Das Fürwort *1
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 142 - 144 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Neben oder nach der Derselberei steht seit einem Menschenalter die Welcherei an ihrem wohlverdienten Pranger, nur daß es hier mildernde, ja manchmal rechtfertigende Umstände gibt. So durchaus verwerflich wie Derselbe statt er ist welcher statt der nicht, und seine Brandmarkung als eines sprachlichen Schwerverbrechens oder einer unverzeihlichen Sprachdummheit schießt weit übers Ziel hinaus. Daß der, die, das kürzer sind und den Bezugssatz glatter, beschwingter an den Hauptsatz anschließen, begreift jeder Leser, ganz abgesehen von dem allgemeinen Sprach-, ja Lebensgrundsatz des ,kleinsten Mittels': Wo das einsilbige Wort genau dieselbe sprachliche Wirkung tut, wo dadurch genau derselbe Gefühlswert erreicht wird wie durch ein zweisilbiges, da gebührt der Vorzug dem einsilbigen. Dazu kommt: Es steht unzweifelhaft fest, daß die Redesprache, wenigstens die Umgangsprache, auch die beste, ja selbst die der Weicherer aus der Kanzlei, welcher, welche, welches nicht kennt, sondern ausschließlich der, die, das sagt. Überall, wo wir einem so offenkundigen Unterschied zwischen Rede- und Schreibsprache begegnen, muß unsre wählende Entscheidung auf den Sprachgebrauch der lebendigen Rede fallen. Die Berufung auf Sätze mit welcher bei den Klassikern beweist nur, daß im 18. Jahrhundert noch niemand mit einer strengen Mahnung aufgetreten war, und daß unsre Großen — in der Prosa, äußerst selten im Vers, und da fast immer nur aus Gründen des Versmaßes — eben so schrieben, wie sie um sich herum schreiben sahen, besonders von den Kanzleien. Indessen auch in dieser Hinsicht wußte man längst, was durch umfangreiche Zählungen neuerdings bestätigt wurde, daß die Bezugsätze mit der, die, das die mit welcher weit überwiegen, für das Deutsche Schriftentum in dem Jahrhundert zwischen 1750 und 1850 um das Doppelte. Einen Satz, in dem (worin) unbedingt das bezügliche welcher stehen müßte, gibt es nicht; wohl aber kommen zuweilen notwendige Fügungen $Seite 143$ vor, die durch welcher weniger übelklingend werden; andre, in denen man durch welcher die vorübergehende Ablenkung des Verständnisses in eine falsche Bahn vermeiden kann. Ich schreibe da, wo der, die, das auf den ersten flüchtigen Blick für das Geschlechtswort gelten könnten, besonders nach Vorwörtern, lieber welcher, um auf der Stelle die einzig richtige Auffassung zu erreichen. ,Die Regierung beabsichtigt nicht, eine Vorlage einzubringen, durch die vier Vertreter der Kolonien und Indiens als Mitglieder des geheimen Rates ernannt werden sollen.' In diesem Satze würde ich hinter ,durch' welche setzen, wenn ich es nicht vorzöge, wodurch zu schreiben. Ebenso wird man welchem in folgendem Satze für zweckmäßiger als dem halten: ,Deutschland wird diesen Schritt, seit welchem (dem) eine merkliche Beruhigung eingetreten ist, nicht bereuen'. Wustmann hat durch seine sehr verdienstvolle, aber einseitig und rechthaberisch übertreibende Bekämpfung des bezüglichen welcher bei vielen seiner Verehrer eine wahre Wut gegen dieses Wort erzeugt, und es gibt ihrer manche, die gleich ihm selbst in solchen Sätzen wie: ,Der, der der Tat verdächtig ist' , oder: ,Die, die die Bezugsätze falsch bauen' eine Musik erklingen hören, die durch den Mißton keines welcher gestört werden darf. So weit braucht der beste Schreiber nicht zu gehen, sondern er darf um des Wohlklangs willen und zur Erleichterung des sofortigen Verständnisses in den dazu angetanen Fällen ungescheut zu welcher greifen. Erst recht nicht zu tadeln ist der Gebrauch von welcher in Satzgefügen wie: ,Die durch zweimaliges werden bezeichnete zweite Zukunft, welche schwerfällige Form besser vermieden wird, kommt selten vor' . Hierfür wird überstreng gefordert: ,. . Zukunft, eine schwerfällige Form, welche . .' Man soll sich das Schreiberleben durch derartige Einengungen nicht unnötig erschweren. Manche tiftelnde Sprachlehrer älterer Zeit haben verzweifelte Versuche gemacht, zwischen welcher und der einen Bedeutungsunterschied zu erklügeln, den das lebendige Sprachgefühl nicht kennt, und der durch keinen stetigen Gebrauch unsrer Schriftsteller unterstützt werden kann. Im Gegenteil, von der hier und da aus Schönheitsgründen empfohlenen Abwechslung zwischen der und welcher in demselben Satz muß dringend abgeraten werden. Der Leser, dem sie be- $Seite 144$ gegnet, soll dazu gebracht werden, die feine Stilkunst des sorgsam unterscheidenden Schreibers zu bewundern; dies geschieht aber nicht, denn es gibt nichts zu bewundern, vielmehr gewahrt der Leser nur einen willkürlichen Wechsel zwischen zwei völlig gleichbedeutenden und für den Inhalt selbst bedeutungslosen Wörtern. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Umgangssprache, Behördensprache, Schriftsprache, Literatursprache, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Schreiber guten Stils |
Bewertung |
mildernde, ja manchmal rechtfertigende Umstände, durchaus verwerflich, glatter, beschwingter, sehr verdienstvolle, aber einseitig und rechthaberisch übertreibende Bekämpfung, nicht zu tadeln, überstreng |
Intertextueller Bezug | Wustmann |