Das Vorwort *4

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 180 - 184

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Verb: aktiv oder passiv

Genannte Bezugsinstanzen: Behördensprache
Behandelter Zweifelfall:

Lexikalische Konkurrenzen

Genannte Bezugsinstanzen: Behördensprache, Zeitungssprache
Behandelter Zweifelfall:

Präposition: Rektion

Genannte Bezugsinstanzen:
Behandelter Zweifelfall:

Präpositional gebrauchte Substantive, Adverbien und Adjektive

Genannte Bezugsinstanzen: Fachsprache (Militärwesen), 18. Jahrhundert, Schreiber schlechten Stils, Schwaben, Alemannisch, Gegenwärtig, Behördensprache, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Schriftsprache, Literatursprache, Moltke - Helmuth Karl Bernhard von, Geschäftssprache
Text

Eine noch immer wachsende Zahl von Umstandswörtern nimmt vorwörtliche Bedeutung und Fügung an, und diesem Sprachtriebe soll man nur da entgegentreten, wo er auszuarten und die einfacheren Mittel zu verdrängen droht. Solch Fall liegt vor bei seitens. Es ist zwar noch lange nicht ,der größte Greuel' und ,eine wahre Krankheit am Leibe unsrer $Seite 181 $Sprache' — der Leser kennt die einzige wahre Krankheit des Deutschen; aber in neuerer Zeit nimmt seitens, besonders in der Amtsprache, derart überhand, daß ihm Einhalt geboten werden muß. Im Kanzleistil steht es beinah grundsätzlich an Stelle des von oder einer noch schlichteren, vorwortlosen Fügung. Selbst die unterste Behörde tut selber nichts, sondern alles wird von oder noch lieber seitens der Behörde getan. Anstatt: ,Der Nachtwächter tat sofort die nötigen Schritte' , was zwar genügt, aber nicht kanzleifein genug klingt, heißt es: ,Seitens des Nachtwächters wurden ..' Der Mißbrauch fließt aus einer reichen unterirdischen Quelle: der Kanzleibeamte bis hoch hinauf will nicht erkennbar mit seiner Person hervortreten; der niedere will sich mit irgendwelchem Sprachmittelchen erhöhen, der obere sich aus Furcht vor einer Bloßstellung dahinter verstecken. Daher nicht bloß die Satzverrenkung aus dem einfachen: der unterzeichnete Beamte — Nachtwächter, Schreiber, Vorsteher, Staatssekretär — erachtet, bemerkt, erwidert; sondern so wolkig allgemein wie möglich, also nicht in klarer Tatform: ich erachte, sondern in der weniger klaren Leideform: es wird erachtet, und die Person hinter Wortschleiern verhüllt. Seitens der Verwaltung wird . ., oder noch verschwommner: Diesseits wird . ., Von seiten der . . wird .. An sich wäre seitens unter Umständen gar nicht so verwerflich; der stete Gebrauch hat es zum Mißbrauch gestempelt, so daß ein guter Schreiber, auch in den Kanzleien, sich davor hütet.

Nicht besser steht es um die Verbindungen mit .. seits. Ein gelegentliches, vereinzeltes meinerseits, unserseits ist zur Not erträglich, allerdings unedel; das so ziemlich an jedes Beiwort, wohinter ein Hauptwort steckt, angeklebte seits ist stroherne Kanzleisprache, nicht Menschenrede: kirchlicherseits, universitätlicherseits, städtischerseits — es ist wirklich mit das Äußerste, was an Unsprache geleistet wird.

Fast auf derselben Stufe steht anläßlich; es verdrängt vielfach das einfache und natürliche bei, aus einer Wichtigtuerei, die sich mit Vorliebe der sprachlichen Breite bedient. Wir werden beim Kanzleistil noch eingehender mit ihr zu tun haben. ,Bei diesem Feste wurde die Anregung zu einem Denkmal gegeben' verwandelt sich in: ,Anläßlich dieses Festes . .'

$Seite 182$ Was gegen anläßlich zu sagen ist, richtet sich auch gegen andre unechte breitspurige Vorwörter, wodurch, besonders in der Kanzleisprache, die echten kurzen Vorwörter verdrängt werden: gegen behufs statt zu, hinsichtlich statt für oder wegen, bezüglich (in bezug auf) statt über usw. Der Nichtkanzleischreiber schreibt dergleichen verblasene Streckwörter nicht, der sich und sein Amt achtende Kanzleimann sollte sie nicht schreiben.

Ausgenommen steht besser mit dem 1. als dem 4. Fall: ,Sie waren alle da, sein Diener ausgenommen. — Keiner, ausgenommen mein Freund, hat sich daran beteiligt.' Bei Zeitwörtern, die einen bestimmten Fall verlangen, wird ausgenommen zum Umstandswort und verliert seinen Einfluß auf die Beugung: ,Ich erinnere mich jedes einzelnen Tages, ausgenommen des letzten' ; doch wäre hier ,den letzten ausgenommen' nicht falsch.

Bei dank muß die einreißende Fügung mit dem Zweitfall ebenso wundernehmen wie bei trotz; man sollte denken, der noch deutlich gefühlte Innensinn des Wortes müßte den Drittfall schützen. Es darf nur heißen: ,Dank dem Fleiße, dank dem schnellen Eingreifen.'

Die Vorwörter diesseit, jenseit bleiben besser ohne s: ,diesseit der Berge, jenseit des Flusses' ; aber umstandswörtlich: ,Diesseits herrscht Dunkel, jenseits Licht.' Der Unterschied droht zu verschwinden, verdient aber Beachtung.

