenlos fügen können. Ein deutscher Buchhändler in Athen hat vor kurzem ein Werk über das Athener Nationalmuseum herausgegeben! Grauenvoll! Auf der Leipziger Stadtbibliothek gibt es eine berühmte Hand-schrift aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts: den Pirnischen Mönch, genannt nach der Stadt Pirna (eigentlich Pirn) an der Elbe in Sachsen. Den fangen sogar Historiker jetzt an den Pirnaer Mönch zu nennen! Und in neuern Werken über die Befreiungs-kriege wird in den Schilderungen der Schlacht bei Leipzig gar von der Erstürmung des Grimmaer Tores ge-redet (statt des Grimmischen)!//*) Wie gut es wäre, wenn man die Bildungen auf er nicht so ein-seitig bevorzugte, sondern gelegentlich auch noch von denen auf isch Ge-brauch machte, hat das Gastspiel des Schliersee'r Bauemtheaters gezeigt. Der Apostroph ist natürlich ganz einfältig, man könnte ebenso gut vom Ob'ramm'rgau'r Passionsspiel schreiben. Man nimmt auch bloß seine Zuflucht dazu, weil man eine kindische Angst vor den drei e in Schlierseeer hat Warum spricht man aber nicht vom Schlierseeischen Bauerntheater?// Einem Leipziger kehrt sich der Magen um, wenn er so etwas liest.
Nun ist aber doch so viel klar, daß, wenn ein Wort wie Dresdner in zwei verschiednen Bedeutungen ge-braucht wird, als Hauptwort und auch als Eigenschafts-wort, es nur in seiner Bedeutung als Hauptwort mit einem andern Hauptwort zusammengesetzt werden kann. Wenn nun eine Straße in Leipzig die Dresdner Straße genannt wird, ist da Dresdner als Substantiv oder als Adjektiv aufzufassen? Ohne Zweifel als Adjektiv. Es soll damit dasselbe bezeichnet sein, was durch Dresdnische Straße bezeichnet sein würde: die Straße, die von Dresden kommt oder nach Dresden führt. Sowie man den Bindestrich dazwischensetzt und schreibt: Dresdner-Straße oder auch in einem Worte: DresdnerStraße, so kann Dresdner nichts andres
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