Aussprache

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 79 - 82

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Unsicherheit
Text

Der umstrittenste, schwierigste, nahezu hoffnungslose Abschnitt der deutschen Sprachlehre ist der über die beste Aussprache. In den andern großen Bildungsländern ist diese Frage längst sehr einfach gelöst: die Aussprache der Gebildeten der Hauptstadt gilt für die beste, jedenfalls für die maßgebende. Dabei ist der wirkliche Sprach- und Aussprachezustand in England, Frankreich, Italien, Spanien derselbe wie in Deutschland: zahlreiche Mundarten und sehr verschiedene Aussprachen der Schriftsprache je nach den Landschaften. In Deutschland aber gibt es keine für mustergültig erklärte oder gehaltene Aussprache der Reichshauptstadt; im Gegenteil, das Berlinische wird selbst von den Berlinern nicht besonders gerühmt, und der Anspruch Hannovers auf die beste Aussprache wird vom übrigen Deutschland zurückgewiesen, nicht ohne Grund.

Ich behandle diese Frage hier nur, soweit ein Bedürfnis empfunden wird, die Mängel einer landschaftlichen Aussprache da abzulegen, wo sie unerfreulich, ja lächerlich wirken würden: im öffentlichen Leben, in der Sprache für große Hörerkreise, also auf der Bühne, im Vortragsaal, auf dem Lehrstuhl, der Kanzel, im Reichstag. Im Vaterlande sprich, wie dir's gefällt, — um ein Wort Goethes vom Schreiben anzuwenden; in der heimatlichen Landschaft mag jeder ruhig seiner überkommenen Aussprache treu bleiben. Goethe hat bis ins höchste Alter bei Erregungen gefrankfurtert, Schiller im gemütlichen Gespräch geschwäbelt, Richard Wagner gesächselt. Es fällt mir nicht ein, an irgendeiner landschaftlichen Aussprache schulmeisternd zu mäkeln, wie ich mir auch nicht einbilde, daß meine, die aus Pommern stammt, durch ein langes Leben in Berlin auf den Gipfel der Vollkommenheit gestiegen sei. Das Einzige, was an dieser Stelle urteilend zu sagen ist kann sich nur beziehen auf wohlbekannte Eigentümlichkeiten, die nicht für berechtigt gelten dürfen, über den Hei- $Seite 80$ matkreis hinaus vorbildlich zu werden. Des Berliners a statt er am Schluß der Wörter (Vata, Mutta, länga); seltn ch statt r vor harten Mitlautern (gewachtet statt gewartet); sein berüchtigtes j statt g (Eine jute jebratene Jans is eine jute Jabe Jottes) sind dem gebildeten Reichshauptstädter selbst als Fehler bewußt, werden aber darum noch nicht abgelegt. Auch der Sachse weiß sehr wohl, daß sein ,Heern se, scheene, nu äben' nicht beste Aussprache ist, so gut wie der Mainfranke, daß oi statt ei nicht geeignet ist, deutsche Gemeinsprache zu werden. Nur in Hannover, Hamburg, Bremen begegnet man zuweilen der Ansicht, die dortige Aussprache des st sei die beste, müsse ja die beste sein, denn — sie entspreche genau der Schreibung, also: sprechen wie ßprechen, Stube wie Sztube. Die Wahrheit hat zu lauten: die Schreibung sprechen, Stube gibt die ehemals allgemein herrschende Aussprache im Niederdeutschen wieder; die hochdeutsche Aussprache war von jeher schprechen, Schtube, trotz der Schreibung mit sp, st. Es gibt aber einen zwingenden Beweis, daß die nordwestdeutsche Aussprache nicht die beste, jedenfalls nicht die zur Gemeingültigkeit berufene ist: auf den Theatern in Hannover, Hamburg, Bremen wird nur schprechen, Schtube gesprochen, und die Aussprache ßp, ßt würde von den sonst dafür eingenommenen Bewohnern jener Landschaften selber als unmöglich empfunden werden.