Umstandswörter für Ortsbezeichnungen: links, rechts, nördlich, südlich, nahe, unfern, unweit sind dem allgemeinen Triebe verfallen und auf dem Wege zum Vorwort. Daß manche Pritschmeister die Sprache ob dieses ,Fehlers' rüffeln, ist ihr gleichgültig, denn sie weiß nichts von einem innersten Unterschiede zwischen Umstands- und Vorwort, sondern sorgt nur für die Befriedigung ihres Fügungsbedürfnisses. Die meisten heutigen Vorwörter, z. B. ein jetzt so ,echtes' wie wegen, stammen ursprünglich aus andern Redeteilen. Heute noch für rückständige Sprachlehrer ,ein Fehler ist es doch', morgen schon eine sprachliche Selbstverständlichkeit. Unsre besten Heeresschreiber, z. B. Moltke, sagen kurz und bündig ,links und rechts der Elbe' , und diesem Gebrauche beginnen nördlich, südlich zu folgen. Wer das jetzt noch für falsch hält, ist ja nicht gezwungen, so zu schreiben; er hüte sich aber, einen Schreiber mit anderm Sprachgefühl zu $Seite 183$ schelten. Die Bewegung ist im Fluß und nicht mehr rückzustauen.

Das Gleiche gilt für unfern, unweit. Von Rechts wegen, sagt der Zuchtmeister, dürfen sie nur als Umstandswörter gebraucht werden, nämlich von Zuchtmeisterrechts wegen; aus ihrem eignen höheren Recht macht die Sprache sie zu Vorwörtern, und wir haben nur noch zu wählen zwischen ,unfern dem Walde' und ,des Waldes' . Der Sprachgebrauch selbst hat sich noch nicht einseitig entschieden, also hat sich die bescheidne Sprachlehre zu bescheiden. Übrigens stehen diese Wörter mindestens seit dem 18. Jahrhundert als Vorwörter ohne von, und der überall Fehler aufstöbernde Meisterer muß mit seinem Von Rechtswegen schon gegen alle unsre Klassiker einschreiten. Schiller schreibt: unweit dem Flecken, Goethe: unfern des Tores. Der Meisterer verlangt: unweit von, unfern von.

Schön ist mangels vielleicht nicht: ,mangels genügender Einnahmen' ist leicht zu ersetzen durch: ,beim Fehlen' oder ,wegen nicht genügender Einnahmen' ; aber die Sprache strebt nach Kürze und macht mit der Zeit aus Unschönem etwas Gewohntes und Unanstößiges. Wem mangels zuwider ist, der meide es, bilde sich aber nicht ein, daß die Sprache sich dauernd hindern lasse, solche ihr bequeme Hilfen des Ausdrucks zu benutzen. So hat sie neben ,im Namen' sich ,namens' gebildet und durchgesetzt. Der Sprachforscher und der Sprachfreund haben ihre Freude an solchen rastlosen Betätigungen des Schöpferdranges der Sprache; der Beckmesser steht an seiner Merkertafel, kreidet Fehler über Fehler an und keift: Versungen!

Nicht aus dem Safttriebe der Sprache, sondern aus dem Aktenstaub der Kanzleien ist zwecks hervorgegangen; es kommt bei keinem guten Schriftsteller vor, sondern einzig in der Sprache unterer Behörden und schlechtgeschriebener Zeitungen. Für zwecks liegt auch kein sprachliches Bedürfnis vor, denn zu, über, für usw. genügen vollauf in jedem Falle. ,Bestrebungen zwecks besserer Beleuchtung' statt ,zu besserer ..' , ,Zwecks stärkerer Abschlachtung der Schweine wird verordnet ..' statt: ,über die . ., zu der . .'

Wenn ein so großer Teil des Volkes wie der Handelstand zur (nicht zwecks!) schärferen Veranschaulichung eines Geschäftsverhältnisses ein schon vorhandenes einfaches Wort, ab, $Seite 184$ in neuer Anwendung wählt, so ist dagegen nicht zu wettern mit ,Schrulle des niedrigen Geschäftstils', um so weniger als grade der Großhandel sich des harmlosen Wörtchens bedient: ,Die Fracht ab Berlin Anhalter Bahnhof, ab Hafen beträgt ..' Wird dieser bequeme Gebrauch der Geschäftsprache nicht verallgemeinert, so ist er so ungefährlich wie viele andre Eigentümlichkeiten von Fachsprachen. Ins Schriftdeutsche ist dieses ab noch nicht eingedrungen. Daß ab als Vorwort nichts Undeutsches ist, beweisen Eigennamen wie Abderhalden; auch sagt man im Alemannischen und Schwäbischen heute vielfach: ,Geh' ab dem Tisch!'


Zweifelsfall

Verb: aktiv oder passiv

Beispiel
Bezugsinstanz Behördensprache
Bewertung
Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Lexikalische Konkurrenzen

Beispiel
Bezugsinstanz Behördensprache, Zeitungssprache
Bewertung
Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Präposition: Rektion

Beispiel
Bezugsinstanz
Bewertung
Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Präpositional gebrauchte Substantive, Adverbien und Adjektive

Beispiel
Bezugsinstanz Behördensprache, Moltke - Helmuth Karl Bernhard von, Fachsprache (Militärwesen), Schiller - Friedrich, Goethe - Johann Wolfgang, 18. Jahrhundert, Literatursprache, Geschäftssprache, Alemannisch, Schwaben, Schreiber schlechten Stils, Schreiber schlechten Stils, Schriftsprache, Gegenwärtig
Bewertung

verschwommen, nicht besser, zur Not erträglich, allerdings unedel, das Äußerste, was an Unsprache geleistet wird, unechte breitspurige Vorwörter, verblasene Streckwörter, rückständige Sprachlehrer

Intertextueller Bezug