Soll und kann eine beste Aussprache des Deutschen überhaupt erreicht werden, dann wohl nur durch die der Bühnen. Hier wird ein über den Mundarten stehendes Deutsch mit Recht erwartet, weil die dramatische Dichtung gemeindeutsch, nicht landschaftlich sein soll, auch nicht ist. Lessings Minna ist weder sächsisch noch berlinisch, Goethes Faust nicht fränkisch, Schillers Räuber, Kabale und Liebe nicht schwäbisch. Dazu kommt die Freizügigkeit des Schauspielerstandes, die eine gewisse künstliche Einheitlichkeit der Aussprache fordert und fördert. Soweit also auf die Aussprache des Deutschen bessernder Einfluß geübt werden kann, wird er nur von der vorbildlichen Geltung der Bühnensprache ausgehen, und in neuerer Zeit hat man mit Ernst und Eifer versucht, eine anerkannte Bühnenaussprache durch Sichtung und Hervorhebung zu schaffen. Gegen die vorläufigen Ergebnisse jener Arbeiten, die in dem Buche ,Deutsche Bühnenaussprache' von Theodor Siebs niedergelegt sind, haben sich aus wissenschaftlichen $Seite 81$ Kreisen Widersprüche erhoben; doch sind einige Hauptregeln zur Geltung gelangt und mögen hier aufgeführt werden — nicht als unbedingte Vorschriften für jedermann, aber als erwägenswerte Winke für einen sprachlich wichtigen großen Berufskreis. Es soll lauten: der Könich, des Könichs, die Könige, köniklich, Könikreich, befriedicht, ewich, ewiges, Ewichkeit, freudich; g nach langem Selbstlaut wie schwaches k, also Tag = Tak. Lañgsam, nicht lanksam; Gefäñgnis, nicht Gefänknis; Diñg, nicht Dink; riñgs, nicht rinks. Landschaftliche Eigen- oder Unarten wie sächsisches j = ch (cha statt ja), pommersches f statt pf (Ferd, Feife), schwäbisches weischt statt weißt sind abzulegen; desgleichen das süddeutsche lange i in Wörtern wie Fisch, bitten. Das h wird nur im Anlaut gesprochen (Haus), ist im Inlaut ebenso stumm wie im Auslaut, also ruhig wie ruig, Ehe, Wehewie Ee, Wee.

Hierzu sei noch bemerkt: der Westpreuße achte auf seine mehr italienische als gemeindeutsche Aussprache des ei wie e i; im Bühnendeutsch unterscheidet sich ei nicht von ai; der Westfale, der S .. chinken oder Skinken spricht, soll wissen, daß sch ein einfacher Laut ist. Die Aussprache ölf statt elf, die man vielfach in Norddeutschland hört, gilt nicht für gut, und Kürche statt Kirche ist offenbar schlecht.

Ferner sei nachdrücklich gewarnt vor der durch nichts zu rechtfretigenden, nur durch den Einfluß der Ausländerei zu erklärenden Aussprache des v in deutschen Eigennamen mit w. Es heißt nicht Wilmar, Warnhagen, Warnbühler, Wirchow, sondern Filmar usw. Ein deutscher Eugen soll nicht zu halbfranzösischem Euschen (z. B. Euschen Richter) werden.

Beim Schreiben sind unnötige Härten zu vermeiden. Du reitest ist besser als du reitst; des Herbsts, des Firsts, des Propsts sind durch Herbstes usw. zu schmeidigen; der Zweitfall von das Deutsch darf unbeschadet der Sprachlehren des Deutsch heißen. Vor dem angeblichen Übelklang von Steigerungsformen wie malerischste, künstlerischste braucht sich niemand zu scheuen; in andern Sprachen gibt es noch viel üblere Klänge.

Es ist nicht unbedingt verboten, zwei gleiche Wörter unmittelbar aufeinander folgen zu lassen; der gute Schreiber wird es aber aus mehr als einem Grunde vermeiden: das Auge empfindet es als unschön, das Ohr meist als nicht schön. ,Er weigerte sich, sich in den Garten zu begeben' ist nicht falsch; $Seite 82$ aber äußerliche Richtigkeit ist noch nicht das höchste Ziel des Schreibers. Für den Sprachmeisterer mit dem unzweifelhaft allerbesten Geschmack, nämlich dem seinigen, liegt selbst in die die die eitel Wohllaut.

Alle eigenbrötlerische Schnurrpfeifereien sind abzulehnen. Benedix verlangte, man solle zwischen f und v einen Unterschied machen, v, z. B. in Vater, etwas weicher sprechen. Hiergegen ist ein Wort wie Torheit fast zu milde.

Haarfeine Wiedergabe schwieriger Aussprachen von fremden Eigennamen ist überflüssig. Die Ausländer begnügen sich mit beliebiger Aussprache deutscher Namen, oft mit kaum annähernd richtiger; und wenn es auch der deutschen Auffassung mit Recht zuwiderläuft, aus Goethe einen französischen Goètt, aus Blücher einen englischen Blutscher gemacht zu hören, so ist es wirklich nicht deutsche Ehrenpflicht, sich ängstlich um die echteste Wiedergabe gleichgültiger englischer Namen zu bemühen. Es genügt, wenn wir die weltberühmtesten Menschen annähernd richtig oder nach irgendeiner gebräuchlichen Aussprache benennen: an Zervantes und seinem Donkischott Viktor Hugo, Donjuan, deutsch gesprochenem Robinson braucht niemand Anstoß zu nehmen. Kiautschou zu schreiben und uns um die unmögliche deutsche Aussprache dieser undeutschen Schreibung zu sorgen, ist überflüssig; es wird Kiautschau gesprochen, muß also auch so geschrieben werden. Und selbstverständlich ist für uns Deutsche durch den gehässigen Befehl eines ehemaligen Zaren aus ,Petersburg' nicht Petrograd geworden, wie es auch nicht ,eigentlich richtig' Pjättjrburk gesprochen zu werden braucht. Im Weltkriege haben Millionen deutscher Männer Ferduhn (Verdun) gesprochen, und wer das zu belächeln wagte, der wußte hoffentlich nicht, was er damit beging.

Wollten wir allen berühmten Namen des Altertums ihre ,richtige' Aussprache geben, so müßten wir sie fast alle anders als jetzt sprechen. Caesar und Cicero dürften nicht Zäsar und Zizero gesprochen werden; die Hamburger, die über Thália-Theater als ein Zeichen der Unbildung lachen wissen nicht, daß dies die richtige griechische Betonung ist, wie es auch Chäróne(i)a und Achíll(e)ion heißen muß, was selbst manche Altsprachler nicht wissen. Es gibt wichtigere Dinge im Deutschen zu lernen als dieses fremde Nebenwerk.

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Engel(1922) 079-082.pdf


Zweifelsfall

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Beispiel
Bezugsinstanz Gesprochene Sprache, Gebildete, Berlin, Umgangssprache, Schriftsprache, Hannover, Theatersprache, Wissenschaftssprache, Sprache der Politik, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Wagner - Richard, Pommern, Sachsen, Mainfranken, Hamburg, Bremen, Niederdeutsch, Hochdeutsch, Nordwestdeutsch, Sachsen, Franken, Schwaben, Süddeutsch, Westpreußen, Westfalen, Schreiber guten Stils, Fachsprache (Klassische Sprachen)
Bewertung

umstrittenste, schwierigste, nahezu hoffnungslose, gilt für die beste, unerfreulich, ja lächerlich, schulmeisternd zu mäkeln, angeblicher Übelklang, unschön, schön, unzweifelhaft allerbester Geschmack, eigenbrötlerische Schnurrpfeifereien, Wort wie Torheit fast zu milde, ängstlich, Zeichen der Unbildung

Intertextueller Bezug Theodor Siebs: Deutsche Bühnenaussprache, Benedix